Das Recht in der digitalen Welt, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz, promedia Dez. 2012

>> Perspektiven liberaler Netzpolitik aus Sicht der Bundesjustizministerin

Gelegentlich wird aus der Tatsache, dass jeder sich mit jedem vernetze, der – wie ich meine – falsche Schluss gezogen, dass am Ende das Private öffentlich werde oder um das Stichwort, auf das Sie sicher schon fast gewartet haben, zu erwähnen: Das Ende von Privatheit sei eingeleitet und ausgerufen. Seltsam an der Sache ist nur, dass dann immer einschränkend auch daran erinnert wird, was eigentlich auch privat bleiben müssen – z. B. die TAN für das Online-Banking oder die Kreditkartennummer, die für den Einkauf im Netz verwendet wird. Auch die „Promoter“ dieser These wollen genuine Dinge für sich behalten.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin

Nur stellen Sie sich einmal umgekehrt die Frage: Wollen Sie, dass Staat und Gesellschaft identisch sind? Wollen Sie, dass das Private und das Öffentliche verschmelzen? Soll der User nicht entscheiden können, was er als Privat und was als Öffentlich versteht?

So wie ich selbst im Freundeskreis entscheide, wem ich etwas erzähle, so entscheide ich doch auch in einer vernetzten Kommunikation, mit wem ich welche Inhalte austausche. Nicht jeder braucht aus meiner Sicht alles zu wissen und nicht jeder teilt auch sein Wissen mit allen.

Das Private verschwindet nicht

Das entspricht schlichtweg dem menschlichen Grundbedürfnis, die Entscheidung eigenständig und in letzter Konsequenz treffen können zu wollen, was als das Private verstanden wird. Und genau hier muss die Politik den Rahmen dafür setzen, dass der Einzelne immer noch entscheiden kann, was er als das Private versteht.

Ich will Sie gar nicht mit Versatzstücken soziologischer oder philosophischer Klassikern behelligen. Manchmal bekomme ich eher den Eindruck, dass der Facebook-Exhibitionismus von wenigen verallgemeinert als soziologischer Trend missverstanden wird. Wenn also einige Wenige zu viel und Banales öffentlich preisgeben, dann heißt es lange noch nicht, dass sozusagen jeder alles preisgeben will.

Das ist also, wenn Sie so wollen, auch keine konservative oder eigentümlich altmodische Ansicht. Das Verständnis, dass das Private vom öffentlichen Bereich abgegrenzt werden muss, ist nicht nur Grundlage unserer Verfassung. Sie kennzeichnet auch das Streben der Menschen, die in autoritären Regimes leben.

Der Blogger, der in China, auf die Missstände in China hinweist, möchte auch nicht, dass seine privaten Lebensinformationen öffentlich ins Netz gestellt werden. Syrischen Aktivisten, die eine Polizeimaßnahme filmen und ins Netz stellen, möchten ungekannt und anonym bleiben, damit sie nicht im Gefängnis landen. Der deutsche Blogger, der tagsüber in seinem Beruf vielleicht das Gegenteil macht von dem, was er abends schreibt, der möchte vielleicht unter seinem Pseudonym veröffentlichen.

Deshalb ist eine Pflicht zum Klarnamen rechtlich problematisch. Einen generellen „Klarnamenzwang“ im Internet darf es daher nicht geben. Auch in einem Rechtsstaat, der das Recht auf Privatheit und freie Meinungsäußerung garantiert und schützt, besteht ein Bedürfnis nach anonymer oder pseudonymer Nutzung des Internet.

Die Möglichkeit anonymer und pseudonymer Nutzung des Internets ist vor allem von besonderer Bedeutung, wenn der Bereich der freien Meinungsäußerung und Meinungsbildung betroffen ist. Gleiches gilt im Rahmen der freien Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen. Niemand sollte gezwungen sein, sich zu offenbaren, wenn dies seine Privatsphäre verletzen könnte (z.B. im Rahmen von Beiträgen in einem Betroffenenforum von Opfern sexuellen Missbrauchs).

Und um nur ein Wort gegen den vielzitierten Missbrauch zu verlieren: Selbstregulierungsinitiativen – insbesondere unter Einbeziehung der Internetwirtschaft – können effiziente Strukturen gegen rechtswidrige und strafbare Handlungen im Internet bieten. Dazu gehören ggf. auch „notice and takedown“-Verfahren, die die schnelle Löschung rechtswidriger Inhalte ermöglichen.Wenn Selbstregulierung funktioniert und das Bedürfnis nach Privatheit nicht verschwindet, dann entsteht Transparenz am besten durch Aufklärung.

Der Zugang zum Internet muss offen bleiben

Digitaler Fortschritt braucht Infrastrukturen, die eine freie und sichere Kommunikation ermöglichen. Die freie und andauernde Verwendung von Daten jeder Art durch alle Nutzer/innen mit Systemen ihrer Wahl ist nur möglich, wenn diese Daten in einem Format vorliegen, das den Kriterien eines Offenen Standards entspricht. Ähnlich verhält es sich bei der Zusammenarbeit verschiedener technischer Systeme. Sie sind nur dann bei gleicher Funktionalität austauschbar, wenn ihre Schnittstelle ein Offener Standard ist. Ein konsequenter Einsatz und die flächendeckende Verbreitung von Offenen Standards sind unerlässlich, um die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern zu verringern und einen freien Wettbewerb technischer Lösungen zu ermöglichen. Zudem muss sichergestellt sein, dass erhalten bleibt, was das Netz so wie wir es kennen, zu einem Erfolgsmodell gemacht hat: Netzneutralität.

Vom Grundsatz her sind sich alle Beteiligten einig: Niemand möchte ein zensiertes Netz, und ohne einer gewissen Form von Datenmanagement wird es nicht gehen. In der Konsequenz befürchten die einen jedoch den Untergang des freien Internets. Die anderen warnen vor dem Super-Stau-Gau im Netz.

