Hier fehlt der Faktor Kultur. Interview mit Manuela Stehr, Filmproduzentin und -verleiherin und Präsidentin der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. (SPIO), promedia Mai 2012

Die Filmwirtschaft muss mehr für ihr Image als Kulturträger leisten

„Hier fehlt der Faktor Kultur“

Interview mit Manuela Stehr, Filmproduzentin und -verleiherin und Präsidentin der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. (SPIO)

Manuela Stehr, Filmproduzentin und -verleiherin (X-Filme und X-Verleih) ist neue Präsidentin der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e.V. (SPIO). „Die Filmwirtschaft steht im digitalen Medienzeitalter vor großen Herausforderungen. Der Schutz des geistigen Eigentums erfordert den Zusammenhalt aller in der Branche. Es muss auch in Zukunft möglich sein, von Kreativität leben zu können“, so Manuela Stehr. Die SPIO vertritt die Interessen der deutschen Film-, Fernseh- und Videowirtschaft. Sie ist der Dachverband von derzeit 16 Berufsverbänden, die insgesamt über 1100 Mitgliedsfirmen repräsentieren.

Manuela Stehr
Manuela Stehr

promedia: Frau Stehr, die Filmwirtschaft erwirtschaftet nach Zahlen aus dem Bundeswirtschaftsministerium jährlich einen Umsatz von circa acht Milliarden Euro. Ist diese Wirtschaftsleistung der Öffentlichkeit schon ausreichend bewusst?
Manuela Stehr: Meiner Ansicht nach überhaupt nicht. Natürlich freue ich mich, wenn ich so eine Zahl höre, aber ich denke, dass sie höher ist.

promedia: Warum?
Manuela Stehr: Weil es bisher keine umfassenden Erhebungen gegeben hat. Aktuell ist deshalb eine neue Studie der Produzentenallianz mit der Hamburg Media School in Arbeit. Ich habe selbst während meiner Zeit bei der Filmstiftung in NRW versucht, Daten für dieses Bundesland zu eruieren und bin schon daran gescheitert, dass die statistischen Landesämter zum Beispiel keine Freiberufler führen. Wir haben es im Filmbereich aber mit einer Branche zu tun, die nachhaltig durch freiberuflich Tätige bestritten wird. Hier sehe ich allerdings auch eine Aufgabe der SPIO, diese Zahlen zusammenzutragen. Ein anderes Thema jenseits der Zahlen ist für mich auch, welche verschiedenen Betätigungsfelder die Filmwirtschaft bietet. Ich habe viele Leute erlebt, die eine Elektrikerlehre abgeschlossen hatten, sich unglücklich gefühlt haben und heute gut bezahlte Beleuchter sind. Es gibt Leute, die toll mit Zahlen in der Buchhaltung umgehen können, sich aber über die Inhalte langweilten, und heute Filmgeschäftsführer sind. So gibt es für jedes Handwerk und auch jeden kaufmännischen Beruf die Möglichkeit, sich im Filmbereich zu qualifizieren. Das ist eine große Qualität dieser Branche.

promedia: Warum „verkauft“ die Branche ihre Leistungen und ihren Wert für die Gesellschaft so schlecht?
Manuela Stehr: Das frage ich mich auch. Ich glaube, das hat damit zu tun, dass es nicht nur um den roten Teppich, den Glamour und um den volkswirtschaftlichen Mehrwert geht. Hier fehlt der Faktor Kultur. Das ist bei uns in Deutschland ein großes Problem. In Frankreich steht Film für Glamour und roter Teppich, aber immer auch für Kultur. Selbst in der EU ist festgeschrieben und anerkannt, dass Film immer Kultur- und Wirtschaftsgut ist und Kommerzialität eines Films auch Kultur nicht ausschließt. Dieses Kulturverständnis von Film ist bei uns nicht richtig verankert und auch nicht die Einsicht, dass diejenigen, die Kultur herstellen, auch davon leben dürfen.

promedia: Aber liegt das mangelnde Kulturverständnis nicht vielleicht auch daran, dass Filmleute immer sehr schnell auf Förderung zu sprechen kommen?
Manuela Stehr: Da stimme ich Ihnen vollkommen zu, weil Film immer mit Förderung zu tun hat – die er dringend braucht -, es immer um Terms of Trade und letztlich immer um Geld geht. Das ist ein massives Darstellungsproblem. Auch das Wissen und die Vorstellungen über den Beruf des Produzenten, des Verleihers, des Videovertreibers etc. sind ein großes Problem. Wir haben insgesamt versäumt, nachhaltig klar zu machen, welche Leistung jenseits irgendwelcher Förderungen mit Leidenschaft und kultureller Leistungsfähigkeit erbracht wird.

