Unsere Rundfunkordnung wird so schnell nicht einstürzen. Interview mit Dr. Hans Hege, Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB), promedia April 2012

 Medienregulierung: TV-Sender sollten nur noch in Ausnahmefällen lizenziert werden

„Unsere Rundfunkordnung wird so schnell nicht einstürzen“

Interview mit Hans Hege, Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB)

Der mögliche Einfluss neuer Plattformen, die sowohl Web-TV-Inhalte als auch klassische TV-Inhalte auf den Fernseher und mobile Geräte bringen können, auf die Medienvielfalt, das Nutzerverhalten und die Refinanzierung von TV-Inhalten beschäftigt gegenwärtig Politiker, Landesmedienanstalten und Medienwissenschaftler. Dr. Hans Hege, Beauftragter für Plattformregulierung der Kommission für Zulassung und Aufsicht der Medienanstalten (ZAK), beurteilt die Vernetzung von TV und Internet sowie den neuen Plattformen positiv: mehr Angebote und erweiterte Nutzungsmöglichkeiten würden die Position des Verbrauchers verbessern. Es ginge um einen Wettbewerb um die besten Lösungen. Aufgabe der Medienanstalten sei es, für faire Spielregeln zu sorgen und zu verhindern, dass dominante Akteure ihre Marktposition zu Lasten Dritter ausnutzen.

Dr. Hans Hege
Dr. Hans Hege

promedia: Herr Hege, bringt HbbTV unsere schöne, fast 90-jährige Rundfunkordnung zum Einsturz?
Hans Hege: Es ist einer der Veränderungsprozesse, die durch das Internet und die digitale Entwicklung ausgelöst sind. Aber einstürzen wird die Rundfunkordnung so schnell nicht. Ich denke, auch in den nächsten Jahren wird der Hauptteil des Fernsehkonsums und der durchschnittlichen Fernsehzeit eines Deutschen über lineares Fernsehen genutzt werden. Aber durch die neuen Geräte wird der Anteil des Fernsehens und der professionellen Videoinhalte, die über das Internet übertragen werden, deutlich steigen. Das Internet gewinnt auch an Bedeutung für die Navigation.

promedia: Warum vereinfacht man dann nicht die Lizenzierung und die Zulassung insofern, dass man Programme nur anmelden muss, wie man es jetzt bei Zeitungen macht, also mit der Lizenzierung aufhört?
Hans Hege:
Das ist eine Entscheidung des Gesetzgebers. Wir sind nicht gezwungen, Rundfunklizenzen zu vergeben, nur der Rundfunkstaatsvertrag sieht das bisher vor. Er baut auf einer Abgrenzung auf,  – die ist eher in Brüssel erfunden worden –, nämlich der Trennung zwischen linearen Programmen, bei denen der Veranstalter den Zeitablauf festlegt, und den On-Demand-Angeboten, die aus dem Internet individuell abgerufen werden. Ich halte diese Trennung in dieser allgemeinen Form nicht mehr für relevant unter dem Gesichtspunkt des Einflusses auf die Meinungsbildung. Es gibt Sender wie RTL, ProSieben oder Sat.1, die nach wie vor eine herausragende Rolle haben. Es gibt aber auch die Bild-Zeitung mit vergleichbaren Einfluss, es gibt Bild.de oder Spiegel Online, die ebenfalls eine besondere Rolle für die Meinungsbildung haben. Dagegen gibt es lineare Spartenprogramme im Fernsehen, die minimale bis keine Bedeutung haben. Deshalb trete ich schon länger dafür ein, dass wir dort, wo wir keine Übertragungskapazitäten mehr vergeben, auf eine Vorablizenzierung eines Angebotes im Rundfunk genauso verzichten können wie bei der Presse. Wir müssen jedoch klar feststellen, wer verantwortlich ist. Dazu existieren Vorschriften im Bereich der Presse, zum Beispiel das Impressum. Das findet man auch im Internet, bei publizistischen Angeboten. Um eine meinungsbeherrschende Konzentration zu verhindern, können – auch ohne Lizenz – die Großen kontrolliert werden, wie sie auch vom Kartellamt kontrolliert werden.

