Man kann es fast spüren: Da tut sich etwas. Goldmedia-Geschäftsführer Dr. Klaus Goldhammer im Gespräch mit promedia zum Thema Web-TV

Für die Erfassung der Web-TV-Angebote im Web-TV-Monitor 2010 hat das Beratungsunternehmen Goldmedia einheitliche Kriterien definiert: Bei den Portalen handelt es sich um Video-Angebote, die regelmäßig aktualisiert werden, über einen herkömmlichen Web-Browser abrufbar sind, sich an ein deutsches Zielpublikum wenden, ihre Inhalte überwiegend selbst produzieren oder lizenzieren und rechtlichen Mindest-Standards (Urheberrecht, Jugendschutz) entsprechen. Web-TV unterscheidet sich von klassischem Fernsehen vor allem dadurch, dass es nicht zwingend ein komplettes Programm anbietet. Vielmehr können es auch Angebote mit einzelnen Clips, Beiträgen von Nutzern oder Shopping-Sendungen von Unternehmen sein. Im Web-TV-Universum existieren Video-on-Demand-Angebote, es gibt Videocenter und Mediatheken von klassischen TV-Sendern bis hin zu Kommunikationsportalen oder Online-Angebote der Print-Industrie, die einzelne Videos bieten. Das Spektrum ist nicht mehr so eindimensional wie im klassischen Fernsehbereich. Bei der Untersuchung nicht berücksichtigt wurden Linkaggregatoren wie Blogs, Twitter- oder Facebook-Angebote sowie ausländische Angebote, wie Hulu, die erhebliche Marktanteile in Deutschland erzielen. Da das primäre Ziel der Untersuchung eine Messung der Abrufzahlen war, hätten diese Angebote zu einer doppelten Zählung von Videoabrufen führen können.

Dr. Klaus Goldhammer
Dr. Klaus Goldhammer

promedia: Herr Goldhammer, Sie haben 1.275 deutschsprachige Web-TV-Angebote erfasst. Woher stammen die Inhalte?
Klaus Goldhammer: Neben den User Generated Video-Portalen sind die Inhalte zum größten Teil Eigenproduktionen. 90 Prozent der Web-TV-Anbieter, die unseren Fragebogen beantwortet haben, zeigen Eigenproduktionen in ihrem Programm. Rund die Hälfte bezieht ihre Inhalte meist zusätzlich von Kooperations- und Vertragspartnern wie Media- oder Nachrichtenagenturen. Sie dürfen nicht vergessen: Ungefähr die Hälfte aller Web-TV-Angebote sind Submarken klassischer Medien aus Print, TV und Radio. 97 Prozent sind private oder nichtkommerzielle Anbieter – nur drei Prozent öffentlich-rechtliche. Inhaltlich überwiegen dabei Informationsangebote gegenüber Unterhaltung. Aktuelle, non-fiktionale Informationen sind ein wichtiger Faktor im Web-TV. Der Web-TV-Platzhirsch aber ist mit weitem Abstand YouTube, wenn man nach den Abrufzahlen geht und nicht auf die Professionalität oder Qualität der Inhalte schaut.

promedia: Bei YouTube finden sich Angebote von klassischen Sendern, die 1:1 übernommen oder spezieller bearbeitet werden, zudem selbstgedrehte Videos von Privatpersonen. YouTube ist eine Plattform, auf der sich zum großen Teil das wiederfindet, was auch an anderer Stelle im Internet existiert?
Klaus Goldhammer: Das ist richtig. Darin liegt der Mehrwert von YouTube und auch ein Teil des Definitionsproblems: Wie erfasst man zum Beispiel auf Facebook verlinkte YouTube-Videos? Wem sind diese Videos zuzurechnen? YouTube hat in Deutschland mehr als 15 Millionen Unique User pro Monat. Damit muss sich der klassische Fernsehmarkt befassen. Hier wird Stück für Stück Reichweite, Nutzung und Aufmerksamkeit aufgebaut, die mittelfristig eine ernsthafte Konkurrenz werden könnte. Sicher, die Reichweiten sind heute noch nicht so überwältigend. Aber wenn man es mit der Situation vor zehn Jahren vergleicht, wo es hieß, dass wackelige Online-Videos in Briefmarkengröße kein Wettbewerbs-Faktor seien und man den Status heut noch einmal zehn Jahre in die Zukunft fortschreibt, kann man sich vorstellen, dass Web-TV ein echter Wettbewerbsfaktor werden könnte.

