Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Interview mit Michael Loeb, Geschäftsführer der WDR mediagroup GmbH, promedia Special Medienforum NRW, Juni 2012

Germany’s Gold  ist soll unter marktwirtschaftlichen und marktkonformen Bedingungen tätig sein

„Jetzt ist der richtige Zeitpunkt“

Interview mit Michael Loeb,  Geschäftsführer der WDR mediagroup GmbH

Michael Loeb
Michael Loeb

Die Online-Videothek maxdome der ProSiebenSat.1 Group und die WDR mediagroup haben unlängst eine umfassende Rechtevereinbarung über Video-on-Demand-Inhalte geschlossen. Damit stellt Deutschlands größte Online-Videothek die öffentlich-rechtlichen Film- und Serieninhalte sowie weitere durch die WDR mediagroup vertriebene, nationale und internationale Kinoproduktionen als Leihvideo im Einzelabruf und im Abonnement zur Verfügung. Zugleich gehört die WDR mediagroup zu den Initiatoren von Germany’s Gold. Die WDR Mediagroup ist ein Tochterunternehmen des WDR, die sich um Produktion von Sendungen, die Vermarktung der WDR Programme und die kommerzielle Distribution  von WDR –Formaten kümmert.

promedia: Herr Loeb, man hat den Eindruck, die WDR mediagroup ist das digitale Herz des WDR. Wie hoch ist gegenwärtig der Blutdruck Ihrer Gruppe?
Michael Loeb: Der Gesetzgeber will, dass wir getrennte Kreisläufe haben. Der WDR verfügt über einen eigenen digitalen Kreislauf, der seine Digitalangebote, wie zum Beispiel die Mediathek, speist. Wir kümmern uns um die Verwertung der Inhalte im kommerziellen Bereich. Da kann ich aus Erfahrungen sagen, dass man schon ein Sportlerherz benötigt, um in der digitalen Welt mitzuhalten.

promedia: Selbst wenn es zwei getrennte Blutkreisläufe gibt, kann der WDR doch sicher im digitalen Bereich von der kommerziellen Tochter profitieren…
Michael Loeb: Wir unterstützen den WDR durch technische Dienstleistungen, beispielsweise schaffen wir durch die Digitalisierung des Fernseharchivs die Voraussetzungen dafür, dass die Inhalte digital verbreitet werden können. Zudem kümmern wir uns um die digitale Verbreitung der Inhalte nach Ablauf ihrer Verweildauer in den öffentlich-rechtlichen gebührenfinanzierten Bereichen. Entsprechend unserer Vision unterstützen wir damit den WDR darin, seine Programme überall und jederzeit erlebbar zu machen.

promedia: Was sehen Sie im Zusammenhang mit der Digitalisierung als zentrale Frage für eine ARD-Anstalt wie den WDR?
Michael Loeb: Man hört oft, dass das Internet das Fernsehen als Leitmedium verdrängen würde. Das halte ich für falsch. Das Internet ist nur ein technischer Verbreitungsweg und für sich genommen noch kein Medium. Fernsehsender müssen die Chancen erkennen, die sich durch diesen neuen Verbreitungsweg ergeben, gerade durch die Möglichkeit, jüngere Zielgruppen zu erreichen. Die Risiken natürlich auch, denn im Internet existiert ein anderes Wettbewerbsumfeld als im nationalen Fernsehmarkt. Das sind Player wie Netflix, Hulu oder Amazon, mit gut gefüllten Kassen und sehr viel Kraft.

promedia: Sie zählen eine Reihe neuer Player auf, die als Inhalteanbieter in Erscheinung treten können. Noch sind sie auf dem deutschen Markt nicht präsent. Warum muss man sich trotzdem darauf einstellen?
Michael Loeb: Der deutsche Fernsehmarkt ist noch ein ausgesprochener Free-TV-Markt. Deshalb war es für Bezahlangebote in Deutschland traditionell schwer, Fuß zu fassen. Aber ich bin mir sicher, dass internationale Player den deutschen Markt im Fokus haben, weil er ein sehr onlineaffiner Markt ist. Beim Konsum von Bewegtbildinhalten im Internet sind die Deutschen in Europa führend. Für Bewegtbild- oder Video-on-Demand-Anbieter sind wir deshalb sehr interessant.

promedia: Ankündigungen gab es für dieses Jahr eine ganze Reihe. Aber bis jetzt gibt es noch keinen einzigen konkreten Starttermin für eine Video-on-Demand-Plattform…
Michael Loeb: Das liegt an den Rechtskosten, weil deutsche Video-on-Demand-Anbieter in Amerika die Rechte für US-Produktionen einkaufen. Deshalb wird es für amerikanische Portale teurer, diese Rechte für den deutschen Markt zu erwerben. Und die Tatsache, dass hier schon relativ erfolgreiche Portale wie Maxdome, Videoload oder Lovefilm im Markt sind, erzeugt ein starkes Wettbewerbsumfeld. Dazu wollen wir mit einem eigenen Portal beitragen und zum richtigen Moment den Markteintritt vollziehen.