Fakt ist, dass die Datenmengen im Netz rasant und jenseits unserer Vorstellungskraft wachsen. Immer neue datenintensivere Dienste kommen hinzu, von denen wir möglichst mobil profitieren wollen. Im dezentral organisierten Internet wird es dabei immer Punkte geben, die zu Spitzenzeiten an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit kommen.

Aber es darf keine negative Diskriminierung einzelner Inhalte, Protokolle, Absender, Empfänger oder Dienste erfolgen. Eine allgemeine inhaltliche Kontrolle von Inhalten durch Netzanbieter ist ausgeschlossen und darf nie Realität werden.

Wir müssen auch ausschließen, dass die Netzwerkleistung von einzelnen Marktteilnehmern künstlich verringert und damit ohne Not ein temporär knappes Gut wird, zum Beispiel in dem Bandbreiten für bestimmte Anwendungen reserviert werden. Besonders kritisch würde es, wenn nur derjenige sich die besten Kapazitäten sichern kann, der am meisten dafür zahlt.

Das würde Missbrauch Tür und Tor öffnen und jegliche Form von fairem Wettbewerb unmöglich machen. Start-Ups hätten gegen Weltkonzerne keine Chance. Perspektivisch würde die Innovationsfähigkeit des Netzes leiden, weil neue Produkte schlechtere Chancen haben, sich gegen etablierte Angebote durchzusetzen. Damit verliert am Ende auch der Nutzer: Geld, die Vielfalt des Angebotes und seine Wahlfreiheit.

Die Politik muss dem berechtigten Interesse aller User auf eine freie und selbstbestimmte Nutzung gerecht werden. Unsere Prämisse ist es, dass der autonome Nutzer entscheiden kann, welche Dienste er in welcher Qualität nutzen möchte.

Um die Innovationsfähigkeit des Internets ebenso wie die Ansprüche seiner Nutzer auch zukünftig zu sichern, vertrauen wir als Liberale vorrangig auf die Kraft des freien Marktes. Die FDP-Bundestagsfraktion hat zu diesem Thema erst kürzlich ein Positionspapier beschlossen. Voraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb ist Transparenz zwischen Anbietern und Nutzern. Ist Transparenz gewährleistet, besteht die berechtigte Hoffnung, dass erhebliche Einschränkungen sehr schnell vom Markt korrigiert werden, sofern nicht sonstige Hürden einem Anbieterwechsel durch den Endkunden entgegenstehen. Bei schweren, dauerhaften Verletzungen der Netzneutralität sollte die Bundesnetzagentur regulierend eingreifen. Eine weitergehende Regulierung durch legislative Mittel kann lediglich ultima ratio sein. Mit dem neuen § 41 a des Telekommunikationsgesetzes haben wir ein schnell handhabbares Instrument geschaffen, mit dem wir flexibel  auf ein mögliches Marktversagen reagieren können. Eine willkürliche Verschlechterung von Diensten und eine ungerechtfertige Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs in den Netzen können wir – wenn es nötig werden sollte – so durch ganz konkrete Vorgaben an die Telekommunikationsunternehmen verhindern.

Es ist gut, wenn die Internet-Community auch gesellschaftliche Verantwortung übernimmt, und ihr Fachwissen dafür einsetzt z.B. so genannte Darknet-Netzwerke aufzudecken, wo Darstellungen von Kindesmissbrauch getauscht und gehandelt werden.  Das muss dann aber in Form eines Strafantrags oder eines Hinweises an die Ermittlungsbehörden erfolgen. Denn in einem Rechtsstaat gibt es keinen Platz für Selbstjustiz.

Wenn Hacker mutmaßliche Pädo-Kriminelle eigenmächtig an den digitalen Pranger stellen, kann dies zu Vorverurteilungen führen, die im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens nicht mehr rückgängig gemacht werden können.  Die Unschuldsvermutung muss auch in der digitalen Welt gelten. Öffentliche Pranger braucht der Rechtsstaat nicht. Unsere Justiz ist ein hohes Gut. Das sollten wir bewahren.

Das Leitbild liberaler Netzpolitik orientiert sich am autonomen User und setzt auf Instrumente, die mehr Transparenz schaffen. Die nationale Politik darf nicht in die Regulierungsfalle eines globalen Netzes tappen, sie darf aber Verantwortung nicht abgeben und immer nur auf andere verweisen. Deswegen brauchen wir eine Modernisierung des Datenschutzrechtes, die zeitgleich auf die Europäisierung des Rechts setzt.

Und wir brauchen zeitgleich auch eines:

Die Selbstregulierungskräfte des Netzes müssen geweckt und genutzt werden. Die Zentralgestalt des Netzes ist nicht der Staat, sondern der mündige Nutzer. Transparenz und Information entfalten eine steuernde Kraft, die staatliche Regulierung so nie erreichen wird.

Aus der Rede Sabine Leutheusser-Schnarrenbergers beim Online-Medientreff der FDP-Bundestagsfraktion am 27. Oktober 2011 in Berlin

Über Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

  • Geboren: 26. Juli 1951
  • 1970 – 1975 Studium Rechtswissenschaften
  • Seit 1978 Mitglied der FDP
  • 1979 – 1990 Deutsches Patentamt in München, zuletzt Leitende Regierungsdirektorin
  • Seit 1990 Mitglied des Deutschen Bundestages
  • 1992- 1996 Bundesministerium der Justiz
  • Seit 1997 Rechtsanwältin
  • Seit 2000 Landesvorsitzende der FDP in Bayern
  • Seit 2009 Bundesministerin der Justiz

Weitere Informationen: promedia

 

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