promedia: Müssen Online-Angebote, die über HbbTV jetzt auf den Fernseher kommen, den Werberichtlinien für Broadcast entsprechen?
Hans Hege: Nach dem geltenden Recht ist nur das, was über den Rundfunkweg kommt und zeitgleich ausgestrahlt wird, Rundfunk. Wenn man jetzt über den roten Knopf ins Internet kommt, ruft man Inhalte aus dem Internet ab, genauso wie bei einem Tablet, Smartphone oder dem PC. Und dann gelten die Vorschriften für Telemedien. Eine klare Unterscheidung besteht z.B. Darin, dass ein Fernsehbild nicht unterteilt werden darf, ohne dass es als Werbung angerechnet wird. Aber im Internet sind jede Menge Formen der Werbung entwickelt worden und werden weiterentwickelt, wo auf dem Bildschirm zeitgleich Medieninhalte und Werbung dargestellt werden. Insofern bestehen unterschiedliche Regelungen, die im Internet großzügiger als im Rundfunk sind und damit entsteht das Problem desselben Inhalts auf demselben Bildschirm. Ein vergleichbares Problem ist das des Jugendschutzes. Für Jugendschutz gelten im Prinzip zwar die gleichen Regelungen, aber die Rundfunkveranstalter haben ihren Sitz in Deutschland und sind relativ leicht zu kontrollieren. Für alle Angebote, die over the top kommen und in anderen europäischen Ländern ihren Sitz haben, gilt die dortige Gesetzgebung und die ist zum Teil abweichend. Zum Beispiel ist Pornographie im Rundfunk verboten, sogar strafbar. Dagegen sind in Österreich nur die harten Formen der Pornographie verboten.

promedia: Wie lange werden noch unterschiedliche Werberegelungen oder Regelungen für Jugendschutz existieren?
Hans Hege: Sicher noch eine ganze Zeit, weil der Löwenanteil der Nutzung noch im Fernsehbereich liegt. Dennoch müssen wir unsere Medienordnung anpassen. Dass identisch für alle Bildschirme dieselben Regelungen gelten, ist nicht zwingend, weil die Nutzungssituation unterschiedlich ist. Nach den Erkenntnissen unserer britischen Kollegen bei der Ofcom erwarten die Verbraucher auf dem großen Bildschirm im Wohnzimmer einen weitergehenden Schutz als auf dem Smartphone. Wir müssen uns allerdings in der konvergenten Medienwelt für alle Medien von der Presse bis zum Internet über die öffentlichen Interessen verständigen, die die Regulierung durchzusetzen hat. Dazu gehört zum Beispiel die Klarstellung von Verantwortlichkeiten, damit man sich gegen Rechtsverletzungen wehren kann. Jugendschutz ist ein Thema für alle Medien. Der Datenschutz war bisher kaum ein Thema für Rundfunkinhalte, er wird es aber durch die Verbreitung über das Internet. Beim Verbraucherschutz können wir auf viele restriktive Regelungen beim Rundfunk verzichten.

promedia: Es gibt Kritik an den Smart-TV-Geräten, weil auf ihnen sogenannte Apps von Programmangeboten schon vorinstalliert und damit ausgewählt sind. Bedeutet das, dass bei dieser Art von Fernsehern heutzutage der Zuschauer nicht mehr Herr über seine Programmauswahl ist?
Hans Hege: Die meiste Zeit werden auch diese Geräte für lineare Fernsehprogramme genutzt. Hier haben wir es mit den Programmlisten zu tun, die auch vorinstalliert werden. Dagegen ist im Prinzip nichts zu sagen, wenn man sich weiterhin eine Favoritenliste mit seinen eigenen Präferenzen erstellen kann. Bei den Apps eröffnen sich neue Möglichkeiten, sie nach den individuellen Bedürfnissen anzuordnen, jedenfalls auf den Geräten, die nicht große Bildschirme haben. Große Bildschirme sind schwieriger navigierbar als ein Tablet und ein Smartphone. Unser Grundsatz ist, dass der Bildschirm dem Verbraucher gehört, er muss die Kontrolle behalten. Vor allem müssen wir ihn gegenüber Manipulation schützen, also dass. Ohne dass er es merkt, bestimmte Dinge in den Vordergrund gestellt werden, weil ein Anbieter womöglich dafür bezahlt hat.

promedia: Dank der Online-Verbindung können auch Nutzerdaten an die Anbieter gesendet werden…
Hans Hege:
Wenn der Fernseher über eine Internetverbindung verfügt, liefert der Zuschauer damit Daten, die genutzt werden können, während Rundfunk den Vorteil hat, dass er nicht registriert wird und der Anbieter nicht weiß, wie lange jemand bestimmte Inhalte gesehen hat. Der Anbieter kann über das Internet steuern, dass bestimmte Inhalte auf bestimmten Geräten nicht dargestellt werden, es sei denn, es gibt eine Vereinbarung zwischen dem Veranstalter und dem Gerätehersteller. Das sind Themen, über die wir uns unterhalten müssen, die es früher nicht gab. Da konnte jeder Fernseher alles empfangen. Jetzt ist es schon so, dass im Internet die Anbieter von Inhalten die Möglichkeit haben festzulegen, wer sie empfängt. Sie können auch festlegen, ob aufgezeichnet werden kann, wie lange der Inhalt genutzt werden kann. Einerseits ist es legitim, dass die Veranstalter in neue Geschäftsmodelle einsteigen und sie nicht nur Google und Facebook überlassen wollen. Auf der anderen Seite sollte man auch auf den Verbraucher Rücksicht nehmen. Wer zu starke Einschränkungen vornimmt, steigert den Anreiz, die nicht von den Netzbetreiber zusammengestellt worden sind, dass die Zuschauer bestimmte Inhalte illegal nutzen.