promedia: Und dieser Moment ist jetzt gekommen?
Michael Loeb: Ja, ich bin mir sicher, dass Hulu, Netflix und Google kommen werden. Google TV ist für den Herbst angekündigt – ein für TV-Endgeräte optimiertes Betriebssystem, das TV, Web und Apps nahtlos miteinander verbindet. Google steckt außerdem 200 Millionen Dollar in YouTube-Produktionen. Netflix ist in England bereits aktiv, der Markteintritt in Schweden steht bevor. Vivendi plant eine Online-Videothek in Deutschland. Das Angebot wird dadurch größer, und damit wird aber auch die Orientierung für die Rezipienten schwieriger. Das ist der Grund für den Aufbau unserer eigenen Plattform. Denn wir verfügen zwar über starke Programmmarken, die aber in großen Angeboten erstmal gefunden werden müssen. Mit unserem Video-on-Demand-Portal wollen wir eine optimale Präsenz und Verbreitung der Inhalte sicherstellen und dafür sorgen, dass die Absendermarken wiedererkennbar bleiben. Dafür ist im Moment der richtige Zeitpunkt, denn die großen Player sind noch nicht da. Sind sie da, werden sie sicherlich ein großes Stück des Marktes beherrschen, und dann wird es schwieriger, solche Projekte zu realisieren.

promedia: Aber wenn es für den Zuschauer schwieriger wird, den Überblick zu behalten, wird er sich dann nicht stattdessen auf das lineare Fernsehen und die klassischen Sender zurückziehen?
Michael Loeb: Das Fernsehen wird das klassische Medium für Bewegtbild bleiben. Die ganzen Dienste, die dazukommen und ermöglichen, die Inhalte zeitversetzt zu sehen, haben eine unterstützende Wirkung. Es ist ein weiterer Weg neben der normalen Fernsehausstrahlung, die Programmmarken erlebbar zu machen. Letztlich nutzt das dem linearen Fernsehen mehr als es ihm schadet, weil ihm so neue Zielgruppen erschlossen werden. Programmmarken werden auf diese Weise neu aufgeladen.

promedia: Welche Chance sehen Sie, mit den großen Namen in Konkurrenz zu treten, die Sie gerade nannten?
Michael Loeb: Die Chancen unseres Portals liegen darin, dass wir die drei goldenen Regeln für Video-on-Demand-Angebote berücksichtigen: Man muss Inhalte mit Partnern aggregieren und mit denselben Partnern die hohen Kosten für die Infrastruktur teilen und dann herausfinden, für welchen Inhalt welches Geschäftsmodell ideal ist. Unser Portal, das den Arbeitstitel „Germany’s Gold“ trägt, hat das Ziel, 60 Jahre deutscher Film- und Fernsehgeschichte ins Netz zu bringen, und zwar über alle Genres hinweg. Das schließt eine Lücke im Video-on-Demand-Markt, eben wegen dieser großen Bandbreite. Letztlich kann auch nur eine aggregierte Menge legaler Angebote unserer Programme illegale Downloads unattraktiv machen.

promedia: Aber ganz umsonst ist doch immer noch billiger als billig.
Michael Loeb: TV-Konsumenten haben eine Lean-Back-Haltung. Das heißt, wenn ein Portal existiert, wo man mit einer hohen Nutzerfreundlichkeit alle interessierenden Programme legal sehen kann, wird man sich die Mühe ersparen, bei tausenden illegalen Angeboten ein relevantes Set an Programmen zusammenzustellen. Der effektivste Weg, um gegen die illegale Verbreitung von Inhalten vorzugehen, ist es, Inhalte zu aggregieren und mit einer hohen Benutzerfreundlichkeit in einem eigenen Portal anzubieten.

promedia: Sie haben angeboten, dass diese Plattform für weitere Partner offen ist. Bleiben Sie dabei?
Michael Loeb: Selbstverständlich. Wir haben die Gesellschaft am 25. April gegründet. Jetzt gibt es noch ein laufendes Kartellverfahren, das wir bestehen müssen. Grundsätzlich sind wir aber für weitere Partner offen.

promedia: Sie haben vor kurzem eine Vereinbarung mit Maxdome über die Verbreitung von WDR-Programmen abgeschlossen. Machen Sie sich damit nicht selbst Konkurrenz?
Michael Loeb: Nein. Auf unsererm Video-on-Demand-Portal werden die Inhalte der Partner nicht exklusiv zur Verfügung stehen. Man sollte die Inhalte möglichst überall da anbieten, wo die Nutzer sie auch suchen. Dabei verfolgen wir eine Multiplattformstrategie: Zum einen aggregieren wir die Inhalte auf unserem eigenen Portal und gewöhnen die Nutzer daran, dass man qualitativ hochwertige Inhalte, teilweise mit öffentlich-rechtlicher Herkunft, dort findet. Zum anderen werden wir die Inhalte aber auch auf alle anderen Plattformen verbreiten, die unserem Qualitätsanspruch genügen.

