Social TV

Zusammenfassung der Studie: Social TV Aktuelle Nutzung, Prognosen, Konsequenzen

Social TV
Social TV in Deutschland

Mit der Studie “Social TV” hat Goldmedia ein umfassendes Werk mit eigenen Primärforschungen erstellt, welches alle relevanten Facetten des Phänomens Social TV beleuchtet, diskutiert und bewertet. Für all diejenigen, denen die gesamte Lektüre zu umfangreich ist (tldr- too long didn’t read), soll diese kurze Zusammenfassung einen schnellen Einblick in das Thema geben.

Die Notwendigkeit einer Studie zum Thema Social TV ergibt sich aus den veränderten TV-Nutzungsgewohnheiten der deutschen TV-Zuschauer: Insbesondere junge Zuschauer nutzen mobile Endgeräte, wie Smartphones und Tablets, parallel zum Fernsehen, um sich in sozialen Netzwerken über das aktuelle TV-Programm auszutauschen. Während dieses als „Social TV“ bezeichnete Verhalten in den USA bereits weit verbreitet ist, steckt es in Deutschland noch in den Anfängen. Doch auch hierzulande entwickelt sich ein Social TV-Markt aus Akteuren der TV-Branche sowie dem Online- und Mobile-Bereich.

Vor dem Hintergrund befasst sich die Studie „Social TV – Aktuelle Nutzung, Prognosen, Konsequenzen“ mit der aktuellen Nutzung von Social TV und ihren Auswirkungen auf bestehende Anbieter. Die Untersuchung inkludiert auch eine Betrachtung der Second Screen-Nutzung. Hierbei gilt es, die Nutzungssituationen, repräsentative Nutzungsdaten, aber auch die Motive der Nutzer zu erfassen. Dabei werden zahlreiche Fragen diskutiert: Welche Anwendungsmöglichkeiten bieten Social TV-Angebote? Welche Inhalte werden darüber verbreitet? Worüber tauschen sich die Nutzer aus? Wie erfolgt eine Bezugnahme zur Sendung? Und in welcher Weise wird über Sendungen bzw. handelnde Personen diskutiert?

Ausgehend von der Ist-Analyse der Social TV-Nutzung in Deutschland wird die zukünftige Entwicklung dieser Trends prognostiziert. Neben der Frage, ob und inwiefern sich die Social TV-Nutzung in Deutschland etablieren wird, ist von Interesse, welche Konsequenzen dies auf die Programmgestaltung der TV-Sender haben wird. Daraus resultieren Empfehlungen, wie TV-Sender und andere Akteure des Social TV-Marktes mit dem Trend umgehen sollen.

Die Studie widmet sich zusammenfassend den folgenden Fragenkomplexen:

  • Wie verändert sich der Medienumgang (Mediennutzungsverhalten, Medienkritik) durch das Zusammenwachsen von Fernsehen und Internet einschließlich der mobilen Nutzung und welche Bedeutung bzw. welchen Nutzen haben Zusatz-angebote für die lineare Fernsehnutzung?
  • Welche Auswirkungen hat die veränderte Mediennutzung für die betroffenen Medienmärkte?

Die Goldmedia GmbH hat im Auftrag der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) den aktuellen Social TV-Markt in Deutschland erhoben. Durch die Durchführung von Fokusgruppen, einer Big Data-Analyse, einer quantitative Nutzerbefragung sowie Teststudio-Forschung wurden Social TV-Nutzer analysiert. Experteninterviews dienten zur Validierung der Ergebnisse sowie zur Prognose zukünftiger Entwicklungen im Bereich Social TV und der möglichen Konsequenzen für TV-Sender. Die vorliegende Zusammenfassung gibt einen Überblick über zentrale Befunde. Die Ergebnisse bildeten die Basis für die Formulierung von Handlungsempfehlungen.

Definition von Social TV

Social TV ist ein Schlagwort, das seit 2010 immer öfter im Zusammenhang mit Fernsehen und Internet genannt wird. Für eine wissenschaftliche Betrachtung des Feldes ist es zu-nächst notwendig, dieses bislang unscharfe und ungenau beschriebene Konstrukt einer genaueren, trennscharfen und erschöpfenden Definition zu unterziehen. Ausgehend von dieser Definition ist eine umfassende Betrachtung des Forschungsgegenstandes möglich, wobei die Definition in weiten Teilen auch das Ergebnis der empirischen Forschung darstellt.