promedia: Sie sind zur Präsidentin der SPIO gewählt worden. Wie leicht stellen Sie sich dieses Amt vor?
Manuela Stehr: Ich stelle es mir relativ schwierig vor. Denn abgesehen von der persönlichen Seite, dass Präsidentin der SPIO ein Ehrenamt ist, ich nebenher eine Firma zu leiten habe, zudem mit großer Leidenschaft Filme ins Kino bringe und hin und wieder auch produziere, wird es in unserer medialen Welt immer schwieriger, mit einzelnen Filmen und ihren Botschaften überhaupt durchzudringen. Mindestens ebenso schwierig ist es, ein Bewusstsein zu ändern oder Aufklärung zu betreiben. Angesichts einer veränderten Mediennutzung muss man sich überlegen, ob man mit Kampagnen der klassischen Art weiterkommt oder sich neue Wege der Kommunikation überlegen muss – zur Politik und natürlich auch zu jedem einzelnen Bürger.

promedia: Wo sehen Sie darüber hinaus die Schwerpunkte der Arbeit der SPIO?
Manuela Stehr: Ich sehe im Moment den Schwerpunkt im Urheberrecht, weil dieses nicht nur die Bedrohung der Lebensgrundlage der Künstler darstellt, sondern auch der Menschen, die leidenschaftlich Filme herstellen, in die Kinos bringen, zeigen und dafür sorgen, dass die ihre Zuschauer finden. Das zweite Thema ist die Bedeutung von Kino. Also, was bedeutet Kinofilm in Abgrenzung zum Fernsehfilm und was bedeutet der Ort Kino in der heutigen Gesellschaft. Da sind wir wieder beim Urheberrecht, weil man früher ins Kino gehen musste, um einen aktuellen Film zu sehen und es heute legale und illegale Alternativen gibt. Sicherlich sind Kinofilme durch das Fernsehen, VHS und jetzt durch DVD immer mehr verbreitet worden. Aber deshalb muss man umso stärker vermitteln, dass Kino ein besonderer Ort mit einer ganz besonderen Magie ist, der die totale Konzentration auf eine Sache in einem dunklen Raum und einer Erfahrung, die man gemeinsam mit anderen Menschen macht, ermöglicht. Dies geschieht in einer Intensität, bei der ich behaupte, dass man diese normalerweise nicht mehr aufbringt.

promedia: In Ihrem Statement nach der Wahl, wo Sie die Bedeutung des Urheberrechts betont haben, haben Sie gesagt, dass dafür auch der Zusammenhalt aller in der Branche wichtig ist. Wie meinen Sie das?
Manuela Stehr: Was erleben wir aktuell mit dem Urheberrecht? Die Piraten sind so verstanden worden, dass sie nicht einsehen, dass jemand mit seiner Kunst Geld verdienen soll. Das ist auf Kritik gestoßen. Daraufhin sind sie wieselflink wieder zurückgerudert und haben erklärt, dass sie das nicht so gemeint haben, sondern ihnen ginge es um die „bösen Verwerter“, wer immer das sei. Damit versuchen sie, einen Keil zwischen Urheber im reinen Sinne und sogenannten „Verwertern“ zu treiben.

promedia: …außerdem sind die Produzenten ja laut Gesetz keine Urheber…
Manuela Stehr: Das sind sie formal nicht, die Mitarbeiter auch nicht. Aber natürlich erbringen sie kreative Leistungen. Wir haben den Urheber auf der einen Seite und auf der anderen Seite die vielen Menschen, die ihn unterstützen und dafür sorgen, dass seine Werke überhaupt erst entstehen beziehungsweise im Filmbereich auch gesehen werden können. Bei der Darstellung dieses Zusammenhangs wünsche ich mehr Zusammenhalt. Der andere Aspekt ist die Art, wie wir die Diskussion führen, damit uns die anderen verstehen, dass nicht immer die gleichen Floskeln und Thesen gegenüber gestellt werden. Das kann meiner Ansicht nach nur durch Transparenz gelingen. Die Branche muss viel besser als bisher vermitteln, was in ihr passiert: Was macht ein Produzent, was ein Verleiher, ein Vertrieb, was ein Drehbuchautor, warum nehmen sich Drehbuchautoren Agenten, was sie ja nicht müssen und warum waren die Schauspieler so glücklich, als sich freie Agenturen gründen durften? Um diese Berufsfelder aufzuzeigen und überzeugend darzustellen, wie die Verwertung eines Films abläuft, benötigen wir Transparenz. Dazu muss es aber auch von allen Beteiligten eine Bereitschaft geben, und das meine ich wiederum mit Zusammenhalt.

promedia: Wächst diese Bereitschaft unter dem Druck der Diskussionen der letzten Monate?
Manuela Stehr: Ja. Ich bin zum Beispiel sehr stolz und zufrieden, dass es möglich war, dass sich vier große Verbände, die sich in der Vergangenheit auch oft kritisiert hatten, auf eine gemeinsame Erklärung zur Novellierung des FFG geeinigt haben. Das war nur möglich, weil wir offen waren und zugehört haben. Wie man einen Film produziert, welche Nöte wir haben und warum wir überhaupt Filmförderung brauchen, hat man sich gegenseitig innerhalb einer Branche erklärt, wo man eigentlich als Außenstehender denken sollte, alle wüssten das. Aber sie wussten es nicht alle. Und wenn es dort innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens gelungen ist, warum sollte es dann nicht gelingen, diese Aufklärung auch nach außen zu transportieren?

