Der Europäische Gerichtshof zwingt die Medien auf den Binnenmarkt. Rechtsanwalt Dr. Christoph Wagner, in der promedia Dezember 2011

Lizenzen ohne Grenzen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 4. Oktober 2011 in dem sogenannten Murphy-Case ein Urteil gefällt, das die europäische Medienlandschaft maßgeblich prägen könnte. Im Kern ging es um eine Gastwirtin aus Süd-England, die mit Smart-Karten eines griechischen PayTV-Veranstalters (Nova) die Fußballspiele der englischen Premier League zeigte. Dafür zahlte sie erheblich geringere Entgelte als der englische Veranstalter BSkyB sie von Gaststätten-Betreibern verlangt. Das war nach dem in England geltenden Recht unzulässig. Auch war dem griechischen Veranstalter Nova untersagt, seine Smart-Karten außerhalb Griechenlands zu vertreiben. Der EuGH hielt das Verbot der Nutzung ausländischer Smart-Karten für unvereinbar mit der Dienstleistungsfreiheit und dem Prinzip des Binnenmarktes. Außerdem führe ein strikt an Ländergrenzen orientiertes Lizenzvertragssystem zur Marktabschottung und verstoße daher gegen das europäische Wettbewerbsrecht.

Dr. Christoph Wagner

Die Lizenzgeber von attraktiven Sport- und Filmrechten (UEFA, Fußballigen, Formel 1, US Film-Studios) lizensieren die Übertragungsrechte an ihren Inhalten bisher in der Regel auf „Country-by-Country“- Basis, um für jeden Markt den höchstmöglichen Preis zu erzielen. In jedem Land erwirbt zumeist ein Programm-Veranstalter exklusive Pay-TV oder Free-TV Rechte und refinanziert die Rechtekosten über Abbonnenten oder Werbeeinnahmen. Dabei ergeben sich insbesondere bei Fußballübertragungsrechten erhebliche Preisgefälle zwischen dem Land der jeweiligen Liga und den übrigen Ländern. Auch bei Spielfilmen gibt es unterschiedliche Vorlieben und Preisniveaus in den Mitgliedsländern. Der EuGH stellt mit seiner Entscheidung diese an Ländergrenzen orientierte Lizensierungspraxis grundlegend in Frage. Zwar könnten weiterhin exklusive Lizenzen für bestimmte Territorien eingeräumt werden. Effektiv durchsetzen lässt sich nach der Entscheidung die Exklusivität aber nicht mehr. Wer in irgendeinem Land der EU eine Empfangsberechtigung von einem Veranstalter erwirbt, kann das Programm damit in jedem anderen Land empfangen. Dass die Lizenzgeber in den hochpreisigen Ländern keine Premium-Erlöse für absolute Exklusivität mehr erzielen können, nimmt der EuGH in Kauf. Gerechtfertigt seien nur „angemessene“ Entgelte, die sich auch ohne den strengen Exklusivitätsschutz erreichen ließen.

Welche Bereiche sind betroffen?

Das Urteil gilt zunächst nur für Fußballübertragungs-Rechte. Es ist jedoch zu erwarten, dass seine grundlegenden Feststellungen zum Binnenmarkt und zum Wettbewerbsrecht auf andere Inhalte wie Film- oder Musiklizenzen übertragen werden. Auch für diese Inhalte wird eine Marktabschottung entlang der Ländergrenzen kaum länger hingenommen werden. Damit wird die bisherige Lizenzierungspraxis der US-Studios, der FIFA und UEFA sowie der großen Musik-Labels unmittelbar berührt. Weiter bezieht sich das Urteil ausdrücklich nur auf die Satelliten-Übertragung von Fernsehprogrammen, die sich nicht an Ländergrenzen hält und die „künstliche“ Beschränkung entlang der Lizenzgebiete erforderlich machte.  Möglicherweise lässt sich durch eine zielgenauere Satellitenausstrahlung das Problem etwas entschärfen, lösen wird man es damit wohl nicht. Ähnlich grenzenlos wie die Satellitenübertragung ist der Online-Vertieb von Inhalten über das Internet. Ob er weiterhin durch künstliches Geo-Blocking auf einzelne Lizenz-Gebiete beschränkt werden kann, ist nach dem Urteil jedenfalls sehr fraglich. Schließlich betrifft das Urteil ein verschlüsseltes Programmsignal, das nur mit einem Dekoder empfangen werden kann. Für unverschlüsselt ausgestrahlte Programme, die sich über Werbung oder Rundfunkgebühren finanzieren, hat es daher keine unmittelbare Bedeutung. Allerdings kommt die unverschlüsselte Satelliten-Ausstrahlung von Premium-Inhalten heute nur noch in Ausnahmefällen vor, weil die Rechteinhaber auf einem Schutz ihrer Inhalte bestehen und Übertragungsrechte an Sportereignissen sonst in Nachbarländern nicht mehr an Pay-TV Veranstalter vergeben werden können.

