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Mobile Publishing als Zukunftsweg?

Die Auflagenzahlen der Printmedien sprechen eine deutliche Sprache: Seit 2000 verloren die Publikumszeitschriften laut IVW 7 Prozent ihrer Auflage. Tages- und Wochenzeitungen büßten im selben Zeitraum 18 Prozent ein und Fachzeitschriften verloren sogar über 20 Prozent. Tendenz: weiter stark fallend. Ein Ende der Krise der Printmedien ist derzeit nicht in Sicht.

Dr. Klaus Goldhammer
Dr. Klaus Goldhammer

Entsprechend lang ist die Liste der Print-Titel, die der Marktsituation bereits zum Opfer gefallen sind. Vanity Fair, Amica, Park Avenue, Yam, Tomorrow oder Maxim sind nur einige der Titel, die seit 2008 in Deutschland eingestellt worden sind. In den USA weitet sich dieser Trend bereits stark auf die Tageszeitungen aus: Wenn es den Eignern des „San Francisco Chronicle“ nicht gelingt, das Blatt aus der angespannten wirtschaftlichen Lage zu manövrieren, droht die Stadt zur ersten US-Großstadt ohne Abonnement-Zeitung zu werden. Das könnte bald auch in Deutschland der Fall sein.

Trotzdem gelingt es auch einigen Titeln, unter diesen erschwerten Rahmenbedingungen gegen den Trend zu wachsen. Die Druckauflage der ZEIT etwa stieg von Anfang 2000 bis Anfang 2009 um 13 Prozent. Die Gala schaffte zumindest bis Mitte 2008 gegenüber dem Jahr 2000 einen Zuwachs von 19 Prozent. Auch die Süddeutsche Zeitung erzielte mitten in der Krise Rekordauflagen. Gründe dafür liegen sicher auch darin, dass einige der erfolgreichen Verlage für ihre starken Marken ganz bewusst vorher nicht erschlossene Vertriebswege nutzten. Der allgemeine Negativtrend aber bleibt bestehen.

Was sind die Hintergründe dieser Krise? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Verbreitung von Online-Medien und die zunehmende Akzeptanz insbesondere von Breitband-Internet sich parallel zu den Auflagenrückgängen der Printmedien vollziehen. Online-Medien und Printprodukte stehen offenbar in einer direkten Substitutionsbeziehung zueinander.

Doch nicht nur das Internet stellt die Verlage vor neue Herausforderungen – in naher Zukunft werden auch mobile Endgeräte zur allgemeinen und stets verfügbaren Abspielstation für Informationen jeder Art werden. Noch sind die Prozessoren der Mobiltelefone zu langsam, noch braucht der Seitenaufbau im mobilen Internet eine gefühlte Ewigkeit. Auch die Speicherkapazität eines Durchschnittsgerätes kann selbst mit den neuesten Speicherkarten schnell ausgeschöpft sein. Aber wenn die „Digitalen Gesetze der Informationswirtschaft“ stimmen, wenn sich also Rechenleistung, Speicherkapazität und Bandbreiten alle 12 oder 18 Monate verdoppeln, dann gehören diese Probleme bald der Vergangenheit an. Mobilfunk liegt in seiner Leistungsfähigkeit im Vergleich zur Bandbreite des Festnetzes konstant um rund 10 Jahre zurück. Anders ausgedrückt: Was heute im Festnetz-Internet möglich ist, wird in spätestens zehn Jahren auch im Mobilfunk möglich sein.

Diese Entwicklung eröffnet den Verlagen erhebliche Chancen. Über das Mobiltelefon sind bisher kaum erschlossene Nutzergruppen in praktisch jeder Lebenssituation erreichbar. Einer Studie unter 50 Tsd. Chinesen im Jahr 2008 etwa zufolge, hatten rund 90 Prozent der Befragten ihr Mobiltelefon nicht weiter als maximal einen Meter von sich entfernt, 24 Stunden pro Tag.

Hinzukommt, dass sich mobile Endgeräte rasend schnell in der deutschen Bevölkerung verbreitet haben. Lag die Mobilfunkpenetration Ende 1992 noch bei rund einem Prozent der Bevölkerung, so wurde Ende 2008 mit mehr als 130 Prozent Penetration eine der höchsten Durchdringungen in Europa gemessen. Dieser hohe Wert ergibt sich vor allem durch Zweit- und Drittgeräte, die bspw. beruflich genutzt werden. Somit ist heute quasi jeder mit dem Mobiltelefon erreichbar.

Mobile Publishing als Zukunftsweg?
Mobile Publishing als Zukunftsweg?

