Werden #Adblocker zu neuen Gatekeepern im Internet? Goldmedia-Gastkommentar für kress.de

Werden Adblocker zu neuen Gatekeepern im Internet?

19.10.2015. Mehr als 40 Prozent der deutschen Onliner nutzen bereits heute Adblocker, unter den 18- bis 29-Jährigen sind es sogar bereits knapp 60 Prozent. Treffen diese Nutzer auf Webseiten, die ein Anschauen der Inhalte für Adblocker-Verwender verhindern, verlassen wiederum fast 60 Prozent diese Internetseite, bei den über 50-Jährigen sind es sogar fast 67 Prozent. (Goldmedia-Befragung, Oktober 2015, siehe Grafik)

Adblocker Nutzung in Deutschland, Okt. 2015, © Goldmedia 2015
Adblocker Nutzung in Deutschland, Okt. 2015, © Goldmedia 2015

Diese aktuellen Zahlen aus der Nutzerforschung weisen auf einen weiteren, recht dramatischen Anstieg in der Akzeptanz von Adblockern hin: Zuvor hatte der OVK (im BVDW) noch von einer Nutzungsquote von 21,5 Prozent berichtet und der Axel Springer Verlag von 23 Prozent auf bild.de. Bevor man nun aber in den Chor der Adblocker-Krieger einstimmt („Kampf der Plattformen“ und „technologisches Wettrüsten“), lohnt ein Blick auf die Zusammenhänge und Strategien der Player.

Große Plattformen zahlen und entwickeln Alternativen 

Im unverändert starken Wettbewerb der großen Plattform-Anbieter sind Werbeblocker nur einer von vielen Schauplätzen, aktuell eingesetzt von Apple mit der Öffnung seines mobilen Betriebssystems iOS für Adblocker. Dagegen bleiben eigene Angebote, wie Apple News, davon verschont. Das erinnert an den Rauswurf von Google Maps unter iOS6 im Jahr 2012.

Während auch Facebook die Werbegelder auf seine eigene Plattform ohne Adblocker locken möchte, zahlen Google, Amazon, Microsoft und andere an die Adblocker-Firmen, um auf deren Whitelist zu gelangen. Das ist ihnen kolportierte 30 Prozent der damit nicht geblockten, zusätzlichen Werbeumsätze wert. Wer sich das leisten kann, hat damit unter Umständen sogar einen Vorteil als offiziell Adblock-freier Vermarkter.

Adblocker als Robin Hood – Vermarkter als Sheriffs von Nottingham?

Im zweiten Feld der Auseinandersetzung betonen die Adblocker zunächst ihre edlen Motive für bessere Werbung und gegen aggressive und allgegenwärtige Online-Werbung. Und zweifellos geben sie den Nutzern ein Stück Kontrolle zurück und können uns von aufdringlichen, tracking-gesteuerten Online-Bannern erlösen, die uns nach einem Online-Shopping verfolgen.

Da Adblocker erstens nur von zehn Prozent der auf der Whitelist stehenden Webseiten Geld nehmen und zweitens die Einnahmen von den Großen der Branche nur als Unkostenpauschale (aufgrund der schieren Menge der freizuschaltenden Seiten) ausweisen, scheinen die edlen Motive plausibel. Der intensive Widerstand der Werbebranche, z.B. über deren Interactive Advertising Bureau IAB, gegen diese Acceptable-Ads-Initiative ist hingegen genauso verständlich. Schließlich dringen die Werbeblocker-Unternehmen mit einer gewaltigen technologischen Disruption in deren Markt ein – und entsprechend wird diese Auseinandersetzung um Markanteile auch von der anderen Seite mit Mitteln der Technologie, z.B. Adblocker-Blockern, beantwortet.

Publisher als Wolf im Schafspelz?

Nach der zunehmend flächendeckenden Bekämpfung der Gratiskultur mittels Paywalls und des Pyrrhussieges Leistungsschutzrecht erwächst den Publishern mit der zunehmenden Akzeptanz von Adblockern offensichtlich ein neues, ernsthaftes Problem. Entsprechend wurden auch hier die juristischen und technologischen Geschütze schnell aufgefahren. Dies ist aus deren Perspektive genauso verständlich wie legitim. Aber ist diese Reaktion angemessen?

Verleger und andere Inhalteanbieter gehen bereits viele alternative Wege, um ein tragfähiges Modell zur Refinanzierung ihrer Angebote zu entwickeln. Neben eigenen Paywalls finden sich mit Readly und Blendle etwa auch digitale Kioske für kostenpflichtige Angebote in der Markterprobung. Und für die Washington Post ist Amazon sicherlich eine sehr potente Vertriebsplattform, für deutsche Verleger gibt es vielleicht ähnlich geeignete Vertriebspartnerschaften.

Und da sind wir vielleicht beim Kern der aktuellen Auseinandersetzung: Verlage und angeschlossene Vermarkter waren in der analogen Welt zumeist selbst Gatekeeper. Im Zuge der Digitalisierung mussten sie sich von dieser komfortablen Marktposition, nicht ohne Wehklagen und Widerstände, verabschieden. Mit Adblockern wächst nun ein neuer Player heran, der das Potenzial hat, ein weiterer Gatekeeper zu Lasten der Verlage zu werden.

Mehr Cannes-Rolle, weniger Ad-Stalking

Interpretiert man die Nachfrage nach Adblockern aber als konstruktive Kritik, so steht wohl oftmals eher die Abneigung gegen die Sammlung von Verbraucherdaten und deren Nutzung bis hin zu einem als Ad-Stalking empfundenen Niveau im Vordergrund. Die Möglichkeit des Whitelistings bringt zudem eine gefühlte Selbstbestimmung in Bezug auf Werbung zurück, die Mediennutzer in anderen Medien durch Umblättern oder Umschalten besitzen. Gute Werbung wurde aber immer geschaut, als Cannes-Rolle in den Kinos sogar mal dafür bezahlt. Nicht die Werbung und das Geschäftsmodell an sich scheinen am Ende, sondern wohl eher dessen digitales Ausufern und und Wuchern.

Dr. Marcus Hochhaus (Goldmedia, München), Moritz Matejka (Goldmedia, Berlin)

Goldmedia, Dr. Marcus Hochhaus, Moritz Matejka
Goldmedia, Dr. Marcus Hochhaus, Moritz Matejka

Der Artikel wurde erstveröffentlicht bei kress.de

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