Wir müssen die Welt nicht immer neu erfinden. Thomas Kleist, Intendant des Saarländischen Rundfunks, im Gespräch mit promedia

Neuer SR-Intendant: Selbstbewusst und mit Ideen für eine stärkere Profilierung

Seit April ist Thomas Kleist als Nachfolger von Fritz Raff, der im Januar verstarb, Intendant des Saarländischen Rundfunks. In einem promedia-Interview äußerte er sich selbstbewusst und optimistisch zur Zukunft der ARD-Anstalt: „Das Motto „Kooperation statt Fusion“ bleibt unser Leitmotiv. Das ist einer der drei Pfeiler, den Sender dauerhaft zu sichern. Der zweite ist eisernes Sparen, der dritte ein fairer ARD-Finanzausgleich. Hier sehe ich übrigens Nachbesserungsbedarf.“ Unter Verweis auf den Wegfall der Tour de France-Übertragung im Ersten, für die der SR die Federführung hatte, versicherte Kleist, dass die Bedeutung des SR innerhalb des Gesamtverbundes nicht abnehmen darf. „Also müssen wir ein starkes Profil und damit Unverzichtbarkeit auf einem anderen Gebiet für die ARD und das Erste entwickeln – eine Kernkompetenz, die jede andere Landesrundfunkanstalt zu der Aussage bringen muss: Ja, das kann der SR am besten und dafür brauchen wir ihn.“

Thomas Kleist
Thomas Kleist

promedia: Herr Kleist, welche Rolle spielt heute der Saarländische Rundfunk im Konzert der ARD?
Thomas Kleist:
Die ARD ist eine Arbeitsgemeinschaft. Sie setzt sich zusammen aus großen, mittleren und kleinen Anstalten, die in ihren jeweiligen Sendegebieten verwurzelt sind. Das ist ihre Stärke. In dieser föderalen Struktur ist der SR unverzichtbar, steht aber erneut vor großen Herausforderungen. Wir werden uns zum Beispiel damit befassen, wie sich der SR nach Wegfall der langen Livestrecken der Tour de France im Ersten im bundesweiten Fernsehen positionieren wird. Natürlich werden wir weiter Federführer innerhalb der ARD für den Radsport bleiben, aber die Bedeutung dieses Sports hat nicht zuletzt aufgrund der Dopingproblematik abgenommen. Die Bedeutung des SR innerhalb des Gesamtverbundes aber darf nicht abnehmen. Also müssen wir ein starkes Profil und damit Unverzichtbarkeit auf einem anderen Gebiet für die ARD und das Erste entwickeln – eine Kernkompetenz, die jede andere Landesrundfunkanstalt zu der Aussage bringen muss: Ja, das kann der SR am besten und dafür brauchen wir ihn. Dass wir der französischste aller deutschen Sender sind, ist ein Teil dieses Profils. Aber nehmen Sie auch etwa unseren sehr erfolgreichen „Tatort“ oder unsere Beiträge für „Plusminus“ und die „ARD-Ratgeber: Reise“-Sendungen, allesamt Beiträge, die sich im wahrsten Sinne des Wortes sehen lassen können.promedia: Welche Rolle sollte er in den nächsten Jahren spielen?
Thomas Kleist:
In erster Linie auf jeden Fall seine Rolle als der Sender für das Saarland und die Großregion Saar-Lor-Lux. Unsere Imagestudie aus dem vergangenen Jahr hat erneut bewiesen: wir sind ein wichtiges Stück Heimat, unsere Programme sind Teil der Lebensläufe und des täglichen Lebens der Saarländerinnen und Saarländer. Innerhalb der ARD sind wir in Sachen Kooperationen vorbildlich und unser Gebührenmitteleinsatz erfolgt effektiv. Das wurde sogar von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) besonders gewürdigt. Unser Newsroom-Konzept hat ebenfalls viel Beachtung gefunden und wurde bereits von vielen anderen übernommen. An solchen Punkten zeigt sich die Stärke des SR: Klein, schnell und wendig zu sein, kurze Kommunikationswege zu haben, ist im trimedialen Zeitalter ein wichtiger Trumpf, den wir in Zukunft noch stärker ausspielen wollen.

promedia: Welche Aufgabe hat der SR bei der regionalen Information über Fernsehen und Radio zu erfüllen?
Thomas Kleist:
Ich sehe das Aufgabenspektrum viel breiter angelegt. Der SR deckt mit seinen Hörfunk-Programmen und dem Fernsehen weitestgehend den Bedarf der Saarländerinnen und Saarländer an Information, Sport, Unterhaltung und Service ab; er leistet diese Kernaufgabe und vieles mehr wie das Unterstützen von Festivals und Veranstaltungen als verlässlicher Partner, das Ausschreiben von regional und überregional wichtigen Preisen, das Veranstalten von wichtigen und unverzichtbaren Kulturereignissen, das Vorhalten eines Orchesters mit hervorragendem Ruf weit über die Grenzen Europas hinaus so dicht, so intensiv und so zeit- und ortsunabhängig wie kein anderes Medium im Land. Damit erfüllen wir unseren Auftrag als Landesrundfunkanstalt oder anders gewendet, den öffentlichen Auftrag, für den wir Rundfunkgebühren erhalten und folglich den Menschen auch was Entsprechendes zurückgeben müssen.