promedia: Welche Veränderungen und Herausforderungen sehen Sie neben der Piraterie für die Filmwirtschaft, auf die Sie sich stärker einstellen und reagieren müssen?
Manuela Stehr: Wir müssen das gesamte Modell der bisherigen Filmverwertung überdenken, weil man heute zu Hause eine Leinwand mit einem tollen Beamer hinstellen und auch die Filme legal herunterladen kann und nicht mehr unbedingt ins Kino gehen muss. Das ist in Ordnung, solange man für den Film bezahlt. Aber das heißt auch zu überlegen, worin die besondere Rolle des Kinos liegt. Die Frage ist für uns, wie wir noch überzeugender kommunizieren, dass das Kino der Motor des Kinofilms ist und was wir dem Besucher mehr bieten können als beispielsweise zu Hause mit einem Topbild einen Film sehen zu können.

promedia: Ist das FFG bei den Auswertungsfenstern oder den Arten der Förderung schon auf die digitale Welt ausgerichtet?
Manuela Stehr: Wir nähern uns an. Die Auswertungsfenster sind sukzessive im Laufe der Jahre kürzer geworden, um den vermeintlichen Bedürfnissen der Zuschauer gerecht zu werden. Eine hohe Flexibilität ist prinzipiell gut, aber nur, wenn sie wirklich dem Zuschauer dient. Das Fatale dabei ist aber, dass man so wenig über ihn weiß. Meine private Meinung ist zum Beispiel, dass die Menschen, die Filme lieben, – und zum Glück sind das viel mehr, als ins Kino gehen – Zeit ihres Lebens Filme sehen werden. Aber es wird auch mal eine Phase geben, wo man zum Beispiel kleine Kinder hat, arbeiten muss und nicht mehr die Zeit findet, ins Kino zu gehen. Dennoch wird man nicht darauf verzichten wollen, sich aktuelle Filme anzuschauen, über die gesprochen wird. Dann wird aber auch wieder die Zeit kommen, wenn die Kinder aus dem Haus sind, dass man wieder ins Kino geht, weil das der beste Ort für das Qualitätsprogramm ist, was wir dem Zuschauer auch bieten wollen. Aber man kann natürlich genauso behaupten, dass es Leute gibt, die grundsätzlich und immer ins Kino gehen und andere nicht. Wir wissen es aber nicht genau und das ist ein Problem.

promedia: Diese Schutzzeit für Spielfilme bezieht sich auf deutsche Filme, die mit den Fördermitteln gefördert worden sind. Führt das bei den digitalen Video-on-demand-Plattformen nicht zu Problemen?
Manuela Stehr: Schutzzeiten werden in Deutschland auch für amerikanische Filme eingehalten. Solange der Kinofilm als Kinofilm ein besseres Standing bei den Zuschauern hat, bin ich sicher, dass diese für die Idee, die dahinter steht, nämlich den Schutz des Ortes Kino und die Stärkung des Kinos als besonderes Erlebnis, Verständnis haben. Wenn dies abbröckelt, dann wird es schwierig. Wenn wir nicht in der Lage sind zu verhindern, dass Filme zeitgleich zum Kinostart, oder, was das Verheerendste ist, vor Kinostart bereits im Internet sind, dann können sich Filme nicht refinanzieren und damit keine neuen hergestellt werden.

promedia:  Sehen Sie neben den negativen Seiten der Digitalisierung auch positive, von denen die Filmwirtschaft profitieren kann?
Manuela Stehr: Absolut. Doch dafür müssen wir noch mehr darüber reden und uns gegenseitig die Probleme vergegenwärtigen, wie wir unsere Filme am besten zum Publikum bringen können. Letztlich bedeutet Digitalisierung für uns, dass wir in kürzester Zeit und in ausgezeichneter Qualität jedem unsere Filme zur Verfügung stellen können. Dann bleibt nur die Frage, wie man damit sicherstellt, dass davon sehr viele Leute leben können. Einen weiteren Vorteil sehe ich darin, dass unser kulturelles Erbe sicher aufbewahrt und besser ausgewertet werden kann. Es wird eine unserer wichtigsten Aufgaben in nächster Zeit sein, sich zu überlegen, wie man es schaffen kann, dass der Film als Kultur- und Wirtschaftsgut weiter bestehen kann und wir trotzdem jeden erreichen können, damit er auch unsere Filme sieht.

Über Manuela Stehr

  • Studium Rechtswissenschaften
  • 1984 – 1991 Produzentin in Berlin
  • 1992 – 1999 Leiterin der Produktionsförderung der Filmstiftung NRW
  • 2000 – 2009 Mitgeschäftsführerin der X Filme Creative Pool GmbH
  • 2009 Vorstandsvorsitzende der X Verleih AG
  • Seit 2005 Bereichsleiterin Produktion an der Hamburg Media School
  • Mitglied des Vorstands des VdF Verband der Filmverleiher e.V.
  • Seit März 2012 Präsidentin der SPIO

Artikel in der promedia Mai 2012

Weitere Informationen: promedia

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