Wer muss sich umstellen?

Inhaber attraktiver Übertragungsrechte können die territoriale Exklusivität ihrer Lizenzen nicht mehr durchsetzen und daher ihren Lizenznehmern auch nicht mehr ausnahmslos garantieren. Premium-Preise für absoluten Exklusiv-Schutz dürften danach eigentlich nicht mehr verlangt werden. Das hat der EuGH als mögliche Folge seiner Entscheidung ausdrücklich in Kauf genommen. Die Verwirklichung des Binnenmarktes ist ihm wichtiger als die Maximierung von Lizenzerlösen in einzelnen Mitgliedstaaten, wenn letztere nur über territoriale Marktabschottung erreichbar ist. Werden Premium-Rechte wie Fußball-Übertragungsrechte oder Blockbuster-Filme im Wettbewerb lizensiert, können die Rechteinhaber das Problem u.U. auf die Lizenznehmer abwälzen, aber im Regelfall dürfte dies nicht gelingen. Nur abgeschwächt dürfte sich das Urteil bei Spielfilmen auswirken, die in unterschiedlichen Sprachfassungen lizensiert werden können. Eine Umgehung hochpreisiger Anbieter wie im Fall Murphy ist hier weniger praktikabel.

Wie wird sich das Urteil auswirken?

Als Folge dieser Entscheidung sind mehrere Szenarien denkbar: Die Rechteinhaber könnten dazu übergehen, nur noch eine pan-europäische Lizenz an einen paneuropäischen Plattformbetreiber zu vergeben. Der hätte es dann in der Hand, die Preise beim Vertrieb seiner Programme so zu gestalten, dass es keine Kanibalisierung gibt, also der Smart-Karten-Tourismus nicht möglich oder lohnenswert ist. Bei einem europaweit angeglichenen Preisniveau, wie sich dies bei CDs und DVDs inzwischen etabliert hat, würde sich das Problem nicht stellen. Bei verkörperten Medien-Inhalten ist im Binnenmarkt eine Marktabschottung seit jeher nicht möglich, dies wird nun auch für elektronische Medien Realität. Die griechischen Kunden müssten für die Premier League Spiele dann etwa ebenso viel Zahlen wie die Briten. Leidtragende wäre zum einen der griechische Veranstalter, der keinen Zugang mehr zu attraktiven Inhalten erhält, zum anderen die griechischen Fernsehzuschauer, die erheblich mehr für den Konsum der Premier-League Spiele bezahlen müssten. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, live-Übertragungsrechte nur noch an Veranstalter in Ländern mit hohem, angeglichenem Preisniveau zu vergeben. Wiederum hätten Veranstalter und Zuschauer in den Niedrig-Preis-Ländern das Nachsehen.