promedia: Sehen Sie Möglichkeiten oder Notwendigkeiten, diese regionale Information noch auszubauen?
Thomas Kleist:
Kein anderes elektronisches Medium berichtet umfassender über die Ereignisse und Entwicklungen im Saarland. Wir sind nah dran an den Menschen und an den Themen, die sie interessieren und bewegen. Wenn wir dieses Niveau halten können, dann bleiben wir ganz nah am Optimum dessen, was überhaupt möglich ist. Aber natürlich werden wir unsere einzelnen Sendeformate ständig überprüfen und kontinuierlich weiterentwickeln. Hier darf die Zeit nicht stehenbleiben. Doch das ist eher eine Evolution unserer erfolgreichen Marken.

promedia: Könnte das Internet hier noch eine stärkere Rolle spielen?
Thomas Kleist:
Es könnte nicht, es wird! Die Gegenwart und noch mehr die Zukunft sind trimedial. Natürlich spielen unsere klassischen Programmangebote in Hörfunk und Fernsehen noch auf lange Zeit die herausragende Rolle. Gleichwohl müssen wir den vieldiskutierten Generationenabriss verhindern. Die so genannte „Generation facebook“ stellt die Öffentlich-Rechtlichen vor große Herausforderungen, weil das Medienverhalten der Jüngeren stark auf dem Internet basiert und neue Ausspielwege wie etwa Smartphones ganz neue Perspektiven der Nutzung eröffnen. Das betrifft das gesamte System, aber auch den SR im Speziellen. Wir dürfen die Jüngeren keinesfalls aus den Augen verlieren. Und wir müssen darauf achten, dass wir insgesamt beim Thema neue Medien nicht gegenüber unserer Konkurrenz ins Hintertreffen geraten. Denn nicht nur die Jungen sind im Netz. Auch die „Silver Surfers“ haben die Vorteile der zeit- und ortsunabhängigen Nutzung entdeckt. Hbb-TV zeigt: Wir stehen vor einem entscheidenden Durchbruch. Wenn das Internet über den Fernseher für viele im Wohnzimmer abrufbar wird, dann ist klar, dass wir vor großen Veränderungen stehen. Unsere Stärke sind die Inhalte. Auf welchem Wege sie am Ende das Publikum erreichen, spielt irgendwann wahrscheinlich nur noch eine untergeordnete Rolle.

promedia: Sie haben die Sendung „SaarLorLüx“ im Programm, die über die benachbarten ausländischen Regionen informiert. Könnte der SR seine hervorragende europäische Position noch stärker auch in das Erste einbringen?
Thomas Kleist:
Das Thema Frankreich und Großregion zieht sich wie ein roter Faden durch alle unsere Programme und Sendungen. Das ist und bleibt eine Kernkompetenz des Saarländischen Rundfunks. Seit den 80er Jahren plädiere ich für eine grenzüberschreitende Frequenzpolitik als Basis für ein gemeinsames Rundfunkprogramm für die Großregion Saar-Lor-Lux, natürlich am liebsten mit Sitz in Saarbrücken. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass die interregionale Idee in einem vereinten Europa ohne einen entsprechenden Kommunikationsraum ein politischer Traum bleiben wird. Insoweit können wir dann auch unserem Integrationsauftrag in besonderer Weise Rechnung tragen. Denkbar und wünschenswert wäre beispielweise auch eine grenzüberschreitende Volontärsausbildung. Hier könnte der SR, wie etwa beim Deutsch-Französischen Journalistenpreis, die Federführung übernehmen. Solche Initiativen werden sich dann automatisch über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in unseren bundesweiten Angeboten widerspiegeln.

promedia: Der Saarländische Rundfunk gehört zu den kleineren ARD-Anstalten. Wird er sich angesichts der moderaten Gebührenentwicklung und der zunehmenden Produktionskosten auch in den nächsten Jahren als Einzelkämpfer behaupten können?
Thomas Kleist:
Ich stehe für eine Zukunft des SR als selbstständige Landesrundfunkanstalt. Das Motto „Kooperation statt Fusion“ bleibt unser Leitmotiv. Das ist einer der drei Pfeiler, den Sender dauerhaft zu sichern. Der zweite ist eisernes Sparen, der dritte ein fairer ARD-Finanzausgleich. Hier sehe ich übrigens Nachbesserungsbedarf.

