Digitale Dividende – auf Kosten des Kabels?

Von Dr. Christoph Wagner, Rechtsanwalt, Hogan & Hartson Raue / Promedia Ausgabe 05/2009

Dr. Christoph WagnerDie digitale Dividende, ein zunächst rundum positiv besetzter Begriff, entwickelt sich langsam zum Ärgernis, jedenfalls für die Kabelindustrie und vielleicht auch deren Kunden.

Es geht um die ehemals für Rundfunk verwendeten Frequenzen im Bereich 790 bis 862 MHz, die auf Grundlage der künftigen Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung für flächendeckende mobile Breitbanddienste vergeben werden sollen.

Noch vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens – die Zustimmung der Länderkammer steht noch aus – hat die Bundesnetzagentur im März Eckpunkte für die Vergabe dieser Frequenzen veröffentlicht, die eine Versteigerung der Kapazitäten noch Ende diesen Jahres ermöglichen sollen.

Diese Eckpunkte sind schon sehr detailliert und machen durchweg nicht den Eindruck, als handele es sich um ein noch ergebnisoffenes Diskussionspapier. Weil es bei diesem frequenzpolitischen Vorhaben auch um eine der vier Säulen der Breitbandstrategie der Bundesregierung geht, muss mit einer zügigen Umsetzung gerechnet werden, zumal die erheblichen Investitionskosten für eine solche flächendeckende Breitbandinfrastruktur jedenfalls teilweise aus den neuen Fördertöpfen bestritten werden sollen. Deshalb gilt es, sich über die Auswirkungen der geplanten Maßnamen klar zu werden, um gegebenenfalls Nachteile für Kabelnetzbetreiber und deren Kunden abzuwenden. Zunächst geht es um eine ausreichende Sicherheit, dass der Fernsehempfang über Kabel (und DVB-T) durch die neuartige Frequenznutzung nicht beeinträchtigt wird. Nach einer im April von Anga und IRK vorgelegten Untersuchung sind solche Störungen gerade des Kabelempfangs sehr konkret zu befürchten.

Zwar sind nach Ansicht des Betreibers des europaweit ersten Testprojekts in Wittstock/Dosse (T-Mobile), das seit Mitte März mit 100 Testteilnehmern betrieben wird, „alle Probleme lösbar“ (proMedia 4/2009). Von einer wirklich soliden Erfahrungsgrundlage und einer interessenneutralen Untersuchung, die auch auf andere topographische Gebiete mit höherer Einwohner-/ Kabelanschlussdichte übertragbar ist, kann dabei aber wohl nicht gesprochen werden. Die BNetzA rechnet erst im Sommer dieses Jahres mit ersten Ergebnissen zu möglichen Störungen des Fernsehempfangs durch die Nutzung besagter Frequenzen für breitbandige Internet-/Mobilfunkdienste. Mit einem Postulat des Verordnungsgebers, dass es keine Störungen geben dürfe, wird es also allein nicht getan sein.

Im konkreten Fall ist es sehr schwer nachweisbar, wodurch Störungen verursacht werden. Entsprechende Prüfungen sind zeitaufwändig und kostenintensiv. Nach dem ambitionierten Zeitplan der BNetzA besteht daher Anlass zur Sorge, dass sich Problemfragen nicht abschließend aufklären lassen, bevor mit der Frequenzversteigerung entsprechende Fakten geschaffen werden. Von den technischen Problemen abgesehen, sind auch die Auswirkungen der Digitalen Dividende auf das Marktumfeld und insbesondere die schon bestehenden breitbandigen Netzinfrastrukturen zu bedenken. Nach der Breitbandstrategie der Bundesregierung geht es „insbesondere“ um eine Versorgung von ländlichen Regionen, in denen unter Marktbedingungen keine Breitbandinfrastruktur geschaffen wird.

Nach dem Entwurf zur Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung dient der Frequenzbereich 790 bis 862 MHz „vorrangig“ zur Schließung von Versorgungslücken in ländlichen Bereichen. Diese Zielrichtung soll dem Projekt erkennbar die notwendige Akzeptanz verschaffen, denn gegen eine staatlich subventionierte Breitbandversorgung in unterversorgten ländlichen Gebieten kann keiner der bestehenden Infrastrukturbetreiber Einwände haben. Ob eine solche hochmoderne terrestrische Breitbandversorgung in ländlichen Gebieten – zusätzlich zum bestehenden Satellitenangebot – wirklich nachfragegerecht ist, ist eine andere Frage, die erstaunlicherweise kaum gestellt wird. Infrastruktureinrichtungen gibt es typischerweise in ländlichen Gebieten nicht in gleicher Dichte oder Qualität wie in Ballungsräumen. Ob dies für die breitbandige Internetnutzung zwingend anders sein sollte, muss die Politik letztlich vor dem Steuerzahler rechtfertigen, ohne den der Netzaufbau nicht finanzierbar ist. Aus Sicht der Kabelnetzbetreiber bereitet schon die Abgrenzung der ländlich unterversorgten Gebiete, in denen der Ausbau der Breitband-Infrastruktur subventioniert werden muss, Probleme.