promedia: Die klassische Fernsehnutzung beträgt heute 212 Minuten pro Tag. Wie viele Minuten wird online Bewegtbild genutzt?
Klaus Goldhammer:
Man kann diese Daten schlecht vergleichen, weil die Strukturen andere sind. Aber dennoch: Durchschnittlich gibt es 151 Millionen Videoabrufe pro Tag allein bei den deutschen Web-TV-Sendern ohne ausländische Angebote und Facebook, Blogs und andere Linkaggregatoren. Rund 65 Prozent aller Onliner schauen mindestens gelegentlich Onlinevideos. Die Nutzungsdauer pendelt dabei zwischen zwei und zehn Minuten.

promedia: Die Videos sind zum Teil aber nur zwei bis drei Minuten lang…
Klaus Goldhammer: Das stimmt. Aber langsam kommen immer mehr Premium-Inhalte, also Langfassungen von Filmen, ins Netz. Seit solche anspruchsvollen Langformate zu sehen sind, gibt es auch die entsprechend längere Videonutzung. Bei den von uns befragten Web-TV-Anbietern konnten wir immerhin insgesamt eine durchschnittliche Nutzungsdauer von neuneinhalb Minuten feststellen. Solche Nutzungszahlen lassen sich aber wohl nicht mit User Generated Content generieren. Je mehr anspruchsvolle, längere Formate im Internet zu finden sind, desto länger schauen auch die Nutzer zu.

promedia: Die KEK ist mit einer Studie davon ausgegangen, dass das Internet nicht mehr Vielfalt bietet, da die Inhalte crossmedial wie bei YouTube eingesetzt werden. Können Sie das bestätigen?
Klaus Goldhammer: Wir haben ca. 2.700 Webradios und rund 1.300 Web-TV-Sender allein in Deutschland gefunden – ich weiß nicht, wie viele Angebote die KEK untersucht hat. Natürlich stammen viele Inhalte von klassischen Medienanbietern, dennoch zeigt unsere Analyse, dass auch zahlreiche völlig neue Anbieter am Markt sind. Sicher  –  die Angebote mögen nicht alle vergleichbar professionell wie die der klassischen Medien sein. Jeder, der heute ein Video produzieren will, kann das dank Internet tun, er kann es finanzieren und distribuieren. Die Möglichkeiten, an einer öffentlichen Kommunikation teilzuhaben, sind enorm gewachsen und damit auch das Spektrum der Meinungen. Das Internet trägt daher aus meiner Sicht erheblich zur Vielfalt des Meinungsspektrums bei.

promedia: Es gibt im Internet Formate, die man aus dem klassischen Fernsehen nicht kennt, die von Unternehmen gestartet werden, wie etwa BMW TV. Wird diese Entwicklung weiter zunehmen?
Klaus Goldhammer:
Sieben Prozent der deutschen Web-TV-Sender stammen von Unternehmen. Es gibt also über 100 entsprechende Angebote – von Allianz bis Red Bull. Zudem existieren viele nicht kommerzielle Web-TV-Sender, darunter das Programm des Deutschen Bundestages, auch Bibel TV oder Uni-TV. Viele Unternehmen verfügen über anspruchsvolle Bewegtbildinhalte. Warum sollten sie die nicht zur Verfügung stellen? Wenn man bedenkt, wie viele Millionen Euro im Jahr Konzerne in klassische Fernsehwerbung investieren, um dann im dritten Block den vierten Spot zu belegen, wird der Betrieb eines eigenen 24-Stunden-Senders durchaus praktikabel und finanziell darstellbar.

