Entwicklung von Video-on-Demand: Es wird einen Boom geben. Klaus Goldhammer im Gespräch mit Videomarkt

„Es wird einen Boom geben“

Prof. Dr. Klaus Goldhammer zur Entwicklung von Video-on-Demand

München – In Zeiten von Hybrid-TV, Tablet und Smartphone werden digitale Filmabrufe immer einfacher. Wann die digitale Distribution zum relevanten Umsatzfaktor wird und was die Filmbranche dafür tun kann, erklärt Prof. Dr. Klaus Goldhammer, Geschäftsführer der Strategieberatung Goldmedia, im Gespräch mit VideoMarkt.

Prof. Dr. Klaus Goldhammer
Prof. Dr. Klaus Goldhammer

Der deutsche Videomarkt hat im ersten Halbjahr 96 Prozent seiner Umsätze mit physischen DVDs und Blu-rays erzielt. Wann wächst die digitale Distribution über ihr Nischendasein hinaus?
Denken Sie an die „Gesetze“ der Digitalisierung und der technischen Innovation: Rechenleistung, Speicherplatz und Bandbreiten verdoppeln sich alle zwölf bis 18 Monate. Diese Wachstumsdynamik wird sich im Videobereich immer deutlicher bemerkbar machen, weil die Übertragung von Bewegtbildinhalten zunehmend einfacher wird. Die Musikindustrie, die weniger große Bandbreiten benötigt, hat diese Erfahrung schon früher gemacht. In der Tat ist das Marktvolumen für Online-Video-on-Demand momentan noch gering. Allerdings gibt es in Deutschland auch nur wenige ernsthafte Angebote. Wenn Endkunden jenseits von iTunes und maxdome vernünftige Möglichkeiten präsentiert bekommen, steht der Markt vor einem großen Wachstum.

Es fehlen also große Player wie in den USA, die das Geschäft vorantreiben?
Sicher. Netflix hat insgesamt 25 Mio. Abonnenten, vor allem in den USA, und macht zwei Mrd. Dollar Umsatz im Jahr mit einem Angebot, das auf 450 Endgeräten verfügbar ist. Hulu ist einer der US-Markttreiber für kostenpflichtiges Video-on-Demand. Eine vergleichbare Plattform als „Market Maker“ gibt es in Deutschland bislang nicht. Allerdings passiert momentan eine Menge: RTL und ProSieben wollten eine gemeinsame Plattform aufsetzen, die aber vom Bundeskartellamt gestoppt wurde. Netflix startet demnächst sein Angebot in Europa, zunächst in Großbritannien und Irland. Auch große Player wie Apple, Google und Amazon stehen in den Startlöchern. Sobald ein konsolidiertes Angebot auf den Markt kommt, wo man wirklich alles finden kann, wird es auch in Deutschland einen Boom geben, zumindest aber eine Verlagerung vom stationären Verleih in Richtung Digitalmarkt.

Welches Vertriebsmodell wird sich durchsetzen?
Abomodelle sind natürlich charmant, weil Unternehmen über die fixen Gebühren sichere Umsätze erzielen. Momentan teilt sich das Geschäft in Deutschland etwa zur Hälfte in Kauf- und Leihumsätze auf. Interessant wird sein, ob der Besitz von Filmen im digitalen Raum überhaupt noch relevant ist. Vielen reicht es wahrscheinlich, sich einen Film nur einmal anzusehen.

Das Ende der Sammlermentalität?
Natürlich wird es weiterhin Menschen geben, die aktiv sammeln und archivieren. Gleichzeitig lösen viele Menschen ihre Musiksammlung bereits auf; der nächste Schritt werden Videos sein. Vor allem jüngere Altersgruppen haben sich längst davon verabschiedet, Entertainmentprodukte physisch oder digital besitzen zu müssen. Über cloudbasierte Dienste können sie das heute viel einfacher mit geringerem Aufwand bei der Verwaltung ihrer Daten handhaben.

Wie schwer ist es, Konsumenten im Netz zum Bezahlen zu animieren?
Sehr schwer, wenn man keine Angebote macht. Die Nachfrage bei kino.to war doch ein guter Indikator dafür, dass es großes Interesse an digitalen Videoinhalten gibt. Solange es kaum adäquate legale Angebote gibt, muss man sich über Raubkopierer aber nicht wundern. Ich glaube, dass viele Nutzer sehr wohl, schon aus reiner Bequemlichkeit, bereit wären, einen angemessenen Betrag für einen Film von hoher Qualität zu bezahlen.

