Trendmonitor 2016. Digitale Adipositas – Die informationelle Fettsucht hat uns fest im Griff. Trend-Ausblick von Klaus Goldhammer

Prof. Dr. Klaus Goldhammer, Geschäftsführer Goldmedia
Prof. Dr. Klaus Goldhammer, Geschäftsführer Goldmedia

[01.12.2015] Gelegentlich überkommt einen das Gefühl, online viel zu viel von der ewig gleichen Nachricht gesehen zu haben: Die Mediensites gelesen, dazu noch die Posts aller Freunde, die sich auf Facebook oder Twitter dazu auslassen und auf weitere Artikel verlinken; dann googelt man noch hinterher und irgendwann ist es wirklich genug. News-Überdruss. Wie eine ganze Tüte Gummibärchen, die einem Kind gut schmeckt, aber am Ende doch Bauchschmerzen bereitet. Nachrichten werden nicht nur immer schneller transportiert, sondern durch Reproduktion und Verlinkung schlicht immer mehr. Man schwimmt in einem Infomeer, dessen Wellen immer höher schlagen.

Digitale Adipositas könnte man es nennen – informationelle Fettsucht. Verursacht durch die massenweise Rekombination und Re-Iteration einer Ursprungsmeldung auf allen Kanälen. Ein Trend in unserer digitalen Welt, der auch 2016 weiter wachsen wird. Online ist nun möglich, dass alles gesagt wird und zwar von jedem über jeden Kanal: Medien, Journalisten, Freunde, Bekannte, Unbekannte. Die News werden dadurch nicht besser, sie nehmen nur an Masse zu. Aber nicht allein die News, das gesamte mobile Datenvolumen vor allem durch immer mehr Videos, so die bekannten Prognosen, wird sich zwischen 2014 und 2019 etwa verzehnfachen. Infofett mal zehn?

Auch in der persönlichen Kommunikation klebt die Infomasse an uns allen ganz gehörig: Mütter schauen auf ihre Handys und nicht auf ihre spielenden Kinder. Autofahrer fixieren eine Textnachricht bei voller Fahrt und nicht den Verkehr. Schüler texten im Unterricht unter dem Tisch und die ersten offiziellen Warnschilder sind schon für Fußgänger aufgestellt, lieber die Straße als den Facebook-Post zu betrachten.

Über alles und jedes wird mit allen und jedem digital gesprochen: 12- bis 19-Jährige in Deutschland schicken sich im Durchschnitt 780 Messages pro Monat. 26 Nachrichten pro Tag. Im Durchschnitt! Der Wert hat sich – vor allem durch den rasanten Anstieg bei WhatsApp – in nur zwei Jahren verdreifacht. (Dialog Consult/VATM)

Bildquelle: Komische Oper Berlin, © Kay Koester
Bildquelle: Komische Oper Berlin, © Kay Koester

Als immer größerer Luxus erscheint deshalb die De-Kommunikationdigitaler Detox sozusagen. Entschlacken vom Infofett. Die Umsetzung ist ganz einfach, das Handy bleibt aus. Eine gelegentliche Fastenkur für die eigene Kommunikation, um digitale Adipositas in die Schranken zu weisen.

Der Telekom-Spot “Familie Heins feiert Weihnachten” vom Dezember 2015 zeigt, wie Tochter Clara ihr Handy ausschaltet, Mutter Steffie das Tablet weglegt, Vater Walter den Fernseher ausschaltet und Oma Charlotte sich gleich ganz aus dem Netz ausklinkt. Statt digitalem Overflow bewirbt die Deutsche Telekom mit breitem Rücken besinnliches Miteinander, ganz ohne Netz. Der Slogan: „Die einzige Verbindung, die Magenta Eins nie schaffen wird, ist diese.“ – Recht hat sie.

Eine schöne Spielidee in diesem Kontext, um digitale Fettsucht zu testen: Beim gemeinsamen Essen in einem Restaurant legen alle ihre Handys zusammen in die Mitte des Tisches übereinander. Derjenige, der sein Handy als erster wieder an sich nimmt – aus welchem Grund auch immer – zahlt die Rechnung für alle.

Den Trend, dass wir immer mehr im Datenmeer Gefahr laufen, digital adipös zu werden, lässt sich an solchen Selbstversuchen gut überprüfen. Entzugsschmerz von der süßen Verlockung der digitalen Welt oder „Zahlschmerz“ für die Restaurantrechnung stehen im Wettbewerb. So oder so: 2016 wird das Jahr der informationellen Fettsucht.

Prof. Dr. Klaus Goldhammer, Geschäftsführer Goldmedia

Der Artikel ist Teil des Goldmedia Trendmonitors 2016. Goldmedia gibt darin alljährlich in Form von Analysten-Kommentaren einen Ausblick auf relevante Trends in den Bereichen Medien, Internet und Telekommunikation des kommenden Jahres in Deutschland.

Der Beitrag wurde bei kress.de als Gastbeitrag erstveröffentlicht.

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