Um ihre Leser in Zukunft zu halten, werden die Verlage mittelfristig gezwungen sein, auf alternative Produkte und Verbreitungswege – darunter vor allem Mobile Publishing – auszuweichen. Das erfordern aber keineswegs allein die sinkenden Auflagenzahlen, sondern vor allem die sich wandelnde Mediennutzung. Insbesondere bei der Zeitungslektüre ändern sich die Gewohnheiten aus der Jugend mit dem Älterwerden praktisch nicht mehr (Kohortentheorie). Ein einfaches Zahlenbeispiel macht deutlich, wohin die Reise geht: Nach Analysen der AWA lasen 71 Prozent der 14-19jährigen 1984 täglich eine Zeitung. 20 Jahre später fällt diese Gruppe in den Bereich der 30-39jährigen, die auch im Jahr 2004 noch zu exakt 71 Prozent täglich Zeitung lasen. Dagegen nutzten nur 60 Prozent der 14-19jährigen im Jahr 1994 täglich eine Zeitung. Zehn Jahre später tat dies die entsprechend gealterte Zielgruppe (20-29jährige) immer noch. 2004 lasen nur noch rund 50 Prozent der 14-19jährigen pro Tag Zeitung und man muss kein Prophet sein, wie diese Altersgruppe sich 2014 verhalten wird.

Wer heute also keine Zeitung mehr liest, wird dies auch in zehn oder in zwanzig Jahren nicht tun. Wenn ein Verlag junge Zielgruppen über das klassische Produkt nicht erreicht, wird sich hieran auch in den nächsten Jahren nicht viel ändern.

Die Vorzeichen stehen schlecht für die Printmedien und vor allem für die Tageszeitungen: In einer Erhebung analysierte die ACTA 2008 die Nutzungen von Zeitung und Internet in den jeweiligen Altersclustern. Während hier drei Viertel der 60-64jährigen „Leser gestern“ sind und nur ein Fünftel derselben Zielgruppe täglich das Internet nutzt, ist dieses Verhältnis in jüngeren Altersclustern genau umgekehrt: Nur 15 Prozent der 14-19jährigen lasen nach ACTA-Angaben am Vortag Zeitung (Leser gestern) und fast 60 Prozent nutzen dagegen täglich das Internet. Zeitung lesen ist bei den Jüngeren inzwischen praktisch out! Stimmt die Kohortentheorie, dann wird dies in wenigen Jahren die gesamte Printbranche noch viel stärker als heute zum Umdenken zwingen.

Doch was hier so dramatisch und problematisch klingt, kann auch eine große Chance sein. Für die modernen Nutzer von Informationsgütern wird es zunehmend wichtiger, alle erdenklichen Angebote zu jedem Zeitpunkt, an jedem Ort und in jeder möglichen Form (bspw. digital und analog) abzurufen. Dieses „A3-Prinzip“ (Anything, Anyhow, Anytime) kann kein anderer digitaler Distributionsweg vergleichbar gut erfüllen wie das Mobiltelefon. Mobile Publishing kann also eine von diversen Lösungsformen sein, um Verlagen den Weg aus der Krise zu ebnen.

Informationen aus nur einer Quelle zu beziehen, ist ohnehin  veraltet. Schließlich steht heute jedem eine kaum überschaubare Vielzahl verschiedener Informationen zur Verfügung. Umso wichtiger werden Geschäftsmodelle, welche die Inhalte aggregieren und aus der Informationsflut und dem Datenchaos herausfiltern. Dies trifft in Zukunft insbesondere auch auf den Mobile-Bereich zu.

Noch steckt die Umsetzung von Mobile Publishing freilich in den Kinderschuhen. Erste onlinebasierte oder Mobile-Publishing-Versuche gibt es aber bereits. Buchverlage binden Buchbesprechungen als Videos online und mobil auf e-Commerce-Portalen ein. Buchtrailer werden zum Marketingtool. Mit Amazon steigt ein wichtiger Player in den Markt für eBooks ein. Google würde am liebsten auch alle Neuerscheinungen sofort und digitalisiert in die eigene Datenbank aufnehmen. Online-Ergänzungen der Printtitel sind längst schon weit verbreitet und könnten auch auf den mobilen Sektor ausgedehnt werden. Und auch die mobile Werbung wächst stark: Nach einer Goldmedia-Prognose wurden 2008 rund 100 Mio. Euro mobile Netto-Werbeerlöse in Deutschland erzielt. Bis 2012 dürften sich diese Umsätze verdreifachen.

Mobile Publishing wird für die Verlage immer wichtiger: Mit ihren klassischen Produkten allein würden sie auf einen mittelfristig schrumpfenden Kanal setzen. Die Zielgruppen von morgen brechen den Printmedien schon heute weg. Wer sie doch noch erreichen will, muss seine Produkte schnell und konsequent auf das „A3-Konzept“ (Anyhow, Anywhere, Anytime) ausrichten und Informationsgüter in jeder erdenklichen Form, zu jeder möglichen Zeit und an jedem beliebigen Ort anbieten. Wenn entsprechend der digitalen Gesetze der Informationswirtschaft in wenigen Jahren die mobilen Infrastrukturen so weit entwickelt sein werden, wie heute das Festnetz-Internet, ist Mobile Publishing eine echte Option. In jedem Fall müssen Verlage alle neuen Vertriebswege integrieren, um die Leser von Morgen an ihr Produkt und ihre Marke zu binden.

GRAFIK: Indizierte Auflagenentwicklung von Tageszeitung, Zeitschriften und ausgewählte Titel (Zeit, Gala) nach IVW

Autor:
Dr. Klaus Goldhammer, Geschäftsführer Goldmedia GmbH

Weitere Informationen zu Goldmedia: http://www.goldmedia.com/aktuelles.html