Muss die Filmindustrie umdenken und ihre Verwertungsketten neu ordnen?
Die bestehenden Verwertungsfenster sind historisch gewachsen, aber heute wohl nicht mehr zeitgemäß. Mittelfristig kann man Konsumenten nicht mehr über solch lange Zeiträume von aktuellen Produktionen fernhalten. Deshalb wird die Filmindustrie ihre Fenster über kurz oder lang deutlich anpassen müssen.

Welche Herausforderungen stellt die Digitalisierung darüber hinaus an die Filmbranche?
Alle Medienindustrien, auch klassische Verlage oder Entertainmentanbieter, müssen sich daran gewöhnen, dass sich ihre Produkte in einem digitalen Wettbewerbsumfeld befinden. Auch die Filmbranche steht nicht unter Artenschutz. Ganz im Gegenteil: Jeder, der möchte, kann heutzutage Bewegtbildinhalte produzieren und distribuieren. Laut dem BLM Web-TV-Monitor gibt es 1.418 Web-TV-Sender allein in Deutschland; davon bieten nur drei Prozent kostenpflichtigen Content, etwa Mediatheken oder Video-Center wie RTL now oder maxdome. Ob die Qualität der Videoinhalte hoch oder gering ausfällt, ist dabei aber nicht die entscheidende Frage. Wichtig ist, dass alles im gegenseitigen Wettbewerb steht. Der „Kampf um die Augäpfel“ wird größer, denn letztendlich belegen auch YouTube-Schnipsel Zeit beim Konsumenten ab.

Wie wichtig ist die massenhafte Verbreitung hybrider TV-Geräte?
Sehr wichtig. Die zunehmende Verbreitung von internetfähigen TV-Geräten ist ein Resultat der digitalen Gesetze und der fortschreitenden technologischen Entwicklung. Wir gehen davon aus, dass bis 2016 rund 20 Mio. deutsche Haushalte mit mindestens einem aktiv vernetzten TV-Gerät ausgestattet sind. Dazu zählen auch Peripheriegeräte wie Spielekonsolen oder Blu-ray-Player, die ebenfalls den Zugang zum Internet ermöglichen.

Werden Filme in Zukunft weiterhin vor allem auf dem TV-Bildschirm konsumiert?
Ich war kürzlich auf einer Konferenz, bei der ein Referent engagiert diesen Standpunkt vertreten hat. Während er seinen Vortrag hielt, spielten mindestens 70 Prozent der Zuhörer auf ihren Smartphones, Tablets, Netbooks und Laptops herum. Was ich damit sagen will: Letztendlich geht es für Konsumenten darum, ein gewünschtes Angebot – vom YouTube-Katzenclip bis zum Hollywoodblockbuster – auf das jeweils bevorzugte Endgerät zu bekommen. Ich glaube nicht, dass man sich in diesen Zeiten auf einen Kanal beschränken kann oder sollte. Vielmehr wird der Zugang zum Internet ubiquitär, ob via Laptop, Smartphone, Tablet, Spielekonsole oder Fernseher. Für meine Begriffe ist der entscheidende Treiber, dass diese alten technischen Hürden überwunden werden können. Und Netflix macht es ja vor.

Wie wichtig sind mobile Angebote für die Videoindustrie?
Im Rahmen unseres Mobile Monitors haben wir 1000 Smartphone-Besitzer nach ihren Gewohnheiten gefragt. Eines der Ergebnisse: 63 Prozent der Befragten sehen sich über ihr Handy auch Videos an. Auf dem US-Markt werden sowohl Hulu als auch Netflix von zwei bis drei Prozent der Kunden mobil genutzt. Das mag nach wenig klingen, aber zwei Prozent von 25 Mio. Abonnenten ergeben eine halbe Million Kunden. Hält man sich dann vor Augen, dass sich die mobilen Bandbreiten alle zwölf Monate verdoppeln, dann steht diese Sparte in den nächsten fünf Jahren vor einer großen Zukunft.

Welche Rolle spielen Facebook & Co. für die Studios?
Alle Unternehmen müssen die entsprechenden Kanäle bespielen, um ihr Publikum zu erreichen. Ohne Social-Media-Kampagne kann heutzutage kein größerer Film mehr an den Start gehen. Gerade deshalb müssen sich Firmen verstärkt mit den Nutzungs- und Nachfragegewohnheiten ihrer Zielgruppe auseinandersetzen. Momentan sind etwa 20 Mio. Deutsche auf Facebook aktiv, die als Kunden abgeholt werden müssen.

