Berlin soll digitale Hauptstadt werden. Interview mit Medienboard Geschäftsführer Elmar Giglinger in der promedia

Der Internetkonzern Google plant ein wissenschaftliches Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin. Das gab der  scheidende Google-Chef Eric Schmidt in der „Welt“ bekannt. Google werde das Projekt „mit erheblichem finanziellem Aufwand“ betreiben, kündigte Schmidt an. Dabei werde der US-Konzern mit führenden akademischen Institutionen zusammenarbeiten, um die Zukunft des Internets auf drei Feldern zu untersuchen: internetbasierte Innovationen, politische Rahmenbedingungen sowie die damit verbundenen rechtlichen Aspekte, sagte er.

Elmar Giglinger, GF Medienboard
Elmar Giglinger, GF Medienboard

promedia: Herr Giglinger, welche Chancen geben Sie Berlin-Brandenburg im internationalen Standortvergleich?
Elmar Giglinger: Berlin-Brandenburg gilt – und das gerade auch international – als einer der spannendsten Kreativwirtschaftsstandorte Europas, in vielen Bereichen sogar weltweit. Berlin-Brandenburg ist Deutschlands Nummer-1-Filmstandort und inzwischen auch international ein Schwergewicht im globalen Wettbewerb der Produktionsstandorte. Wir sind die Gründerhochburg im Bereich Online-Start ups. Denn neben dem kreativen besteht auch ein sehr IT-affines Umfeld. Hinzu kommt eine exzellente Hochschullandschaft für die Kreativbereiche ebenso wie für die Entwicklung neuer Technologien. Und: Wir verfügen über ein sehr günstiges Preisniveau z.B. auch für Büro- und Wohnungsmieten im Vergleich zu London, Paris, aber auch München oder Hamburg. Unterm Strich ein hochattraktives, modernes, zukunfsfähiges Standortprofil.

promedia: Berlin verfügt weder über große TV-Sender noch, abgesehen von einem einzigen Verlag, über große Verlage. Wie kann man diese Defizite ausgleichen?

Elmar Giglinger: Die Produktionswirtschaft in Berlin und Brandenburg ist sehr breit und sehr gut aufgestellt, das ist ein wichtiger und stabilisierender Faktor. Dennoch macht sich natürlich bemerkbar, dass Sat.1 als Auftraggeber nicht mehr am Standort sitzt. Hier führen wir gerade viele Gespräche mit der Produktionswirtschaft in der Region und werden in einigen Wochen konkrete Vorschläge zur nachhaltigen Unterstützung des TV Standorts vorlegen. Wenn Sie den Verlagsstandort ansprechen: Es gab in jüngster Vergangenheit einige interessante Zuwächse, Suhrkamp für Berlin, der Tandem Verlag für Potsdam. Die dpa hat ihre neue Zentralredaktion in der Hauptstadt eröffnet, seit 2008 ist BILD hier… Es gibt in diesem Bereich also durchaus Bewegung in Richtung Berlin-Brandenburg.promedia: Haben Sie die Hoffnung, dass noch irgendein Sender oder großer Verlag nach Berlin kommt?
Elmar Giglinger: Es ist es im Moment sicher unrealistisch, eine der großen Gruppen kurz- oder mittelfristig in die Hauptstadtregion zu bekommen. Aber natürlich heißt es für uns, sehr aufmerksam zu sein, für den Fall, dass sich irgendwo eine Tür auch nur ein Stück weit öffnen sollte.

promedia: Welches Potential sehen Sie generell bei den neuen Medien?
Elmar Giglinger: Mit der Mischung aus kreativem Kraftfeld, Technologieunternehmen und einer exzellenten Forschungslandschaft haben wir eine realistische Chance, die Hauptstadtregion mittelfristig zum digitalen Zentrum, zumindest Deutschlands, auszubauen. Die Dynamik in diesem Bereich ist erheblich. Um drei aktuelle Beispiele zu nennen: Ende 2010 hat ResearchGate, eine sehr interessante Social-Media-Plattform für Wissenschaftler mit großem Potenzial, seinen Hauptsitz von Boston nach Berlin verlegt. Die Alternative wäre Silicon Valley gewesen… Zweites Beispiel: Vor wenigen Tagen hat Google-Chef Eric Schmidt angekündigt, in Berlin ein Forschungszentrum für Internet und Gesellschaft zu errichten – „mit erheblichem finanziellem Aufwand“. Beispiel drei: Berlin wird noch in diesem Jahr ein 3D-Innovationszentrum erhalten, in dem u.a. markttaugliche Inhalte für die Kino- und TV-Technologie der Zukunft entwickelt werden sollen. Das zeigt: Berlin-Brandenburg ist ein äußerst begehrter Standort für Unternehmen der digitalen Medien – und wird durch solche Ansiedlungen natürlich noch attraktiver.