Unter Berücksichtigung technologischer, inhaltlicher, zeitlicher und kommunikativer Aspekte wird Social TV wie folgt definiert:

Social TV ist die TV-bezogene Nutzung von Social Media-Plattformen wie Facebook und Twitter, Websites oder Apps, die über eine soziale Austauschfunktion verfügen und/oder eine Interaktion mit dem TV-Programm ermöglichen. Die Nutzung erfolgt über internetfähige Endgeräte (wie z. B. Smartphones, Tablet-PCs, Notebooks, Smart TVs), synchron oder asynchron zum Fernsehkonsum.

Eine Nutzung der rein deskriptiven Fernsehprogramminformationen alleine zählt nach dieser Definition nicht zum Kernbereich von Social TV.

 

Social TV wird von mehreren Faktoren beeinflusst

Die Analyse des Social TV-Marktes und die Nutzerbefragung haben zahlreiche Treiber für die Entwicklung von Social TV aufgedeckt.

Kommunikatives Grundbedürfnis:

Die Fernsehzuschauer haben ganz offenbar ein Grundbedürfnis, sich über TV-Inhalte sozial auszutauschen. Ausdruck dessen ist die rasant zunehmende Nutzung von Social Media-Plattformen wie Facebook und Twitter, auf denen bereits zahlreiche Diskussionsbeiträge über TV-Inhalte zu finden sind.

Wachstum im Online- und Mobile-Markt:

Die technische Grundversorgung zur (mobilen) Internetnutzung verbessert sich in Deutsch-land stetig, die Bandbreiten werden immer weiter ausgebaut. Hinzu kommt die zunehmende Verbreitung internetfähiger, mobiler Endgeräte wie Smartphones, Tablets und Laptops. Sie begünstigen die Nutzung von Social TV.

Social TV verbindet Wachstumsmärkte Online, Mobile und TV:

Die hohe Internetnutzung spiegelt sich auch in den steigenden Werbeerlösen des Online- und des Mobile-Marktes. Beide verzeichnen die höchsten Wachstumsraten unter den Werbemärkten. Social TV verbindet die Vorteile der digitalen Werbung mit der Reichweite des TV. Die Verlagerung von Werbebudgets sowie die Entwicklung von Social TV befördern sich gegenseitig.

TV bleibt das reichweitenstärkste Medium:

Der Social TV-Boom korreliert mit dem stetigen Wachstum auf dem deutschen Fernseh-markt: TV erreicht nach wie vor mehr Bundesbürger als jedes andere Massenmedium. Die privaten Free-TV-Sender konnten ihre Werbeerlöse in den letzten Jahren kontinuierlich steigern. Auch der deutsche Pay-TV-Markt konnte in den letzten Jahren ein stetiges Wachs-tum verzeichnen.

Fragmentierung des Videokonsums behindert paralleles Social TV:

Zugleich ist das lineare Fernsehprogramm einer zunehmenden Anzahl an Konkurrenz-angeboten ausgesetzt. Non-lineare Online-Angebote, wie Video-on-Demand-Plattformen (VoD) und Mediatheken, befriedigen das Bedürfnis der Nutzer nach zeitlich flexiblen und mobilen Abrufmöglichkeiten von Bewegtbild-Inhalten. Die damit einhergehende Fragmen-tierung des Fernsehkonsums lässt vermuten, dass die Zahl der Personen, die zeitgleich eine TV-Sendung konsumiert, und damit auch die parallele Social TV-Nutzung abnimmt.