In der Vergangenheit sind viele Kabelanschlüsse auch in eher ländlichen Gebieten verlegt worden. Diese Investitionen könnten durch eine kommunal subventionierte Breitbandversorgung über die digitale Dividende entwertet werden. Wenn die Infrastruktur für die neuen Mobilfunk- Breitbanddienste nicht am Markt refinanziert werden muss, die Endkunden-Preise also künstlich niedrig gehalten werden, wird den Betreibern bestehender Kabelinfrastrukturen jegliche Chance genommen, ihre bereits getätigten Investitionen zu refinanzieren. Eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs lässt sich daher nur dann vermeiden, wenn die Kabelnetzbetreiber in den betreffenden Gebieten eine entsprechende Förderung für bereits ausgebaute oder künftig noch auszubauende Netzinfrastruktur erhalten. Das ist im Rahmen der „technologieneutralen“ Breitbandstrategie der Bundesregierung zwar denkbar, die konkrete Umsetzung durch die Kommunen bedarf aber genauer Beobachtung.

Nach den Eckpunkten der Bundesnetzagentur sollen die Frequenzen der digitalen Dividende bundesweit an wenige Lizenznehmer vergeben werden, die die Netze flächendeckend aufbauen und dann entsprechende Breitbandprodukte bundesweit anbieten und vermarkten können. Die Lizenznehmer werden also auch die Ballungsräume mitversorgen. Dass der Netzaufbau in Ballungsräumen nicht subventioniert wird, ist dabei jedenfalls für heutige Mobilfunkanbieter kein Problem, weil weitgehend bestehende Antennenstützpunkte für die neuen Frequenzbereiche mitgenutzt werden können. Deshalb dürfte die Netzabdeckung in Ballungsräumen sogar erheblich schneller realisiert werden als in der Fläche.

Die Sorge der Kabelnetzbetreiber, dass das Ziel, ländliche Versorgungslücken zu schließen, hier nur als Vorwand genutzt wird, um lukrative Marktpotentiale in Ballungsräumen abzuschöpfen, ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. Das Wachstumspotential, das die Kabelnetzbetreiber sich von dem Ausbau ihrer Netze im Bereich von Breitbandanwendungen erhofft haben, wird mit dieser neuen Infrastrukturalternative jedenfalls eingeschränkt. Auch wenn kommunale Subventionen nur für den ländlichen Netzaufbau vergeben werden, begünstigen sie die Betreiber der bundesweiten Breitbandangebote auch in Ballungsgebieten, da der Vorteil einer bundesweiten Vermarktung auf der Hand liegt. Gerade diesen Vorteil haben den bestehenden, auf bestimmte Regionen konzentrierten Kabelnetzbetreiber nicht.

Sie können keine bundesweit einheitlichen Produkte anbieten und bewerben, was die Markterschließung auch in ihren Kerngebieten erheblich erschwert. Der Einwand, die Kabelnetzbetreiber könnten sich ja selber um die entsprechenden Frequenzen bewerben, ist dabei wenig stichhaltig. Die mobilen Breitbandanwendungen gehören nicht zum Geschäft der Kabelnetzbetreiber. Außerdem ist eine bundesweite Vergabe der Frequenzen ersichtlich eher auf die bereits bundesweit agierenden Mobilfunkunternehmen zugeschnitten als auf die jeweils regional tätigen Kabelnetzbetreiber. Vor dem Hintergrund kommt die neuerlich erhobene Forderung, einen Zusammenschluss der großen Kabelnetzbetreiber zu einem bundesweit agierenden Anbieter zu ermöglichen, nicht von ungefähr. Als solcher könnten dann entsprechende breitbandige Kabelangebote im Wettbewerb zu den mobilen Diensten ebenfalls bundesweit angeboten werden. Allerdings hat sich das Bundeskartellamt gegenüber solchen Überlegungen bereits unmissverständlich ablehnend geäußert, um gar nicht erst entsprechende Hoffnungen aufkeimen zu lassen. Und auch die Erwartung, dass die Bundesregierung die kartellrechtlichen Bedenken im Rahmen ihrer Breitbandstrategie zurückstellt und einen entsprechenden Zusammenschluss per Dekret oder Ministererlaubnis gestattet, ist wohl unberechtigt.