promedia: Werden professionelle Inhalte stärker genutzt als User-Generated Content?
Klaus Goldhammer: Sowohl als auch: Allein auf YouTube wird jede Minute neues Videomaterial mit einer Länge von 24 Stunden hochgeladen, das ist quantitativ kaum zu schlagen. Allerdings sagt leider niemand, wie viel davon schnell wieder gelöscht wird von verschiedenen Rechteinhabern. Aber eines ist klar: Das künftige Wachstum läuft über qualitativ hochwertigere, professionelle Inhalte. Diese werden erst jetzt nach und nach bereitgestellt. User-Generated Content hat den ersten Schritt in die Web-TV-Welt gemacht, jetzt folgen Profi-Inhalte und generieren zusätzliche Aufmerksamkeit.

promedia: Verliert damit User-Generated Content an Bedeutung?
Klaus Goldhammer: Fakt ist, dass User-Generated Content weiterhin die größte Bedeutung im Internet hat und insofern auch nicht so schnell vom Sockel gestoßen wird. Aber umgekehrt gewinnen professionelle Inhalte an Fahrt. Und es „fehlen“ zudem noch viele Inhalte, weil die Online-Rechte nicht geklärt sind und die Plattformen in Deutschland nicht nutzbar sind. In Amerika zieht Hulu beispielsweise viele Nutzer auf sich. Ein deutsches Hulu in dieser Form gibt es aber noch nicht. Da könnte sich noch einiges tun.

promedia: Wie wird sich das Hybrid-TV auf die Nutzung auswirken?
Klaus Goldhammer: Wir haben eine eigene Studie zum Hybridfernsehen erstellt und sehen das als zusätzlichen potentiellen Wachstumstreiber. Aber nicht jeder, der einen Hybridfernseher hat, schließt den auch ans Internet an und nicht jeder, der ihn ans Internet angeschlossen hat, nutzt es dann regelmäßig. Andererseits werden derzeit sehr viele Hybrid-Fernseher verkauft. Die von uns befragten Sender gehen stark davon aus, dass Hybrid-Fernseher das Thema Web-TV deutlich vorantreiben werden.

promedia: Ist das nicht der Tod der klassischen Spartenkanäle?
Klaus Goldhammer: Es gibt weiterhin einen Markt im klassischen Fernsehbereich und auch dort gibt es weiterhin Geld zu verdienen. Das muss Web-TV erst einmal schaffen. Denn der Wettbewerb im Internet ist ein anderer, härterer als in den klassischen TV-Märkten. Natürlich könnte es für einen Sportsender weiterhin sinnvoll sein, über die klassischen TV-Plattformen verbreitet zu werden, aber für einen reinen Cricket-Sender macht das Internet eventuell mehr Sinn.

promedia: Ein Problem ist nach wie vor die Refinanzierung der Bewegtbildangebote. Inwieweit funktioniert klassische Werbung?
Klaus Goldhammer: Klassische Werbung funktioniert laut Senderangaben sehr gut. Und dies, obwohl für Web-TV zum Teil noch die verbindlichen Mess- und Reichweitenstandards in der Entwicklung sind. Auch die Tatsache, dass der ganz überwiegende Anteil der Web-TV-Angebote kostenlos sind, belegt das: 96 Prozent der Web-TV-Anbieter bauen also nicht auf Pay-Modelle.

promedia: Deshalb muss es nicht automatisch werbefinanziert sein…
Klaus Goldhammer: Ja, natürlich. Die Company-Web-TV Sender finanzieren ihre Angebote aus dem Marketingbudget. Der Deutsche Bundestag mit seinem Parlamentsfernsehen beispielsweise hat einen Kommunikations-Etat dafür. Es gibt viele unterschiedliche Refinanzierungsmodelle. Aber Kostenpflichtigkeit ist nur selten durchsetzbar. Wir gehen davon aus, dass in diesem Jahr allein für Web-Video-Werbung 80 Millionen Euro Netto eingenommen werden im Vergleich zu 40 Millionen Euro 2009. Nach unseren Schätzungen wird sich der Betrag in den nächsten fünf Jahren auf rund 350 Millionen Euro erhöhen.

promedia: Was macht Sie so optimistisch?
Klaus Goldhammer: Online-Video-Werbung hat viele Vorteile: Erstens nutzt man heute zumeist einen Pre-Roll-Spot, der eine Sonderstellung sichert. Und wenn jemand die Seite abruft, schaut man sich den Spot fast garantiert an. – Noch muss man allerdings sagen. Der Spot lässt sich nach allen Regeln der Kunst targeten und über das Tracking kann genau belegt werden, dass der Nutzer diesen Spot auch wirklich angeklickt hat.