Enge Zeitbudgets und spannende Inhalte führen zur Parallelnutzung:

Ein wichtiger Faktor für die Entwicklung von Social TV ist die Parallelnutzung von Medien, die seit Jahren stetig zunimmt. Neben dem Fernsehkonsum wird am häufigsten das Internet parallel genutzt. Der Anstieg der Parallelnutzung von Medien ist auch auf das begrenzte Medienzeitbudget der Konsumenten zurückzuführen. Angesichts der täglichen Verpflichtun-gen bzw. Tätigkeiten steht jedem Konsumenten nur ein begrenztes Zeitbudget am Tag zur Verfügung, um Medien zu nutzen. Um dennoch aus Usersicht die interessantesten Inhalte zu konsumieren, werden Medien teilweise parallel genutzt.

Akteure, Anbieter und ihre Angebote

Auf dem Social TV-Markt agiert eine Vielzahl von Akteuren aus unterschiedlichen Branchen. Hierzu gehören Kabelnetzbetreiber und Mobilfunkanbieter, Hersteller von Fernseh- und mobilen Endgeräten, TV-Sender und eigentliche Printunternehmen sowie Entwickler von Betriebssystemen und Applikationen (Apps). Neben klassischen Unternehmen wächst der Markt durch Drittanbieter bzw. Start-ups.

Als Anbieter von Social TV wurden folgende Typen identifiziert:

  • TV-Sender liefern mit ihren produzierten Inhalten den „Gesprächsstoff“ für Social TV und bieten gleichzeitig sender- und/oder sendungsbezogene Social TV-Dienste an. Zudem nutzen sie Social Media-Plattformen als Marketingkanäle. Für die Sender ergibt sich damit eine neue Möglichkeit, Zuschauer an sich zu binden. Von Social Media-Plattformen und Social TV-Apps lassen sich die Zuschauer auf die sender-eigene Homepage bzw. in das klassische Programm umleiten. Gesteigerte Abruf-zahlen der Homepage bzw. höhere Einschaltquoten wirken sich positiv auf die zu erzielenden Werbeeinnahmen aus.
  • TV-Plattformbetreiber können zwar auch von Social TV profitieren, zeigen sich bei dem Einsatz von Social TV jedoch noch zurückhaltend. Auch Printunternehmen bringen spezielle Social TV-Apps auf den Markt oder ergänzen ihre bereits besteh-enden Apps um Funktionen, die einen sozialen Austausch unter den Nutzern ermög-lichen. Sie nutzen die Chance und bieten ihre Produkte auch in digitaler Form an.
  • Drittanbieter (Start-up-Unternehmen) versuchen, am Social TV-Trend zu partizipie-ren. Sie bieten spezielle Social TV-Apps an, die senderübergreifend anwendbar sind. Im Gegensatz zu den TV-Sendern können die Start-ups jedoch nicht auf eine bestehende Nutzerbasis zurückgreifen, weshalb sie oftmals Schwierigkeiten haben, eine kritische Masse an Nutzern für ihre Angebote zu begeistern. Neben dem Verkauf von Werbeflächen in ihrer App haben vereinzelt Drittanbieter zusätzliche Geschäfts-felder im Rahmen von Social TV erschlossen. Hierzu zählt insbesondere die Ver-marktung der jeweiligen Technologie als White-Label-Lösung sowie die technische Synchronisierung von First und Second Screen.
  • Auf Social Media-Plattformen wie Facebook und Twitter ist eine Vielzahl von Beiträ-gen mit TV-Bezug zu finden. Die Plattformen erhoffen sich durch den sozialen Aus-tausch über Fernsehinhalte ein Nutzerwachstum. Ihre generierten Nutzerdaten können sie TV-Sendern und Werbetreibenden anbieten.
  • Auf dem deutschen Social TV-Markt wurden 32 Social TV-Angebote (Websites und Apps) Ende 2014 erfasst, die in Summe über elf unterschiedliche Funktionen verfügen. Funktionen zur Diskussion über Fernsehinhalte werden am häufigsten in Social TV-Apps integriert. Ebenso ist das Angebot an Zusatzinformationen, Spielen und Electronic Programm Guides (EPG) stark verbreitet. Funktionen zur Interaktion mit dem TV-Programm und zu dessen Bewertung lassen sich in den Social TV-Apps vergleichsweise selten finden.