Alternativ könnten die Rechte-Inhaber auf Exklusiv-Lizenzen verzichten und ihre Rechte an mehrere Veranstalter auf nicht exklusiver Basis vergeben. Dies ist beim Online-Vertrieb von Filmen (VoD) heute schon die Regel. Auch Premium-Rechte an Sportereignissen werden mitunter nicht mit absoluter Exklusivität vertrieben, sondern z.B. für unterschiedliche Übertragungswege and verschiedene Anbieter (z.B. IPTV, Mobile und TV). In der Regel ergibt allerdings bei Premium-Live-Rechten die Summe der aus solchen nicht-exklusiven oder teil-exklusiven Lizenzen erzielbaren Erlöse nicht den Betrag, der mit einer Exklusiv-Lizenz erzielt werden kann. Daher wird sich der Markt in der Regel für Exklusiv-Lizenzen entscheiden, wenn er nicht reguliert ist und wie etwa in England die Vergabe an mehrere Lizenznehmer vorgeschrieben ist.

Trend zu pan-europäischen Verwertungsmodellen und mehr Medienkonzentration?

Unhabhängig von der konkreten Ausgestaltung wird sich ein Trend zu einer pan-europäischen Lizenz- und Verwertungsstrategie ergeben, weil eine länderexklusive Verwertung nicht mehr effektiv durchsetzbar ist. Darauf werden sich die Programmveranstalter und Plattformbetreiber einstellen müssen. Nur national ausgerichtete kleinere Anbieter oder Sender in kleineren EU Staaten werden häufig nicht über die Resourcen verfügen, um auf pan-europäischer Ebene aktiv zu werden und die hierfür nötigen Lizenzen zu erwerben. Sie werden sich also entweder auf regionale und lokale Inhalte konzentrieren müssen und das Geschäft mit Premium-Inhalten den europäisch aufgestellten Plattformen überlassen. Damit können sie leicht zu Übernahmekandidaten im Zuge einer neuen Konsolidierungs-Welle werden, die größere Einheiten für den pan-europäischen Markt hervorbringt. Ein Ausweg könnte in Einkaufskooperationen bestehen, wie sie die öffentlich-rechtlichen Veranstalter über die EBU praktiziert haben. Solche kartellähnlichen Kooperationen sind allerdings wiederum wettbewerbsrechtlich fragwürdig und nur in engen Grenzen möglich. Bringt also die Murphy-Entscheidung im Ergebnis eine stärkere Medienkonzentration? Ist die Regulierung gefragt, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern? Das erscheint nur auf den ersten Blick naheliegend, weil sich in der Tat größere Einheiten bilden dürften. Allerdings könnte auch der Markt erheblich größer werden, weshalb diesen Einheiten relativ betrachtet kein größeres Gewicht zukommem muss. Konzentration bemisst sich immer an dem jeweiligen Markt. Die – abgeschotteten – nationalen Märkte sind heute häufig hoch konzentriert, auf einigen Märkten gibt es sogar Quasi-Monopole. Im Idealfall werden diese Märkte durch die Entwicklung zum Binnenmarkt geöffnet mit der Folge, dass sich dort ein intensiverer Wettbewerb einstellt. Auf dem erstmals verwirklichten audiovisuellen Binnenmarkt könnte daneben ein pan-europäisch ausgerichteter Wettbewerb der gegebenenfalls größeren Unternehmenseinheiten entstehen.

Soweit die Theorie. In der Praxis sind solche Prozesse mit vielen Unwägbarkeiten verbunden, die sich nicht ohne weiteres vorhersehen lassen. Die Nachfrage nach Medieninhalten wird zum einen durch Sprachbarrieren segmentiert, zum anderen durch nationale Besonderheiten und Vorlieben bestimmt. Das Entstehen eines pan-europäischen Medienmarktes allein durch pan-europäische Verwertungs- und Lizensierungsmodelle ist also keineswegs zwingend.

Über Dr. Christoph Wagner

  • Studium der Rechtswissenschaften
  • Seit 1991 Rechtsanwalt und seit 2000 Notar
  • 1996 – 2000 Partner bei Oppenhoff & Rädler
  • Seit 2001 Partner im Berliner Büro der Sozietät Hogan & Hartson Raue
  • Seit 2010 Partner der Kanzlei Hogan Lovells
  • Davor für die Berliner Medienanstalt, die Europäische Kommission und das Europäische Parlament tätig
  • 2002 – 2007 (Ersatz-) Mitglied der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK)

Weitere Informationen: promedia

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