promedia: Nur liegen die Preise pro Sekunde deutlich unter denen der klassischen TV-Werbung …
Klaus Goldhammer: Absolut gesehen stimmt das. Auf TKP-Basis, also pro Tausend Kontakten ist Online-Video-Werbung im Schnitt aber teurer als klassische TV-Werbung. Das hängt auch mit den geringeren Streuverlusten zusammen. Erst seit zwei, drei Jahren ist es im größeren Stile möglich, solche Werbung überhaupt zu schalten. Man muss abwarten, wie sich Online-Video-Werbung im Markt entwickelt. Wenn diese Form der Werbung bei den Media-Entscheidern und Unternehmen angekommen ist und es dafür auch Infrastrukturen gibt, die das belegen und umsetzen können, kann sich in diesem Bereich eine sehr dynamische Entwicklung vollziehen.

promedia: Die Anzahl der Paid-Angebote ist relativ gering. Was für Angebote sind das?
Klaus Goldhammer:
Zu den Paid-Angeboten zählt z.B. „LIGA total“. Es gibt auch Bundesliga-Fußballvereine, die ihre Spiele vorab im Internet offerieren, wie etwa Hannover 96. Zudem gibt es kostenpflichtige oder teilweise kostenpflichtige Videotheken oder Videocenter der TV-Sender wie Maxdome oder RTL Now.

promedia: Wie ist die Nutzung dieser Paid-Angebote?
Klaus Goldhammer: Bisher werden von den Anbietern dazu kaum Daten veröffentlicht. Aber es ist durchaus interessant, dass RTL und ProSieben den Vorschlag gemacht haben, einen gemeinsamen technischen Dienstleister zu gründen, um Synergien auszuschöpfen. Die beiden scheinen zum Teil gar nicht so unzufrieden mit den Abrufzahlen zu sein, aber offenbar macht eine gemeinsame technische Plattform wirtschaftlich Sinn. Das Projekt liegt aber nun beim Bundeskartellamt.

promedia: Inwieweit wird die mobile Nutzung, etwa durch das iPad oder Smartphones, die Entwicklung von Web-TV beeinflussen?
Klaus Goldhammer: Smartphones sind die fünfte Generation von Computern – nach Mainframes, Desktop-PCs, Laptops und Netbooks. LTE als Nachfolgestandard von UMTS bietet eine Verzehnfachung der Datenübertragungs-Kapazitäten. Es wird immer leichter möglich, Videos auch mobil abzurufen. Deshalb gehe ich davon aus, dass durch die mobile Nutzung ein zusätzlicher Schub kommt.

promedia: Aber von den 250.000 Apps, die es inzwischen für das iPhone gibt, bieten nur wenige Bewegtbild an. Ist das Interesse an bewegten Bildern auf den kleinen Displays doch nicht so groß?
Klaus Goldhammer:
Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass das Interesse bei den Nutzern groß ist, auch mobil Videos anzusehen. Doch die Nutzung hängt vor allem davon ab, ob die Infrastrukturen Bewegtbild hergeben und ob man Bewegtbild zu einem vernünftigen Tarif bekommen kann und nicht dafür finanziell bestraft wird, dass man Videos sieht. Mit LTE wird sich diese Situation vielleicht ändern. RTL hat Anfang November eine iPhone-App gestartet, mit der das gesamte Liveprogramm auf dem Handy angeschaut werden kann. Man kann es fast spüren: Da tut sich etwas.

Dr. Klaus Goldhammer, Geschäftsführer Goldmedia

Über Dr. Klaus Goldhammer

  • Geboren: 1967
  • 1994 Studium der Publizistik und BWL
  • Seit 1998 Gründung und Geschäftsführung der GOLDMEDIA GmbH
  • 2004 Gründung GOLDMEDIA Sales & Services GmbH
  • 2004-2006 Professur für Medienwirtschaft an der Rheinischen Fachhochschule Köln
  • 2006 Gründung GOLDMEDIA Custom Research GmbH
  • 2009 Gründung und  Geschäftsführung GOLDMEDIA Holding GmbH

Weitere Informationen: promedia

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