 

Nutzungsmotive und Nutzertypen

Hinter der Nutzung von Social TV stehen verschiedene Motive, die sich im Rückschluss auf die folgenden Grundmotive reduzieren lassen:

  • Verbindung zur Außenwelt (Gruppe)
  • Informationsbeschaffung
  • Unterhaltungsverstärkung (Erlebnis)
  • Orientierung intern/extern

Dabei schwanken die Motive der Nutzung zum Teil erheblich innerhalb von Subgruppen. So konnten Effekte in Bezug auf Geschlecht und genutzten Service gezeigt werden, die als identitätsstiftende Kommunikation im Rahmen einer „Patchwork Identity“ zu verstehen sind.

Im Rahmen einer Motivationstypologie konnten sechs verschiedene Nutzertypen voneinander abgegrenzt werden:

  • Interaktionseskapisten
  • Selbstdarsteller
  • Information Seeker (aktiv)
  • Input Sponge (passiv)
  • Misstrauischer Nutzer
  • Anonymer Nutzer

Im Ergebnis einer Persönlichkeitsanalyse (Neo-FFI über Neurotizismus, Extraversion, Offen-heit für neue Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit) zeigt sich, dass Social TV-Nutzer eher zu Nervosität neigen, angespannt und unsicher sind. Sie sind anfälliger für Auf-regung, aber auch für Anregungen. Die Beschäftigung mit Social TV kann zur Spannungs-abfuhr genutzt werden, aber gleichzeitig auch für neue Anspannungen sorgen.

Social TV-Nutzer sind aufgrund der höheren Extraversionswerte als geselliger als Nicht-nutzer zu beschreiben. Dies scheint deshalb plausibel, da gesellige Menschen in Isolation eher zu Social TV neigen, um Anschluss an Gruppen zu bekommen und das Gefühl des Alleinseins somit zu kompensieren.

Ferner sind die Social TV-Nutzer gewissenhafter, oftmals besser organisiert und diszipli-nierter. Offensichtlich sind diese Eigenschaften vorteilhaft, um überhaupt Social TV betreiben zu können. Es ist eben wichtig, dass der Social TV-Nutzer sich zum einen mit den techni-schen Voraussetzungen auseinandersetzt, zum anderen die betreffenden Kanäle bespielen kann und die dortige Kultur und Form der Kommunikation beherrscht. Zugleich ist es auch wichtig, gerade bei Serienformaten regelmäßig das lineare Fernsehen zu verfolgen und die entsprechenden Serien zu sehen, sich mit den Thematiken und Darstellern zu beschäftigen und ggf. zusätzlich externe Informationsquellen zu nutzen, um die Kommunikation zu befruchten – insgesamt also ein nicht unerhebliches technisches, inhaltliches und soziales Komplexitätsniveau – zu beherrschen.

 

Nutzungsformen, Kanäle und Formate

In der deskriptiven Nutzeranalyse zeigt sich, dass die Parallelnutzung nur einen Teil von Social TV darstellt. Fast ein Viertel der Social TV-Nutzer beschäftigt sich auch mit Fern-sehsendungen außerhalb deren Sendezeit, also asynchron. Beide Nutzungsmodi (synchron und asynchron) unterliegen starken Alterseffekten. Social TV-Nutzer sind jünger als die Deutschen im Durchschnitt.

Der Zugang erfolgt dabei überwiegend über einen Laptop (36 Prozent), gefolgt vom Smart-phone mit 29 Prozent und dem Tablet-PC mit 17 Prozent.

Die Nutzung erfolgt überwiegend über soziale Netzwerke wie Facebook, WhatsApp, Google+ und Twitter. Dabei werden in den meisten Fällen mehrere Kanäle genutzt.

Mit Blick auf die erhobenen Daten zeigen sich besonders Sendungen aus dem Bereich Doku-Soap und Pseudo-Doku-Soap sowie Informationssendungen (Nachrichten, Magazin, etc.) als erfolgreich. Gemessen an der Viralität der gesendeten Informationen sind die Sender selbst der Hauptkommunikator. Nutzerkommentare verbreiten sich deutlich weniger in den Netzwerken.