Ist Social Media Marketing- oder Vertriebskanal?
Social Media ist natürlich viel mehr als ein pures Marketinginstrument. Mark Zuckerberg hat kürzlich auf seiner F8-Entwicklerkonferenz angekündigt, dass Facebook zu einer Distributionsplattform für die Print-, Musik- und Filmindustrie wird. Der Kniff ist relativ einfach:  Facebook-Nutzer erfahren live in ihrem Ticker, wenn sich ihre Freunde auf Spotify Musik anhören oder einen Film bei Netflix ansehen – und können selbst nur durch einen Klick in den Genuss des Titels oder Films kommen. Partner im Videosegment sind wiederNetflix, Hulu oder Blockbuster. Sollte dieser Ansatz funktionieren, halte ich das Ganze für eine der fundamentalsten Veränderungen seit langem in diesem Geschäft. Facebook könnte sich mit Hilfe seiner Rolloutpartner zu einer entscheidenden Distributionsplattform für Bewegtbildinhalte entwickeln.

Allerdings erst einmal nur in den USA. Wie schnell erreichen solche Entwicklungen den deutschen Markt?
Ich glaube nicht, dass eine Adaption auf dem deutschen Markt lange auf sich warten lässt, wenn das Konzept in den USA erfolgreich ist. Wir sind hierzulande nicht so weit von der Entwicklung neuer digitaler Features entfernt, wie es manchmal den Anschein hat. Außerdem glaube ich, dass die meisten Rechteinhaber sehr stark daran interessiert sind, Facebook als Vertriebsplattform für ihre Inhalte zu nutzen. Die Dynamik, Reichweite und die Netzeffekte, die dahinter stehen, sind gewaltig.

Fassen wir zusammen: Wo geht die Reise der digitalen Filmdistribution hin?
Die Nachfrage auf Nutzerseite ist schon heute erkennbar vorhanden. Bislang konnte diese Nachfrage vielleicht nicht optimal bedient werden, auf Seiten der Industrie eine vergebene Chance. Das bedeutet aber nicht, dass nicht innerhalb kürzester Zeit ein digitales Angebot in Deutschland auf den Markt kommen kann, das die Erwartungen erfüllt. Auch die werbetreibende Industrie wird Onlinevideos früher oder später als relevanten Markt entdecken. Das könnte nochmals für zusätzliche Dynamik sorgen – auch bei professionellen Videoangeboten. Aufpassen müssen singuläre, rein nationale Plattformen. Langfristig werden die Dynamik und die schieren Netzeffekte von Playern wie Apple, Google, Facebook und Amazon auch im deutschen Markt noch weiter spürbar werden.

Autor: Daniel Scharnagl, Redakteur VideoMarkt, Ausgabe 23/2011, S. 26-27


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4 thoughts on “Entwicklung von Video-on-Demand: Es wird einen Boom geben. Klaus Goldhammer im Gespräch mit Videomarkt

  1. Geehrter Herr Goldhammer,
    vielen Dank für Ihren umfangreichen Beitrag zu diesem zukunftsträchtigen Thema. Meiner Meinung nach wird die digitale Distribution weiter steigen. Es ist verwunderlich, weshalb dies immer noch ein Nischenprodukt ist. Vielmehr sollte die Industrie intensive Bemühungen dahingehend erbringen, dass dieser Sektor modernisiert wird und der Zugang zu digitalen Medien vereinfacht wird. Beste Grüße Artur Nietsch

  2. …. so einfach ist der Übergang vom “analogen” DVD-Geschäft zu Online-VoD nicht zu managen. Denn niemand will (verständlicher Weise) die bestehenden Cashcows leichtfertig opfern. Und wie gesagt: Anders als in den USA mit Netflix und Hulu gibt es noch keine prominente Anlaufstelle, die alle Sender und Interessensgebiete vereint. Insofern dauert der mediale Wandel noch seine Zeit.

  3. Was mich etwas erschreckt ist ihre Unwissenheit über das Thema Video on Demand. Sie schreiben so als ob es nur video ob Demand über Internet geht. Nein man braucht kein Internet.
    Video on Demand geht auch über SAT bzw DVB-T!!! Aber das wissen Sie wahrscheinlich gar nicht …..:-(

  4. Lieber Herr Papas, seien Sie ganz unbesorgt: Dieser Umstand ist mir wohlbekannt.. Auch die VoD-Plattformen der Kabelnetzbetreiber.

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