promedia: Samsung plant einen Fernseher, der ausgerüstet mit Kameras feststellen kann, wer vor dem Gerät sitzt. Ist das ein reines Datenschutzthema oder eine Sache, die die Landesmedienanstalten auch interessiert?
Hans Hege: Das Thema der Daten muss uns interessieren, spätestens dort, wo es darum geht, wie die Inhalte finanziert werden. Da mit diesen den Daten Geschäftsmodelle entstehen können, wird ja gegenwärtig zwischen Geräteherstellern und Inhalteanbietern die Auseinandersetzung geführt, wer den Bildschirm kontrolliert. Auf der anderen Seite geht es um Datenschutz, wobei ich denke, dass die Daten, die zusammen mit dem Fernsehverhalten aufgenommen werden, nicht so sensibel sind wie viele andere. Man kann zwar Präferenzen, erkennen, welche Sendungen jemand sieht, aber im Verhältnis zu dem, was Jugendliche auf Facebook von sich preisgeben, ist die Fernsehnutzung noch relativ ungefährlich. Wobei trotzdem das Zusammenstellen aller Daten immer problematisch ist, wenn der Nutzer keine Kontrolle mehr darüber hat.

promedia: Google plant eine Art Suchmaschine für Web-TV-Angebote, die auf dem Fernseher erscheinen sollen. Besteht hier die Gefahr einer vorherrschenden Meinungsmacht, wenn Google dort so mächtig wird wie es gegenwärtig bei der Onlinesuche schon ist?
Hans Hege: Wenn Google so mächtig wäre, dann wäre es ein ganz wichtiges Thema. Nur ist zwischen der Suche nach Text und der Suche nach professionellen Videoinhalten zu unterscheiden, weil sie eine andere Art von Suche ist. Das professionelle Fernsehangebot ist übersichtlicher als das Internet und aus meiner Sicht werden die großen Angebote auch übersichtlich bleiben. Die Bundesliga zum Beispiel wird einfach zu finden sein und auch die Filme, weil sie so teuer sind. Insofern glaube ich von vornherein, dass Google in diesem Bereich nicht so schnell die starke Stellung haben wird, wie bei der Textsuche. Trotzdem, es ist der Versuch, Welten zusammenzubringen. Das Ziel ist, die Suche nach Text, nach festen und bewegten Bildern zusammenzufassen und dann vielleicht für eine zusätzliche Nutzung anzubieten. Umgekehrt ist Google darauf angewiesen, dass sich die Veranstalter suchen lassen. Dazu gehört die Frage, wann Veranstalter verpflichtet sind, ihre Programmdaten herauszugeben und wofür man sie benutzen darf. In den USA jedenfalls haben Veranstalter verboten, ihre Programmdaten zu veröffentlichen, weil sie ihre Geschäftsmodelle bedroht sahen. Bei Google ist natürlich die Versuchung groß, ihr Suchmaschinenmodell auf den Bildschirm zu übertragen, denn sie müssen weder Netz noch Inhalte bezahlen, aber sie haben den Bildschirm und auf diesem können sie dann an die Fernsehprogramme angelehnte Werbebotschaften unterbringen. Das Thema wird interessant werden und auch für das Rundfunkrecht stellt sich die Frage, ob es neutrale Suche gewährleistet werden kann, wie es mit der Transparenz bei den Algorithmen steht oder ob das schützenswerte Geschäftsgeheimnisse sind. Es stellt sich auch die Frage nach Vorkehrungen, damit indizierte Filme oder Piratensender nicht gefunden werden. Das ist eine doppelschneidige Angelegenheit. Im Sinne des Schutzes der Kreativen und auch des Jugendschutzes müssten wir eigentlich dafür sein. Aber das heißt, wir wenden genau jene Techniken an, mit denen die chinesischen Behörden versuchen, unliebsame politische Inhalte herauszufiltern. Aber die Navigation ist eines der wichtigsten Themen zur Zukunft des Fernsehens überhaupt, weil wir immer mehr Inhalte haben. Bei massenattraktiven Inhalten muss man sich keine Sorgen machen, dass sie nicht gefunden werden, aber zum Beispiel bei lokalem Fernsehen ist es sehr wichtig, dass es einfach gefunden wird.