promedia: Das meiste Fördergeld wird in der Region nach wie vor für die klassische Filmförderung ausgegeben. Ist das angesichts dieser Entwicklung, die Sie beschreiben, noch gerechtfertigt?
Elmar Giglinger: Das eine zu tun, muss nicht zwingend heißen, das andere zu lassen. Die Filmförderung ist ein starker Wirtschaftsfaktor: Für einen Fördereuro kommen fünf in die Region zurück. Im Übrigen gibt es ja bereits eine Förderung für digitale Inhalte: Das Medienboard vergibt seit 2006 im Jahr rund 1 Mio. Euro in diesem Bereich. Im Rahmen der Wettbewerbe von Projekt Zukunft sind am Standort darüber hinaus 2009 und 2010 Zuschüsse in Höhe von 2,5 Mio. Euro und Darlehen in Höhe von 1,3 Mio. Euro aus dem Innovationsförderprogramm für Projekte im Bereich Games/ Mobile in Berlin bewilligt worden. Hinzu kommen eine Handvoll Beteiligungen des VC Fonds Kreativwirtschaft im Bereich Mobile/Games. Damit gab es in der Hauptstadtregion pro Jahr 3,2 Mio. Euro für neue Inhalte. Im bundesweiten Vergleich stehen wir damit ganz gut da. – Generell sehe ich unsere Arbeit aber so, dass zur Förderung neben Geld auch anderweitige Unterstützung – Beratung, Netzwerke – gehört, um ökonomisch sinnvolle Modelle zu entwickeln und damit einen nachhaltigen Nutzen für den Standort zu erreichen. Förderung muss dazu dienen, einem Unternehmen zu einer wirtschaftlichen Selbständigkeit zu verhelfen. Wo das nicht der Fall ist, werdenwir Fördermittel nur in begründeten Ausnahmefällen einsetzen.

promedia: Wo muss das Medienboard effektiver werden, um die Medienwirtschaft der Region besser unterstützen zu können?
Elmar Giglinger: Das Medienboard hat nach meiner Einschätzung in der Vergangenheit sehr effektiv und zielorientiert gearbeitet. Für die Zukunft wollen wir uns jetzt vor allem auf drei Bereiche konzentrieren: Zum einen auf die Nachwuchsförderung im weiteren Sinne, zum zweiten auf die Unterstützung und den Ausbau von Leuchttürmen. Ein dritter Bereich sind Service und Beratung für die Medienwirtschaft.

promedia: Was ist für Sie ein Leuchtturm?
Elmar Giglinger: Events wie Berlinale zum Beispiel. Der Deutsche Filmpreis. Für Brandenburg das FilmFestival Cottbus. Veranstaltungen mit nationaler und/oder internationaler Ausstrahlung. Sehr gutes Potenzial haben zum Beispiel die Deutschen Gamestage oder die Berlin Web Week. Hier muss man teilweise nur noch bündeln, was an Veranstaltungen und Playern schon lange am Standort vorhanden ist. Auch die Berlin Music Week hat natürlich das Potential, zu einem Leuchtturm zu werden, die Hauptstadt der Musik sind wir ohnehin.

promedia: Ist angesichts der stärkeren Vernetzung der Kreativwirtschaft die Begrenzung Ihres Aufgabengebietes auf Film, Fernsehen und Games noch gerechtfertigt oder müsste sich nicht das Medienboard stärker zu einem Kreativboard entwickeln?
Elmar Giglinger: Wenn das politisch gewollt ist, werden wir uns nicht dagegen wehren. Wir sind auch bereits in den meisten Schnittfeldern der Medien- und Kreativbranche aktiv, mit einem zunehmenden Schwerpunkt in den Internet-basierten Feldern. In der aktuellen Situation geht es zunächst darum, die verschiedenen Institutionen in den Ländern, die sich um die Kreativwirtschaft kümmern, zusammenzubringen, die Fäden zu bündeln, um dann in den wesentlichen
Bereichen an einem Strang in die gleiche Richtung zu ziehen. Nur dann sind wir für den Standort effektiv. Die Gespräche, die wir bisher geführt haben, waren außerordentlich offen und proaktiv. So hat bisher eine zentrale  Plattform gefehlt, die sämtliche Finanzierungs- und Förder, aber auch Networking-Angebote im Medien- und Kreativbereich der Hauptstadtregion zusammenführt. Eine solche Plattform wird jetzt entstehen.