 

Synchrone vs. asynchrone Nutzung

Dem Großteil der Nutzer ist gemein, dass sie sich eher passiv verhalten, d. h. dass sie eher lesen als selbst zu schreiben. Die Relation ist dabei 80 Prozent lesen und 20 Prozent schreiben (80/20). Die sog. „90-9-1-Regel“ konnte empirisch hingegen nicht bestätigt werden.

Im Mediennutzungsverhalten ist der Social TV-Nutzer weniger an das lineare Fernsehen gebunden als der durchschnittliche Fernsehnutzer. Social TV-User nutzen mehr zeitver-setztes Fernsehen, VoD und Datenträger.

Im Rahmen der wahrnehmungspsychologischen Untersuchung konnten wir aufzeigen, dass sich das Gesamtinvolvement der Zuschauer durch die Nutzung von Social TV erhöht. Dabei findet eine Parallelnutzung im eigentlichen Sinne nicht statt. Vielmehr sind zwei Nutzungs-modi grundsätzlich zu unterscheiden:

Der asynchrone Modus, den wir als „peripheres Social TV“ bezeichnen, findet unabhängig von der Sendezeit statt und ist wahrnehmungspsychologisch von einer sonstigen Social Media-Nutzung nicht abzugrenzen.

Die synchrone Nutzung, von uns als „zentrales Social TV“ bezeichnet, findet im Gegensatz dazu als Second-Screen-Nutzung statt. Dabei laufen die visuellen Informationsströme von Fernsehsendung und Internetnutzung in einer sequenziellen Abfolge ab. Parallel zu diesen beiden visuellen Informationsströmen erfolgt die Rezeption des auditiven Informationsstro-mes, der Tonspur der Fernsehsendung.

 

Ökonomische Perspektive

Nachdem die Zahl der Social TV-Nutzer ab 14 Jahren seit 2010 stetig auf 7,8 Mio. im Jahr 2014 (14 Prozent der deutschen Onliner ab 14 Jahren) anstieg, ist bis 2017 mit einer weite-ren moderaten Zunahme zu rechnen: In Deutschland werden für das Jahr 2017 rund neun Mio. Social TV-Nutzer prognostiziert. Das Wachstum ist insbesondere auf die weiterhin stei-gende Verbreitung mobiler Endgeräte sowie die anhaltende Social Media-Nutzung zurückzu-führen. Darüber hinaus sehen wir folgende Faktoren, welche die zukünftige Relevanz von Social TV beeinflussen:

  • Die TV-Sender sind gefordert, Formate zu produzieren, die eine crossmediale Ver-marktung und interaktive Einbindung der Zuschauer ermöglichen. Dabei können die Sender zukünftig vermehrt auf die Analyse von Zuschauerdaten zurückgreifen, um ihre Inhalte an den Interessen der Zuschauer auszurichten.
  • Zur weiteren Etablierung und Verbreitung der Social TV-Angebote ist deren intuitive Bedienbarkeit eine wichtige Voraussetzung.
  • Ein mögliches Umdenken der Fernsehsender, künftig noch stärker auf Social TV-Elemente zu setzen, kann durch ein zusätzliches Einfordern der Werbeindustrie von crossmedialen Werbeformen evoziert werden.
  • Die technischen Voraussetzungen für neue Werbeformen sind mit der Automated Content Recognition-Technologie und Real-Time-Advertising bereits gegeben. Zudem wird die ansteigende Verbreitung der ans Internet angeschlossenen Fern-sehgeräte die Verbreitung von Social TV vorantreiben.

Abb. 1: Prognose der Zahl der Social TV-Nutzer in Deutschland 2013 – 2017, in Mio.

 

Prognose der Zahl der Social TV-Nutzer in Deutschland
Prognose der Zahl der Social TV-Nutzer in Deutschland bis 2017

 

Während für die Social TV-Nutzung eine positive Entwicklung angenommen wird, beein-trächtigen zukünftig zu erwartende konjunkturelle Zyklen der allgemeinen wirtschaftlichen Lage das Werbepotenzial von Social TV. Im Vergleich zu den Volumina anderer Werbe-märkte befinden sich die durch Social TV erzielbaren Nettowerbeerlöse ohnehin mit rund sieben Mio. Euro im Jahr 2014 und rund neun Mio. Euro in 2017 auf einem sehr niedrigen Niveau.