promedia: Ist es sinnvoll, im Vorfeld zu definieren, bis wohin man bei einem solchen Web-TV-Navigator eine Marktalleinstellung akzeptiert, so wie im herkömmlichen Medienkonzentrationsrecht, wo die Grenze 30 Prozent ist?
Hans Hege: Das ist eine sehr gute Frage, aber die Antwort darauf ist ziemlich schwierig. Navigationsinstrumente von Senderlisten bis hin zur sprachgesteuerten  Suche sind in ihrer Vielfalt viel schwerer zu analysieren als Nutzungszeit eines Fernsehprogramms. Man muss die Entwicklung beobachten, denn die Macht im Bereich der Navigation ist eine der Schlüsselfragen. Ich bin zuversichtlich, dass es Google nicht gelingt, diesen Bereich so marktbeherrschend in den Griff zu bekommen wie die Textsuche. Wenn man zum Beispiel bei Facebook vernetzt ist und seinen Freunden etwas empfiehlt oder sich Interessengruppen abstimmen, die an besonderen Inhalten Interesse haben, dann können diese Empfehlungssysteme auch wirksam sein. Dann sucht man nicht mehr in einer Suchmaschine, sondern erhält jeden Tag Empfehlungen, denen man vertraut, wie heute schon den persönlichen Filmtipps.
Verschiedentlich ist schon gefragt worden,  ob wir eine Art öffentlich-rechtliche Navigation benötigen, die man vielleicht aus dem Rundfunkbeitrag finanzieren könnte. Kommerzielle Modelle setzen auf Daten und Werbung auf, und haben damit die Defizite, die das Bundesverfassungsgericht bei den Fernsehveranstaltern beschrieben hat. Theoretisch ließe sich ein öffentlich-rechtlicher Auftrag für die Navigation besser begründen als bei vielen Inhalten, die heute Bestandteil lineare Programme sind. Nur fehlt mir das Zutrauen, das öffentlich-rechtliche Anstalten  und auch andere öffentlich subventionierte Unternehmen konkurrenzfähige Suchmaschinen und Navigationsinstrumente entwickeln können. Man konkurriert schließlich nicht mit anderen deutschen Filmen und Fernsehinhalten wie bei der Film- und Fernsehförderung, sondern mit global agierenden Internetansätzen.

promedia: Die deutschen privaten Sendergruppen sind nicht nur Abspielstation von Fernsehangeboten, sondern sie erfüllen auch eine kulturpolitische Funktion in Deutschland. Wenn Plattformen wie Hulu Werbung generieren und die Einnahmen zurückgehen, ist das auch ein kulturelles Problem. Muss man die klassischen Broadcaster schützen?
Hans Hege: Unsere französischen Kollegen haben unter den verschiedenen Arbeitsgruppen, die sich mit Connected TV befassen, auch eine, die „Finanzierung von Kreativität“ heißt. Das ist für mich eine der Schlüsselfragen, ob es ein klares Modell für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt, der nicht nur einen großen Teil Public Service-Inhalte macht, sondern auch einen großen Teil Produzentenförderung. Der große Teil der Fernsehproduzenten lebt vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die privaten Veranstalter leisten aber dazu auch ihren Beitrag und deswegen muss man sich überlegen, ob die Plattformen dazu beitragen können, also dass die Sender nicht mehr für die Verbreitung bezahlen, sondern Geld für ihre Inhalte bekommen. Das heißt aber im Endergebnis, der Verbraucher muss für die Verbreitung der Inhalte bezahlen. Aber er erhält ja auch die Inhalte. Es ist sicher ein wichtiges Thema, wenn die Werbefinanzierung zurück geht, wie man diesen finanziellen Verlust auf andere Weise bewältigt. Die Plattformneutralität ist dabei eine große Herausforderung.

Über Dr. Hans Hege

  • Geboren: 1946
  • 1967-1972 Jurastudium
  • 1976-1977 Assistent im Abgeordnetenhaus Berlin
  • 1978-1983 Referent in der Senats-Justizverwaltung
  • 1993-1985 Leiter des Medienreferats, Kultursenat
  • 1985-1992 Direktor der Anstalt für Kabelkommunikation Berlin
  • Seit 1992 Direktor der MABB

Artikel in der promedia April 2012

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