Deutschland hat bereits einen Jugendkanal im Internet. Wir nennen ihn YouTube. Gastbeitrag von Florian Kerkau für kress.de

Dr. Florian Kerkau
Dr. Florian Kerkau, Geschäftsführer Goldmedia

40 Prozent der 18- bis 29-jährigen deutschen Onliner nutzen YouTube täglich. Fast 30 Prozent sogar mehrmals am Tag. Dabei hat jeder YouTube-Nutzer im Schnitt mehr als 30 Kanäle abonniert. Bereits im Kindesalter (6 bis 12 Jahre) wird YouTube von mehr als der Hälfte der Kinder (55%) genutzt. All dies sind aktuelle Ergebnisse einer Goldmedia-Nutzerbefragung vom Januar/Februar 2015. Während 35 Prozent aller deutschen Onliner einen kostenpflichtigen VoD-Dienst nutzen, schauen sich 51 Prozent mindestens mehrmals pro Woche Videos auf YouTube an. Bei den 18- bis 29-Jährigen sind es sogar 80 Prozent.

Was heißt all dies für das lineare Fernsehen? Die klassische Fernsehwelt tut sich im Internet nach wie vor schwer. Die große Konkurrenz wird oft bei den immer stärker wachsenden Bezahldiensten wie Amazon oder Netflix vermutet, da hier der attraktive Content für wenig Geld zu jeder Zeit für den Nutzer verfügbar ist. Dabei wird oft vernachlässigt, dass gerade der Bereich werbefinanzierter Videos (A-VoD) – und das vor allem bei den jüngeren Zuschauern – für das Fernsehen die größere Konkurrenz darstellt. Sicher, der Vergleich dieser beiden Bewegtbildformen ist aus inhaltlichen Erwägungen natürlich schwierig. Allerdings ist diese Diskussion längst nicht mehr mit dem alten Argument abzubrechen, dass auf YouTube nur lustige Katzenvideos zu sehen sind. Tatsächlich hat sich YouTube in den letzten Jahren deutlich professionalisiert. Man könnte sogar sagen, dass die Entwicklung von Multichannel-Networks (MCNs) wie Mediakraft, Studio71 oder TubeOne eigentlich eine moderne Interpretation von Fernsehsendern im Internet darstellt. Wie ein klassischer TV-Sender produzieren, distribuieren und vermarkten diese MCNs Bewegtbildinhalte, und das auch noch mit demselben Geschäftsmodell – der Werbung. Das werbefinanzierte Modell ist auch deshalb für junge Zuschauer interessant, da diese keine ausgeprägte Zahlungsbereitschaft haben. Zusätzlich bietet YouTube viele neue und innovative Formate der Bewegtbildunterhaltung, besonders für junge Menschen.

Zusätzlich bedient YouTube die neuen Anforderungen des sozialen Internets sehr gut, z.B. durch eine reichlich genutzte Kommentarfunktion. Natürlich gibt es überall im Internet die Möglichkeit, Kommentare zu schreiben und zu lesen. Was hier jedoch anders ist, ist die Art, wie Videoinhalt und Kommentare zusammen etwas ganz Neues ergeben. Dabei ist der sogenannte YouTuber (der im klassischen Fernsehen so etwas wie der Moderator ist) eben kein professioneller Journalist, sondern oft ein junger Mensch auf Augenhöhe mit seinen Zuschauern. Das macht die Interaktion wertvoller, als dies für die jungen Zuschauer bei professionellen journalistischen Angeboten der Fall ist. Es ist kein Zufall, dass ein Phänomen wie z.B. Social TV nicht aus den Angeboten der professionellen Sender entstanden ist, sondern abgelöst davon zuerst auf Twitter und Facebook. Diese digitale soziale Welt ist eben auch ein elementarer Teil der YouTube-Welt.