Abb. 2: Werbepotenzial von Social TV in Deutschland 2013 – 2017, in Mio. Euro (netto)

 

Werbepotenzial von Social TV in Deutschland 2013 - 2017, in Mio. Euro (netto)
Werbepotenzial von Social TV in Deutschland 2013 – 2017, in Mio. Euro (netto)

 

Soziologische und gesellschaftliche Perspektive

Betrachtet man Social TV unter soziologischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten, dann spielt in erster Linie der Einfluss auf die Informationsverbreitung und Meinungsbildung der Nutzer eine Rolle. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die internetbasierte Kommunikati-on der Fernsehzuschauer zukünftig vorwiegend auf klassischen Social Media-Plattformen oder Plattformen der Sender stattfinden wird. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass sich die Fernsehzuschauer auch über Messaging-Dienste zu TV-Inhalten austauschen.

Durch Social TV-Angebote können dem Zuschauer personalisierte Empfehlungen über das TV-Programm unterbreitet werden. Somit lässt sich beeinflussen, über welche Inhalte einzel-ne Nutzer diskutieren.

Der Meinungsaustausch findet hauptsächlich über soziale Netzwerke statt. Akteure der Fern-sehbranche können über diese Netzwerke ihre Nähe zu den Fernsehzuschauern stärken und sich somit als Meinungsführer positionieren. Bei den befragten Social TV-Nutzern wurde jedoch lediglich ein geringes Interesse festgestellt, während des Fernsehkonsums aktiv am Meinungsbildungsprozess teilzunehmen. Das Verhältnis von Verfassen und Lesen von Bei-trägen liegt nach Angaben der Befragten bei durchschnittlich 19:81 pro Zuschauer. Die TV-Sender nehmen selbst die Position der Meinungsführer ein, da diese im Vergleich zu den Social TV-Nutzern in sozialen Netzwerken die meisten Beiträge liefern. Nur von einem Bruchteil der Social TV-Nutzer werden die Beiträge der Sender kommentiert oder weiter-verbreitet.

Durch den Gebrauch sozialer Netzwerke ist es den Nutzern möglich, mit Gleichgesinnten eine (temporäre) Interessensgemeinschaft zu bilden, in denen sich über bestimmte Themen, z. B. eine Fernsehsendung, ausgetauscht werden kann. Lange Zeit wurde angenommen, dass sich dadurch Menschen mit einer abweichenden Meinung ermutigt fühlen, diese im Rahmen der Netzwerke kundzutun. US-Studien1 kamen jedoch zu dem Ergebnis, dass auch in den sozialen Netzwerken die Theorie der Schweigespirale besteht und sich schnell eine Meinung verfestigt.

TV-bezogene Beiträge auf Facebook oder Twitter werden häufig von anderen Medien auf-genommen, um Publikumsmeinungen zu TV-Inhalten aufzuzeigen. So ziehen Journalisten insbesondere Twitter-Beiträge des Öfteren heran, TV-Kritik zu üben bzw. die Meinung des Fernsehpublikums wiederzugeben. Unbeachtet dabei bleibt jedoch, dass längst nicht alle Fernsehzuschauer in sozialen Medien aktiv sind. Demnach muss die Meinung in sozialen Netzwerken nicht zwingend der Meinung des gesamten Fernsehpublikums entsprechen.

 

Rechtliche Perspektive

Im Umgang mit Social Media-Plattformen und anderen Social TV-Angeboten haben sowohl die Anbieter als auch die Nutzer rechtliche Aspekte zu beachten, die vor allem den Daten-schutz und das Urheberrecht betreffen:

  • Nach § 7 Abs. 1 des TMG sind Anbieter für ihre eigenen Inhalte verantwortlich und haften nach § 7 Abs. 2 sowie § 10 des TMG grundsätzlich nicht für fremde Informa-tionen, sofern sie sich diese nicht zu eigen machen oder sie trotz Kenntnis nicht löschen.
  • Social TV-Anbieter dürfen Nutzerdaten nicht ohne Zustimmung erheben.
  • d.R. räumt der Nutzer durch Bestätigung der AGBs dem Anbieter das unentgelt-liche, nicht-exklusive, zeitlich und räumlich unbeschränkte Recht ein, seine erstellten Inhalte zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen.