promedia: Das Thema ist für Sie nicht neu. Als Vorsitzender des Verwaltungsrates haben Sie sich auch mit Geld befasst. Um konkreter zu werden: Muss die Gebührenverteilung innerhalb der ARD nach einem anderen Schlüssel als bisher erfolgen, damit auch kleinere Anstalten ihren Auftrag erfüllen können?
Thomas Kleist:
Bis 2014 haben wir auf Grund der Verlängerung der Bonner und Hamburger Beschlüsse sowie der Festschreibung des geltenden Fernsehvertragsschlüssels zunächst einmal ARD-intern die Dinge im Lot. Mir wäre es jedoch viel lieber, für die Zeit danach statt dieser Vielzahl von kleinteiligen, stets befristeten Vereinbarungen, die immer wieder neu ausgehandelt werden müssen, zu einer grundsätzlichen und dauerhaften Neuordnung des gesetzlichen Finanzausgleichs für Radio Bremen und den Saarländischen Rundfunk zu kommen. Das Abschmelzen des Finanzausgleichs basierte seinerzeit auf einem rein politischen Beschluss, der jeglicher sachlich nachvollziehbarer Grundlage entbehrte. Aus meiner Sicht muss das korrigiert werden, was uns rechtlich übrigens auch zusteht. Dass die künftigen Rundfunkabgaben zunächst 2013 und 2014 auf dem Niveau der bisherigen Gebühr verharren sollen, ist zwar einerseits für die Gebührenzahler gut, bereitet aber einem Medienunternehmen angesichts allgemeiner Kostensteigerungen logischerweise Probleme.

promedia: Wo könnte die Arbeit der Rundfunkanstalt noch effektiver gestaltet werden?
Thomas Kleist:
Der SR gilt zwar laut KEF-Bericht schon jetzt als der sparsamste Sender im ARD-Verbund, dennoch gibt es keinen Grund sich zurückzulehnen. Wir haben beim Personalabbau schon viel geleistet und das Ende der Fahnenstange fast erreicht. Wir müssen nun noch tiefer in die Strukturen gehen. So werde ich alle Prozesse sowohl im Verwaltungsbereich wie auch im Programmbereich mit dem feinen Kamm darauf hin untersuchen, ob nicht noch weitere Kostenoptimierungen generierbar sind. Auch dabei wird sich in jedem Einzelfall die Frage nach möglichen Kooperationen stellen, wie übrigens auch von der KEF gefordert. Und natürlich werde ich auch weitere Kooperationen im ARD-Verbund in den Bereichen Verwaltung und Programm anstreben. Mein wichtigster Ansprechpartner ist hierbei derzeit unser Nachbar im Südwesten, der SWR.

promedia: Der SR war bei digitalen Anwendungen bisher sehr experimentierfreudig. Welche Notwendigkeiten sehen Sie für einen kleinen Sender auf diesem Gebiet?
Thomas Kleist:
Das Thema Trimedialität muss noch stärker in den Köpfen unserer Programmverantwortlichen verankert werden. Als kleiner Sender haben wir es hier sicherlich etwas leichter. Und ich sehe uns bereits auf einem guten Weg; es wurde schon viel erreicht. Über kurz oder lang müssen unsere Organisationsstrukturen aber dann auch zur neuen Medienwelt passen. Dieser Prozess muss allerdings von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mitgetragen werden. Ich freue mich auf gute Ideen aus den Programmen und will mich selbst hier nachhaltig einbringen.

promedia: In der ARD wird über einen Ausbau des Angebotes für junge Zuschauer bis 29 Jahre diskutiert. Martin Stadelmaier hat einen Jugendkanal anstelle der Digitalkanäle gefordert. Sehen Sie die Notwendigkeit und Möglichkeit eines öffentlich-rechtlichen Jugendkanals?
Thomas Kleist:
Mit der Idee eines Jugendkanals der Öffentlich-Rechtlichen im bundesweiten Angebot kann ich mich gut anfreunden. Dies allein ist aber nicht die Antwort auf alle Probleme und Fragen im Zusammenhang mit dem Generationenabriss. Klar ist, wir müssen hier mehr tun. Und vielleicht hilft es, die Jugendlichen selbst mehr einzubinden. Ich denke zum Beispiel im Saarland an eine Kooperationsplattform mit den saarländischen Jugendverbänden. Man muss die Lebenswirklichkeit junger Menschen genau analysieren, um dann die richtigen Schritte einzuleiten.

promedia: Was wäre für Sie eine Alternative zu einem Jugendkanal, um mehr Jugendliche zu erreichen?
Thomas Kleist:
Wir müssen die Welt nicht immer neu erfinden; ein schönes Beispiel für solche Initiativen ist aktuell ZDF Login: ein Angebot auf dem ZDF-Infokanal, das die bisherigen Parallelwelten analoges Programm mit Social Networks wie  Twitter und Facebook auf einer Plattform verbindet und auf diese Weise den „digital native“, also die Generation Internet, erreicht, um es mal in der Jugendsprache auszudrücken. Allerdings sehe ich solche Angebote nicht als Alternative, sondern als eine Möglichkeit unter vielen den richtigen Weg zu der jüngeren Generation zu finden.

Thomas Kleist, Intendant des Saarländischen Rundfunks

 

Weitere Informationen: promedia

 

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