„Die fetten Jahre liegen mit Sicherheit hinter uns“, Prof. Dr. Udo Reiter, Intendant des MDR

Interview mit Prof. Dr. Udo Reiter, Intendant des MDR

Der Mitteldeutsche Rundfunk muss wegen sinkender Einnahmen durch Rundfunkgebühren in den kommenden Jahren drastisch sparen. Informationen der Dreiländeranstalt zufolge kommt auf den MDR bis 2016 eine Finanzierungslücke von rund 115 Millionen Euro zu. Die mittelfristige Finanzplanung bis 2016 basiert auf der aktuellen Gebührenertragsplanung der GEZ, die rückläufige Erträge vorhersieht. “Einen Kahlschlag wird es nicht geben”, betonte MDR-Intendant Udo Reiter. Ein solcher Betrag könne allerdings nicht beiläufig erwirtschaftet werden, zumal der MDR bereits in den vergangenen Jahren etwa 100 Millionen Euro bei Strukturen und Prozessen eingespart habe. Es werde sorgfältig geprüft, wo noch Einsparungen vorgenommen werden können, ohne dass die Qualität der MDR-Programme darunter leidet. Im Wirtschaftsjahr 2010 geht der MDR nach eigenen Angaben von geplanten Gesamterträgen in Höhe von rund 647,8 Millionen Euro aus. Die besten Jahre würden damit aber dennoch nicht hinter dem MDR liegen, der vor fast 20 Jahren gegründet worden ist, aber „die fetten mit Sicherheit“, so Udo Reiter in einem promedia-Gespräch.

Udo Reiter
Prof. Dr. Udo Reiter, Intendant des MDR

promedia: Herr Reiter, der MDR existiert in diesem Jahr in seinem 20sten Jahr. Sie müssen künftig sehr sparen, bis 2016 115 Mio. Euro. Liegen damit die besten Jahre bereits hinter dem MDR?
Udo Reiter: Die besten hoffentlich nicht, aber die fetten mit Sicherheit.

promedia: Was halten Sie für die wichtigste Leistung des Senders in den vergangenen zwei Jahrzehnten?
Udo Reiter: Dass der MDR zu einem neuen Wir-Gefühl in Mitteldeutschland beitragen konnte, also Identität gestiftet und den Menschen Heimat vermittelt hat.

promedia: Wie muss sich der Sender verändern, um auch sein 40. Lebensjahr zu erreichen?
Udo Reiter: Wir müssen, wie alle anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auch, in der digitalen Welt Fuß fassen, ohne die Erfolge der klassischen linearen Programme zu gefährden. Wir müssen die Kosten senken. Und wir müssen der Politik ein Gefühl dafür geben, dass diese Gesellschaft ohne den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ärmer wäre.

promedia: Das MDR-Programm ist noch sehr auf die Erfahrungen und Lebenswelt der ehemaligen DDR-Bürger ausgelegt. Inzwischen ist eine neue Generation herangewachsen. Welche Konsequenzen hat das?
Udo Reiter: Ganz einfach: Wir nehmen, und das tun wir seit Jahren, die Erfahrungen und die Lebenswelt der nachwachsenden Generation schrittweise in unser Programm auf.

promedia: Wie wichtig ist für Ihre Zuschauer in Ihrem Sendegebiet heute der MDR?
Udo Reiter: Das MDR-Fernsehen ist seit vielen Jahren der Marktführer unter den dritten Programmen und im Hörfunk schaltet fast jeder Zweite in unserem Sendegebiet mindestens einmal am Tag ein MDR-Radioprogramm ein. Das zeigt, dass wir bei unserem Publikum ankommen und offenbar eine Rolle im Leben der Menschen spielen.

promedia: Wäre der politische Prozess in den neuen Ländern ohne die ARD-Anstalten anders verlaufen?
Udo Reiter: So etwas lässt sich im Detail schwer beweisen. Ich bin fest überzeugt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach dem Krieg generell eine wichtige Rolle beim Aufbau einer deutschen Demokratie gespielt hat – und das gilt sicher seit 20 Jahren auch hier im Osten.

promedia: Sie haben einmal gesagt die „alten“ ARD-Anstalten könnten auch vom MDR und dem damaligen ORB etwas lernen. Wie hat die deutsche Einheit die ARD verändert?
Udo Reiter: Wir haben damals vielleicht ein paar Fehler vermieden und beispielsweise relativ schlanke Anstalten aufgebaut, indem wir Produktionen und Dienstleistungen radikal in Tochterfirmen außerhalb des Senders verlagert haben. Dieses Outsourcing hat sich zwischenzeitlich bewährt und wurde auch von anderen übernommen. Aber insgesamt war die alte ARD für uns das Vorbild, nach dem wir den MDR aufgebaut haben.

promedia: Wie muss sich die ARD reformieren, um auf die Veränderungen in der Mediennutzung und auf geringere Ein-nahmen zu reagieren?
Udo Reiter: Wir müssen gleichzeitig die linearen Programme absichern, die digitalen Angebote ausbauen – und die Kosten senken. Das ist in der Tat eine Herkules-Aufgabe, die größte Herausforderung seit Bestehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Bessere Kooperation zwischen den einzelnen Häusern ist hier ein möglicher Weg.