 

Handlungsempfehlungen

Aus den Ergebnissen dieser Untersuchung lassen sich für Fernsehsender folgende Hand-lungsempfehlungen ableiten:

  • Produktion von innovativen Formaten, die eine crossmediale Vermarktung zulassen
  • Intuitiv bedienbare Social TV-Angebote bereitstellen
  • Nutzerdaten auswerten, um zukünftige Formate noch besser an den Interessen der Zuschauer zu orientieren
  • Eine Social TV-Strategie definieren, die klare Ziele beinhaltet und in der für das Unternehmen relevante Social TV-Plattformen festgelegt werden
  • Soziale Medien zur weiteren Recherchemöglichkeit nutzen und das Publikum am Entstehungsprozess von TV-Inhalten teilhaben lassen
  • Mitarbeiter für den Umgang mit sozialen Medien schulen
  • Inhalte (auch) über Instant Messaging-Dienste verbreiten

 

Juristische, ökonomische und politische Auswirkungen von Social TV erscheinen derzeit gering, so dass sich kein akuter Handlungsbedarf erkennen lässt. Durch die Selbstkontrolle der Multimedia-Diensteanbieter existiert eine geeignete Plattform zur Selbstregulierung. Sofern es zu keinen relevanten Veränderungen in der Social TV-Landschaft kommt, erscheint dieses Instrumentarium ausreichend. Allerdings sollte die Entwicklung weiter beob-achtet werden.

Um die Kompetenzen im Umgang mit Social TV zu fördern, bieten sich folgende Optionen an:

  • Publikationen, Webportale, Informationsveranstaltungen bzw. Weiterbildungsan-gebote sollten auf die Bereiche Datenschutz und Urheberrecht hinweisen.
  • Ein Leitfaden könnte sowohl die Sender als auch das Publikum für das Thema vertieft informieren. Dieser könnte vor allem für Lokalsender hilfreich sein.
  • Bereits die Aus- und Weiterbildung von Fernsehmitarbeitern ist an die gestiegenen Anforderungen der Medienwelt anzupassen.

 

Fazit

Seit 2011 hat Social TV, die TV-bezogene Internetnutzung synchron oder asynchron zum Fernsehkonsum, in Deutschland stetig an Bedeutung hinzugewonnen. In dieser Zeit hat sich der Social TV-Markt konsolidiert, sodass die internetbasierte Kommunikation der Fernseh-zuschauer zukünftig vorwiegend auf klassischen Social Media-Plattformen oder Plattformen der Sender stattfinden wird. Ebenso ist zu berücksichtigen, dass sich die Fernsehzuschauer auch über Messaging-Dienste zu TV-Inhalten austauschen.

Zwar ist das Thema Social TV zunehmend auf die Agenda der Fernsehsender gerückt, jedoch scheint es bei den TV-Zuschauern nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Die Nutzung scheint nahezu zu stagnieren und die Anzahl potenzieller Social TV-Nutzer ist im Jahr 2014 bereits zu 70 Prozent ausgeschöpft. Bis 2017 wird daher lediglich ein leichter Anstieg der Social TV-Nutzung prognostiziert. Auf die Nettoerlöse aus Fernseh-, Online- und Mobile-Werbung hat Social TV kurz- bis mittelfristig kaum erkennbare Auswirkungen.

Nimmt man diese Nutzerzahlen und vergleicht sie mit den Kommentarzahlen der rund 90 untersuchten Sendungen, so erkennt man bei 3,8 Mio. Kommentaren im Jahr 2013 ein gewisses Ungleichgewicht, welches allerdings durch das Lese-/Schreib-Verhältnis der Social TV-Nutzer erklärt werden kann: Es gibt viele Personen, die wenig bis gar nicht selbst aktiv schreiben, sondern nur „konsumieren“, und es gibt wenige Social TV-Nutzer, die viel schreiben, also selbst aktiv „produzieren“.