promedia: Es gab in den letzten Jahren häufig Kritik an der politischen Unterstützung für die Medienwirtschaft in Berlin-Brandenburg. Welche Erwartungen haben Sie an die Medienpolitik?
Elmar Giglinger: Ich erlebe sowohl in Berlin als auch in Brandenburg großes Engagement für die Medienwirtschaft.
Für die Zukunft hoffe ich, dass die Medienpolitik eine stärkere Vernetzung der Institutionen am Standort unterstützt. Wenn wir abgestimmt und gemeinsam vorgehen, können wir natürlich noch mehr erreichen.

promedia: Viele Unternehmen in der Region fordern unter anderem einen besseren Schutz vor Piraterie. Steht das mit auf Ihrer Agenda, wenn Sie mit der Politik über eine Unterstützung der Medienwirtschaft reden?
Elmar Giglinger: Ich habe in den ersten Monaten mit sehr vielen Unternehmen aus der Medien- und Kreativbranche gesprochen und war überrascht, wie emotional das Gespräch wurde, wenn es zum Thema Piraterie kam. Hier geht es schon lange nicht mehr nur um Musik – Film ist mittlerweile mindestens genauso betroffen, ebenso wie der Bereich Games. Ein Film wie „Berlin Calling“ wurde, um nur ein Beispiel zu nennen, bereits über 3,5 Millionen Mal illegal heruntergeladen – nachweislich und nur über eine Plattform. Entsprechend sehe ich es als unsere Aufgabe im Sinne der Stärkung des Medienstandortes Berlin-Brandenburg, das Thema überhaupt wieder auf die Agenda zu setzen. Viele Unternehmen sind sich darüber einig, dass die Lösungen in Frankreich und England zwar nicht ideal sind. Genauso einig ist man ist sich aber darin, dass dort wenigstens nicht nur viel gesprochen, sondern auch gehandelt wurde. In Deutschland diskutieren wir dagegen hinter verschlossenen Türen, sprechen intensiv über den jeweiligen Korb zum Urheberrecht – aber gegen das größte Problem für die Kreativbranche Kreativbranche, die Piraterie, kommt kein Ergebnis zustande.

promedia: Von Constantin-Film oder Universal kennt man die Zahlen. Ist das auch ein Thema für die kleinen und mittelständischen Unternehmen?
Elmar Giglinger: Selbstverständlich. Dieses Thema betrifft Unternehmen jeder Größe. Und denken Sie bitte auch an die gesamte Verwertungskette. Vom Vertrieb bis zum Einzelhandel… Hier geht es also nicht „nur“ um die Gewinne der Konzerne, hier geht es konkret um Steuereinnahmen und Jobs in vielen verschiedenen Bereichen.

promedia: Wie könnte denn ein besserer Schutz vor Piraterie aussehen?
Elmar Giglinger: Das ist zu diskutieren. Wir sind das Sprachrohr der Medienwirtschaft und weder Juristen noch Programmierer. Dennoch: In meinen Augen ist das Sperren der Anbieter der praktikabelste Ansatz. Von einer Flatrate als Zwangsteuer für alle, die darüber hinaus nahezu jegliches Handeln im Netz legitimiert, halte ich nicht viel. Abgesehen davon wüsste ich nicht wie man die Verteilungsfrage jemals klären sollte…

promedia: Alles deutet darauf hin, dass die Konkurrenz der drei großen deutschen Medienstandorte wieder zunimmt. Blasen Sie jetzt ebenfalls zum Angriff?
Elmar Giglinger: Generell arbeiten wir für den Medienstandort Berlin-Brandenburg und nicht gegen andere Standorte. Wo eine Kooperation einen Mehrwert für den Medienstandort Berlin-Brandenburg bietet, werden wir die Zusammenarbeit gerne annehmen.

Artikel veröffentlicht in der promedia 3/2011

www.promedia-berlin.de

Elmar Giglinger:

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