promedia: Steht angesichts des Kostendrucks nicht die Alternative: Entweder das Erste abzuspecken, oder die Dritten bzw. die Radioangebote der Rundfunkanstalten?
Udo Reiter: Abspecken ja, aushungern nein. Das Erste und die Dritten sind unauflösbar aufeinander angewiesen. Ohne ein starkes Erstes wären die Dritten sehr schnell unbedeutende Provinzsender. Und ohne starke Dritte bräche dem Ersten seine föderale Kompetenz und Legitimation weg.

promedia: Die Zeitungen erweitern im Internet ihre lokale und regionale Berichterstattung auch mit Bewegtbild. Ist damit nicht ohnehin eine Reduzierung der Dritten verschmerzbar?
Udo Reiter: Andersrum wird ein Schuh draus: Wir arbeiten inzwischen mit mehreren Regionalzeitungen zusammen. Sie bekommen von uns regionales Videomaterial, das für sie in der Produktion viel zu teuer wäre, und stellen es mit Quellenangabe auf ihre Internet-Seiten. Wir bekommen dadurch zusätzliches Publikum und die Leser zusätzliche Angebote. Eine echte win-win-win-Situation.

promedia: Die Verleger haben jüngst erst wieder der ARD vorgeworfen das Online-Angebot hätte nichts mehr mit Rundfunk zu tun. Da entstünden Telemedien. Also können Sie mit den Zeitungen bei Online und Mobile künftig sowieso nicht konkurrieren…
Udo Reiter: Im Gegenzug könnte man natürlich sagen, was die Zeitungsverleger online mit Bewegtbildern veranstalten, hat nichts mehr mit Zeitung zu tun und müsste eigentlich den Rundfunkgesetzen unterworfen werden. Aber das sind Kindereien. Das Internet ist ein neuer Verbreitungsweg, so wie es früher das Radio und dann das Fernsehen waren, und dieser Verbreitungsweg muss den privaten und den öffentlich-rechtlichen Medien zugänglich sein, wenn man an unserer dualen Medienordnung festhalten will. Und dafür, denke ich, gibt es viele gute Gründe.

promedia: Der RBB denkt darüber nach, zwei Radioprogramme einzustellen oder auch regionale TV-Angebote zu reduzieren und zeitlich zu begrenzen? Ist angesichts solcher möglichen Sparmaßnahmen nicht das ganze regionale Konzept der ARD infrage gestellt?
Udo Reiter: Ja, man kommt irgendwann an eine Grenze, wo die Einsparzwänge die Substanz gefährden. Sie können heute eine Zeitung auch nicht mehr zum Preis von 1980 machen. Ich denke, der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist seinen Preis wert und sollte es auch in Zukunft bleiben.

promedia: Ist es denkbar, dass die Hauptstadt über keine substantielle öffentlich-rechtliche Berichterstattung mehr verfügt? Muss es einen ARD-Notplan für Berlin geben?
Udo Reiter: Nein, es gibt ja als ARD-Gemeinschaftseinrichtung das Hauptstadtstudio. Dort ist die Berichterstattung aus der Hauptstadt gut aufgehoben.

promedia: Denken sie angesichts Ihrer Schulden auch über solche radikalen Maßnahmen nach?
Udo Reiter: Wir haben keine Schulden, aber wegbrechende Einnahmen. Daher entwickeln natürlich auch wir verschiedene Szena-rien, wie man damit fertig werden kann. Wir hoffen, dass der Worst Case, so wie er beim rbb offenbar durchgerechnet wird, in absehbarer Zeit bei uns noch nicht eintritt. Das wird sich entscheiden, wenn es um die Frage der Gebührenhöhe in der neuen Periode ab 2013 geht.

promedia: Prof. Kirchhof hat in seinem Gutachten angeregt, dass die Gebührenausfälle durch soziale Indikatoren künftig aus Steuermitteln ausgeglichen werden. Würde das den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von drastischen Sparmaßnahmen befreien?
Udo Reiter: Das ist ein vernünftiger und in sich stimmiger Vorschlag, der uns sehr helfen würde. Wenn man an die Kassenlage der Kommunen denkt, wird seine Verwirklichung aber kaum auf große Gegenliebe stoßen.

Über Prof. Dr. Udo Reiter

  • Geboren: 28. März 1944
  • Ab 1963 Studium der Germanistik, Geschichte und Politische Wissenschaften
  • Von 1970 bis 1991 Tätigkeit beim BR
  • 1984 stellvertretender Programmdirektor Hörfunk
  • 1986 Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks
  • Seit Juli 1991 Intendant des MDR
  • Seit 1995 Honorarprofessor für Radiolehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Mittweida
  • Im Juli 2009 trat er seine vierte Amtszeit an, die bis 2015 dauert

Weitere Informationen: promedia

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