Die meisten Fernsehzuschauer nutzen soziale Medien parallel, also synchron zum laufenden Fernsehen, wenn sie alleine sind oder in ihrem sozialen Umfeld niemanden finden, der oder die ähnliche TV-Präferenzen hat.

Asynchrone Nutzung existiert darüber hinaus in einem erheblichen Umfang (35 Prozent der Social TV-Nutzer gaben an, Social TV asynchron zu nutzen. 9 Prozent der Social TV-Nutzer betreiben Social TV sogar ausschließlich asynchron) und hat ihre ganz eigenen Motive. Beweggründe sind beispielsweise die sendungsspezifische Informationssuche oder die Diskussion zu einer abendlich gesehenen Sendung am nächsten Morgen.

Die Analyse der Verteilung der Ressourcen für die Informationsverarbeitung im mensch-lichen Organismus zeigt, dass die mentale Aktivität bei der Parallelnutzung von Fernsehen und Social TV höher ist als bei der alleinigen Fernsehnutzung. Das bedeutet, dass die beiden Medien sich nicht kannibalisieren, sondern ergänzen. Während der auditive Infor-mationsstrom exklusiv dem TV überlassen bleibt, teilen sich Fernsehen und Social TV den visuellen Informationsstrom, was zu einer teils parallelen (auditiv-visuell) und teils seriellen Verarbeitung (TV visuell und Internet visuell) führt.

Weil der auditive Kanal dem TV-Programm verbleibt, wird die visuelle Aufmerksamkeit durch auditive Hinweisreize immer wieder auf den Fernseher gelenkt, schwenkt aber auch auf Social Media, um Gesehenes zu diskutieren oder Informationen einzuholen. Die visuelle Aufmerksamkeit ist auf Fernsehen und Internet jedoch nicht gleich verteilt: Durchschnittlich entfallen etwa 60 Prozent der Aufmerksamkeit auf das Fernsehen und 40 Prozent auf das Internet, wobei diese Verteilung je nach Person und Sendung sehr stark schwankt.

Als wichtigster Treiber der Social TV-Entwicklung werden die TV-Sender angesehen, die verstärkt versuchen sollten, ihre Vorteile aus Social TV zu ziehen. Neben der Produktion angemessener Formate wird es wichtig sein, Lösungen für eine einfache Bedienbarkeit und für einen Mehrwert der Angebote sowie geeignete Geschäftsmodelle zu finden.

 

 

Social TV. Aktuelle Nutzung, Prognosen, Konsequenzen

http://www.vistas.de/vistas/schriftenreihen_detail/Social_TV/551/detail.html

Bibliografische Angaben und Kontakt

Herausgeber:

Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM)

Autoren:

Prof. Dr. Klaus Goldhammer, Goldmedia GmbH Strategy Consulting
Dr. Florian Kerkau, Goldmedia GmbH Strategy Consulting
Jan Schlüter, Goldmedia GmbH Strategy Consulting
Moritz Matejka, Goldmedia GmbH Strategy Consulting

 

Bibliografische Quellenangabe:

Goldhammer, Klaus; Kerkau,Florian; Schlüter, Jan; Matejka, Moritz: Social TV: Aktuelle Nutzung, Prognosen, Konsequenzen. Leipzig (Vistas), 2015. Schriftenreihe Medienforschung der      Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM), Band 76. ISBN 978-3-89158-612-9.

 

Quellenangabe für diese Zusammenfassung:

Goldhammer, Klaus; Kerkau,Florian; Schlüter, Jan; Matejka, Moritz (2015): Social TV: Aktuelle Nutzung, Prognosen, Konsequenzen – Zusammenfassung.

Online verfügbar unter:

www.lfm-nrw.de/foerderung/forschung/abgeschlossene-projekte/schriftenreihe-medienforschung/
band-76.html

 

Kontakt:

Prof. Dr. Klaus Goldhammer, Dr. Florian Kerkau, Jan Schlüter, Moritz Matejka: info@goldmedia.de

Goldhammer, Klaus; Kerkau,Florian; Schlüter, Jan; Matejka, Moritz: Social TV: Aktuelle Nutzung, Prognosen, Konsequenzen. Leipzig (Vistas), 2015. Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM), Band 76. ISBN 978-3-89158-612-9.

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