promedia: Wird Germany’s Gold zu einer Reduzierung der kostenlosen Angebote auf den Mediatheken führen?
Michael Loeb: Nein, das hat überhaupt keinen Einfluss. Die öffentlich-rechtlichen Mediatheken stehen auch in Zukunft mit ihren Inhalten unverändert in gleichem Umfang werbe- und kostenfrei zur Verfügung. Der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag hat festgelegt, dass für die Verweildauer dieser Inhalte in den Mediatheken bestimmte Fristen gelten, nach denen sie dort nicht mehr verfügbar sind. Unser Portal ermöglicht es den Zuschauern, Bewegtbildinhalte nach Ablauf dieser Fristen noch sehen zu können.

promedia: Muss Germany’s Gold die Inhhalte erwerben?
Michael Loeb: Ja natürlich, unsere Video-on-Demand-Plattform ist unter marktwirtschaftlichen und marktkonformen Bedingungen tätig. Das heißt, sie muss für die Inhalte bezahlen. Wir erhalten zum Beispiel vom WDR dafür auch keine Vorzugspreise. Das wird durch die Wirtschaftsprüfer im Auftrag der Landesrechnungshöfe geprüft und im Jahresabschluss festgestellt. Die gesamten Geschäftsbeziehungen zwischen uns und unserer öffentlich-rechtlichen Mutter müssen den Marktkonformitätsansprüchen genügen.

promedia: Sie haben vor einem Jahr mit Ihrem Digitalisierungsroboter A.D.A.M. die Digitalisierung der Archive gestartet. Ist diese Digitalisierung auch die Voraussetzung für das Angebot über die Plattform Germany’s Gold?
Michael Loeb: Was die WDR-Inhalte betrifft sicherlich. Perspektivisch würden wir auch gerne Produzenten anbieten, deren Inhalte zu digitalisieren und digital zu archivieren. Dies müssten wir aber mit einem zweiten ADAM machen, da ADAM I nur den Bedürfnissen des WDR folgt.

promedia: Sie sagten, dass Sie als Dienstleister im digitalen Bereich für den WDR arbeiten. Sie entwickeln unter anderem auch Apps. Welche Bedeutung werden die mobilen Angebote für den WDR künftig haben?
Michael Loeb: Es gibt zwei wesentliche Treiber für die Nutzung von Bewegtinhalten im Internet: Zum einen die Technik, die es ermöglicht, die Inhalte jederzeit an jedem Ort abzurufen. Hier ist auch die Entwicklung hybrider Endgeräte, der sogenannten Connected TVs, ein wesentlicher Faktor. Ein Vertreter von Hulu sagte mir einmal, das Erfolgsgeheimnis ist: „You have to make it to the livingroom“. Wenn der Abruf von Online-Inhalten genauso einfach ist wie den Fernseher an- und auszuschalten, dann wird man es auch mit Video-on-Demand-Angeboten ins Wohnzimmer schaffen. Der zweite Treiber ist die Verweildauer. Da hat das Fernsehen einen großen Vorteil, denn dadurch, dass die Endgeräte es angenehmer machen, Online-Inhalte zu sehen, werden Bewegtbildinhalte länger angeschaut. Davon können große Programmmarken und Fernsehsender profitieren.

promedia: Werden Sie damit auch den Tätigkeitsbereich Ihrer Gruppe erweitern?
Michael Loeb: Wir decken diese Felder bereits im Sinne einer digitalen Weitschöpfungskette ab. Das heißt, wir digitalisieren Inhalte, archivieren sie und entwickeln derzeit die Infrastruktur, um diese Inhalte vom Archiv auf die jeweiligen Ausspielwege, also mobile Endgeräte, Onlineplattformen usw. zu transportieren. Und wir vermarkten die Inhalte im Sinne einer Multiplattformstrategie auf unserer eigenen Plattform, aber auch dadurch, dass wir sie an Dritte wie zum Beispiel Maxdome oder iTunes syndizieren.

promedia: Inwieweit werden Sie auch für andere ARD-Anstalten tätig?
Michael Loeb: Wir möchten unsere Digitalisierungsdienstleistung auch Anderen anbieten und führen derzeit entsprechende Gespräche.

Über Michael Loeb

  • Geboren: 1. August 1963
  • Studium der Rechtswissenschaften
  • 1994 – 1999 WDR, Justiziariat
  • 1999 WDR mediagroup GmbH, Volljurist in der Geschäftsleitung
  • 2000 – 2006 WDR mediagroup licensing GmbH, Geschäftsführer
  • 2001 – 2008 WDR mediagroup COO für Programm und operative Fragen
  • 2007 – 2008 Colonia Media Geschäftsführer
  • Seit 2008 Geschäftsführer der WDR mediagroup GmbH

Artikel in der promedia, Special Medienforum NRW, Juni 2012

Weitere Informationen: promedia

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