Denn für eine entsprechende kartellrechtliche Prüfung wäre zunächst die Europäische Kommission zuständig, deren Verfahren keine nationale Ministererlaubnis kennt. Zwar ist ein Verweisungsantrag des Bundeskartellamtes so gut wie sicher, aber eine Ministererlaubnis nach erfolgter Verweisung an das Bundeskartellamt wäre politisch wohl kaum vorstellbar. Die Kabelnetzbetreiber sollten sich deshalb auf andere Konstellationen konzentrieren, insbesondere die Integration der Netzebenen 3 und 4 vorantreiben. Dafür hatte das Bundeskartellamt in der Kabel Deutschland/ Orion-Entscheidung durchaus Möglichkeiten eröffnet. Hier wäre es auch denkbar und wünschenswert, die Spielräume nun im Zuge der Breitbandstrategie noch zu erweitern, wenn die Unternehmen entsprechende Infrastrukturinvestitionen in Aussicht stellen. Beispielsweise könnte den NE 3-Betreibern gestattet werden, auch größere Netzeinheiten bzw. NE4-Netzbetreiber vollständig zu übernehmen, wenn ein Breitbandausbau innerhalb einer bestimmten Zeit verbindlich zugesagt wird.

Auf diesem Weg könnte jedenfalls ein Teil der Wettbewerbsnachteile der Kabelnetzbetreiber durch die staatlich subventionierte digitale Dividende und alternative Infrastrukturen abgefedert werden. Abgesehen hiervon wäre es denkbar, dass Kabelnetzbetreibern ähnliche Vergünstigungen im Bereich der gemeinsamen Nutzung von Infrastrukturen und Kooperationen eröffnet werden, wie sie inzwischen im Bereich des Mobilfunks und der DSL-Nutzung zwischen Mobilfunk- und Festnetzanbietern üblich sind. Eine gegenseitige Öffnung der Kabelnetze für die jeweiligen Breitbandprodukte der anderen Anbieter wäre sicherlich im Interesse der Endkunden und des Wettbewerbs. Auch die Verständigung der großen Netzbetreiber auf ein gemeinsames bundesweit vermarktetes Breitbandprodukt dürfte keinen kartellrechtlichen Bedenken unterliegen, da die Netzbetreiber in diesem Markt weit von einer marktbeherrschenden Stellung entfernt sind. Schließlich ist vorstellbar, dass sich Kabelnetzbetreiber gemeinsam mit Mobilfunkunternehmen um die Frequenzen der digitalen Dividende bewerben, um die entsprechenden Vorteile auch den Kabelunternehmen zu sichern und eine Entwertung ihrer Infrastruktur zu verhindern.

Die Eckpunkte der Bundesnetzagentur verlangen von solchen Bieterkonsortien die Vorlage entsprechender kartellrechtlicher Unbedenklichkeitsbestätigungen, gegen deren Erteilung aber im Verhältnis Kabelnetzbetreiber/Mobilfunkanbieter wohl keine Bedenken bestehen werden. Unter Umständen könnte eine solche Entwicklung sogar neue Übernahmefantasien bilden, nach denen sich Mobilfunkanbieter und Kabelnetzbetreiber zu gemeinsamen Unternehmen formieren, um sich mit Mobil- und Festnetzkomponenten stärker für den Bundesweiten Breitband-Wettbewerb zu positionieren. Dies könnte zugleich den Blick für attraktive Exit-Strategien der heutigen Gesellschafter der Kabelunternehmen öffnen.

Über den Autor Dr. Christoph Wagner:

  • Studium der Rechtswissenschaften
  • Seit 1991 Rechtsanwalt und seit 2000 Notar
  • Von 1991 bis 1995 als Anwalt tätig und von 1996 bis 2000 als Partner bei Oppenhoff & Rädler
  • Seit 2001 Partner im Berliner Büro der Sozietät Hogan & Hartson Raue. Davor war Christoph Wagner für die Berliner Medienanstalt, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament tätig
  • Von 2002 – 2007 (Ersatz-) Mitglied der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK)

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

5 + fifteen =