Vergleicht man die Abrufzahlen von YouTube und die der Mediatheken (nach AGF-Messung) der privaten und öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, ergibt sich ein interessantes Bild: Während die Top10-Videoabrufe aller AGF-erfasster Mediatheken in der KW 5/2015 mit knapp 5 Mio. Abrufen zu Buche schlagen, wurden die Videos der deutschen Top10-Kanäle auf YouTube im gleichen Zeitraum fast 60 Mio. Mal abgerufen. Bei allen inhaltlichen Argumenten, warum dieser Vergleich nicht zulässig ist, muss man doch dagegenhalten, dass diese Abrufe zumindest mit der verfügbaren Zeit des individuellen Medienbudgets jedes einzelnen Nutzers konkurrieren.

Was bedeutet diese Entwicklung nun für die Zukunft? Aus Sicht der Medienforschung kommen zwei Szenarien in Betracht. Aus der sogenannten Kohortentheorie, nach der die lebenslangen Vorlieben und Wertevorstellungen jeder Generation von Verhaltensweisen geprägt werden, die sie sich in jungen Jahren angeeignet haben, könnte man den Schluss ziehen, dass die Zuschauer für das klassische TV von einer nachwachsenden YouTube-Generation abgelöst werden. Die klassische lineare Fernsehnutzung dürfte damit in den nächsten Dekaden immer weiter zurückgehen und am Ende blieben nur noch die eventbasierten Top-Ereignisse (z.B. Sport, Shows etc.) als Grund, das lineare Fernsehen überhaupt einzuschalten. Möglicherweise könnten sich die Sender dann solche aufwendigen Inhalte aber auch gar nicht mehr leisten und die Fußball WM 2030 würde wahrscheinlich auf YouTube, Amazon oder Netflix übertragen werden.

Andererseits hat sich die Kohortentheorie in der Absolutheit der Unveränderlichkeit von Gewohnheiten als nicht ganz zutreffend erwiesen. Tatsächlich verändern Menschen auch ihre Gewohnheiten, wie dies derzeit bei der Nutzung von S-VoD-Diensten (Subscription-based VoD) gut zu sehen ist.

Dieser Unzulänglichkeit begegnet die Theorie des Medienrepertoires, die besagt, dass die Mediennutzung auch stark von der Lebensphase abhängt. Demnach haben in der Jungend die gruppenbezogenen Bedürfnisse Vorrang, da in dieser Phase die Identitätsbildung stattfindet. Aus diesem Grund sind soziale Medien wie YouTube stärker gefragt. In der späteren Phase von Beruf und Familie werden die Informationsbedürfnisse dann eher ungerichtet. Es wäre also möglich, dass aus YouTube-Nutzern später auch wieder Fernsehzuschauer werden. Doch diese haben in ihrer Jugend bereits die Internetnutzung verinnerlicht und damit die Vorzüge eines non-linearen, selbstbestimmten Auswahlangebots. Das finden sie aber wohl eher auf einer S-VoD-Plattform als im Fernsehen oder den eng am linearen Fernsehen angelehnten Mediatheken.

Sollte das Fernsehen die jungen Zuschauer jedoch nicht völlig abschreiben wollen, müssten seine Bemühungen um die Zielgruppe deutlich intensiviert werden. Die öffentlich-rechtlichen Sender sind dabei immerhin in der komfortablen Situation, über recht erfolgreiche eigene Jugendwellen im Radio zu verfügen. Vielleicht sollte man dort mal nachfragen, wie man junge Rezipienten vom eigenen Programm begeistert. Das YouTube-Projekt #3sechzich vom WDR ist zwar schon mal ein kleiner Anfang –
für die ambitionierten Macher bleibt zu hoffen, dass es am Ende nicht wieder heißt: too little, too late…

Dr. Florian Kerkau, Geschäftsführer Goldmedia

Der Artikel wurde erstveröffentlicht bei kress.de

Weitere Informationen zur Goldmedia-Nutzerbefragung

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