Neue Gefahr für das terrestrische Fernsehen? Gastbeitrag von Claus Sattler bei kress.de

Das gesamte UHF-Band soll für den Mobilfunk geöffnet werden. Brauchen wir langfristig noch ein Nebeneinander von terrestrischen Rundfunk- und zellularen Mobilfunknetzen?

Alle Jahre wieder treffen sich Frequenzplaner weltweit zu einer sogenannten „Wellenkonferenz“. Ziel ist es hier, auf dem Verhandlungswege die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Staaten bei der Nutzung des Frequenzspektrums abzustimmen, da sich Funkwellen nicht an Staatsgrenzen stoppen lassen.

Prof. Claus Sattle, Goldmedia Innovation GmbH
Prof. Claus Sattler, Goldmedia Innovation GmbH

Das Ergebnis der letzten Konferenz im Februar 2012 ist für den terrestrischen Rundfunk von weitreichender Bedeutung: Auf Betreiben afrikanischer und arabischer Länder wurde auf der Weltfunkkonferenz WRC-12 beschlossen, dass ab 2015 auch in Europa der Rest des sogenannten UHF-Bandes, nämlich der Bereich von 694-790 MHz, gleichberechtigt für den Rundfunk und den Mobilfunk zur Verfügung gestellt werden soll. Bislang wird dieser Frequenzbereich ausschließlich für Rundfunkdienste genutzt. Postwendend wiesen Vertreter des terrestrischen Rundfunks DVB-T auf die möglichen Probleme hin, die sich sowohl für das Antennenfernsehen als auch für den Einsatz drahtloser Mikrofone ergeben könnten. Ihre Argumente, man brauche Planungssicherheit für Nutzer und Betreiber bisheriger Technologien sowie zu den positiven Zukunftsaussichten von DVB-T2 in diesen Frequenzbereich, erscheinen nachvollziehbar.

Trotzdem sollten wir angesichts der rasant zunehmenden mobilen Nutzung von audio-visuellen Inhalten über Smartphones und Tablets sowie des eher geringen Nutzungsanteils von DVB-T über einen mittel- bis langfristigen Paradigmenwechsel zumindest einmal anfangen nachzudenken.

Die Situation: Der Anteil der Haushalte, die digital-terrestrisch Fernsehen empfangen, ist mit elf Prozent in den letzten Jahren nahezu konstant geblieben. Die DVB-T Lizenzen für die Fernsehsender laufen je nach Vergabezeitpunkt ab 2014 schrittweise aus. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist unklar, ob insbesondere die privaten Fernsehsender ihre Lizenzen verlängern bzw. neu beantragen werden. Der Übergang zu DVB-T2, der auch den HD-Empfang ermöglichen würde, ist mittlerweile verschoben und birgt zudem Unwägbarkeiten, wie viele Nutzer den neuerlichen technologischen Umstieg mitmachen würden.Eine Frage, die angesichts der Ergebnisse der Wellenkonferenz WRC-12 auch gestellt werden sollte, ist: Macht es langfristig aus Sicht der Frequenzökonomie aber auch der Nutzungsformen wirklich Sinn, im terrestrischen/mobilen Bereich zwei verschiedene Netzarten zu betreiben? Schon die beiden unterschiedlichen Begriffe kann man ja in Frage stellen. Stattdessen könnte man langfristig auf eine einheitliche Technologie eines universellen Multimedianetzes hinarbeiten, das sowohl den stationären und mobilen Fern­seh­empfang als auch die wachsende mobile On-Demand-Nutzung von Fernsehinhalten und Videos ermöglicht.

Dafür gibt es bereits eine ganze Reihe von technischen Voraussetzungen: Die Mobilfunktechnologie LTE etwa verfügt über einen Broadcastmodus, der auch im Modus eines Single Frequency Networks (SFN) betrieben werden kann. Da bisher keine Nachfrage vorhanden ist, liegt er jedoch brach. Eine für die USA durchgeführte Studie von Ericsson hat ergeben, dass bei der Übertragung aller TV-Programme eines Gebietes anstelle von 300 MHz im amerikanischen TV-Standard ATSC durch den Einsatz von LTE-MBMS nur 84 MHz benötigt werden (Ericsson 2011). Darüber hinaus ermöglicht das sogenannte Scalable Video Coding verschiedene Qualitätsdarstellungen in einem Strom und hilft dadurch weiter, Übertragungskapazität einzusparen.

Die Entwicklung hin zu einem einheitlichen Multimedianetz für die mobile Übertragung im UHF-Band birgt viele Chancen, aber sicher auch Risiken. Die Chancen liegen vor allem in der Anpassung der Netze an die veränderten Nutzungsbedingungen audio-visueller Informationen, die zum verstärkten On-Demand-Abruf anstelle von Live-TV (Großereignisse ausgenommen) tendieren. Zugleich könnte das Netz selbst dynamisch die aktuelle Abrufsituation berücksichtigen, zum Beispiel durch Umschaltung in den Broadcast-Modus. Ein Risiko besteht allerdings in der Internationalisierung eines solchen Ansatzes, da viele Länder mit dominanter terrestrischer Verbreitung gerade auf DVB-T2 umsteigen. Zudem würde ein neues Ecosystem entstehen, das volkswirtschaftlich, regulatorisch und wettbewerbsrechtlich zu gestalten wäre.

Das Fazit? Bei einem solchen einheitlichen Multimedianetz geht es sicher nicht um eine kurzfristige Lösung. Die Entscheidung der WRC-12 sollte es uns jedoch Wert sein, grundsätzliche Überlegungen aufzugreifen und nicht nur Argumente für die Erhaltung des Status-Quo zu sammeln.

Prof. Dr. Claus Sattler, Geschäftsführer Goldmedia Innovation GmbH

Artikel erschienen bei kress.de

 

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