Der Wert von Inhalten ist in unserer Gesellschaft bedroht. Jürgen Doetz, Präsident des VPRT, im Gespräch mit promedia

Eine Allianz von Contentproduzenten hat die Politik aufgefordert „den Wert medialer Inhalte erkennen und passenden Rechtsrahmen schaffen“. Dem Bündnis geht es nach eigener Darstellung im Kern darum, Politik und Öffentlichkeit in einer Zeit, in der die politische Debatte zunehmend von der Netzpolitik getrieben ist, für den realen Wert medialer Inhalte zu sensibilisieren. Die Allianzpartner seien sich darin einig, dass der Kultur und Medienpolitik auf Bundes wie auf Länderebene ein angemessener Stellenwert eingeräumt werden muss, um die einmalig vielfältige deutsche Medienlandschaft zu erhalten. Der Allianz gehören nehmen zahlreichen Verbänden der Kreativwirtschaft auch die ARD, das ZDF sowie der VPRT an.

Jürgen Doetz
Jürgen Doetz


promedia: Herr Doetz, ist die Deutsche Content-Allianz eine Allianz gegen die Netzbetreiber?
Jürgen Doetz:
Festzustellen ist ganz objektiv zunächst einmal, dass das Koordinatensystem zwischen Netzen und Inhalten in der politischen wie öffentlichen Wahrnehmung deutlich verrutscht ist. Das bedeutet: Der Wert von Inhalten ist in unserer Gesellschaft bedroht. Insofern ist die Deutsche Content Allianz in erster Linie eine Interessengemeinschaft pro Inhalte. Es geht uns darum, dem Hype um die Netze etwas entgegensetzen und der politischen Einseitigkeit in der Wahrnehmung von netzpolitischen Themen, die in erster Linie infrastrukturgetrieben ist, gegenzusteuern. Da braucht man sich nur einmal anzuschauen, welch‘ hohe Wahrnehmung der IT-Gipfel in der Bundespolitik genießt. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Netze und Inhalte können eine schöne Symbiose darstellen, wenn es nicht allein die Netzbetreiber sind, die Zugang und Verbreitungskonditionen diktier en und wenn vor allem nicht in Vergessenheit gerät, dass es ganz wesentlich die Inhalte sind, die neue Technologien und Infrastrukturen erst attraktiv machen.

promedia: Warum haben Sie diese Allianz zum jetzigen Zeitzpunkt initiiert?
Jürgen Doetz: Derzeit stehen wichtige medienpolitische Initiativen, wie etwa die Novelle von Urheberrecht und Telekommunikationsgesetz oder Regelungen zur Netzneutralität, an. Unabhängig davon war aber eine allgemeine politische und gesamtgesellschaftliche Debatte zum Wert der Inhalte lange überfällig. Deshalb hatte sich der VPRT anlässlich seiner letzten Mitgliederversammlung im November 2010 nachdrücklich für eine branchenübergreifende Allianz der Kultur- und Kreativwirtschaft ausgesprochen, um Politik und Öffentlichkeit stärker für den Wert von Inhalten zu sensibilisieren und zentrale Anliegen der Inhalteanbieter mit größerer Schlagkraft auf Bund-/ Länder- und  EU-Ebene wahrnehmbar zu machen. Wir haben das dann zusammen mit anderen Partnern konsequent vorangetrieben. Die jeweiligen Betroffenheiten der Allianzpartner sind im Detail zwar durchaus vielfältig. Uns geht es im ersten Schritt aber vor allem darum, dass übergeordnete Punkte, die unter dem Strich alle Anbieter von Inhalten betreffen, einheitlich zu artikulieren, damit sie Gehör finden.

promedia: Vom Dritten Korb zur Novellierung des Urheberrechts liegt noch nicht einmal der Referentenentwurf vor. Hätten Sie den nicht abwarten können?
Jürgen Doetz: Warum hätten wir abwarten sollen? Den Allianzpartnern geht ja nicht ausschließlich um das Urheberrecht. Was den Punkt der gesellschaftlichen Relevanz anbelangt, haben wir so gesehen eigentlich schon viel zu lange gewartet, denn der Konsum und der Bedarf an Inhalten nimmt stetig zu. Gleichwohl tut sich bislang politisch nicht viel, um zu gewährleisten, dass es auch morgen noch gut gemachte, professionelle Inhaltsangebote gibt, die sich refinanzieren lassen. Im Übrigen kann der von Ihnen angesprochene „Dritte Korb“ ohnehin nur einzelne – wenngleich sehr wichtige Teilaspekte – regeln. Für die privaten Sendeunternehmen umfasst dies etwa die Stärkung ihres Leistungsschutzrechts durch Änderungen beim sogenannten Kneipenrecht, die lange überfällige Beteiligung an Pauschalabgabe oder technologieneutrale Ausgestaltung des Kabelweitersenderechts.

promedia: Bei Ihrer Allianz fehlen die Printmedien. Warum konnten Sie die nicht überzeugen, sich in der Content-Allianz zu engagieren?
Jürgen Doetz:
So ist es ja nicht. Vielmehr unterstützen die Printverlage und ihre Verbände ganz ausdrücklich die Absicht der Deutschen Content Allianz, die Bedeutung von medialen Inhalten und deren Wert für die Gesellschaft stärker in den Blick zu nehmen. Sie haben aber auf formalen Abstimmungsbedarf verwiesen und sind daher bislang nicht beigetreten. Überdies sind wir mit weiteren Partnern, etwa mit den Gewerkschaften und anderen Urheberrechtsorganisationen im Gespräch, die das Anliegen ebenso sinnvoll finden. Hier gibt es nach dem ersten Aufschlag also noch eine Menge Entwicklungspotenzial.

promedia: Sie fordern die Politik dazu auf, dafür zu sorgen, „dass – die herausragende kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung medialer Inhalte in Politik und Gesetzgebung den ihnen zustehenden Niederschlag findet.“ Wie soll das konkret aussehen?
Jürgen Doetz: Zunächst einmal ist das eine Forderung, die es in dieser Form bislang noch nicht gab bzw. einmütig durch ein übergeordnetes Bündnis so noch nicht zum Ausdruck gebracht wurde. Nachdem viele der Beteiligten seit langem mit ihren jeweiligen Einzelinitiativen und -forderungen auftreten, spricht diese Tatsache bereits angesichts der eingebundenen Organisationen für sich. Was die Politik anbelangt, wäre schon viel gewonnen, wenn sie die Anliegen der Inha lteseite mit Blick auf die künftige Regulierung und Ausgestaltung der Rechtsordnung ernst nähme und sich im nächsten Schritt zu klaren Regelungen durchringen könnte. Das setzt voraus, dass etwa die Frage ehrlich beantwortet wird, welche Konsequenzen es hat, wenn beispielsweise im Urheberrecht keine entsprechenden Rahmenbedingungen für die Auswertung der Inhalte und die Durchsetzung von Ansprüchen bei Rechtsverletzungen gegeben sind. Die konkrete Antwort lautet: Wer zum Beispiel die Vielfalt bei den Radio- und TV-Sendunternehmen – und damit also Informations- und Meinungsvielfalt in Deutschland – erhalten will, muss die Leistungsschutzrechte der Veranstalter stärken und Möglichkeiten schaffen, gegen illegale Streamingportale vorzugehen. Das mag für einen Moment vielleicht politisch etwas unpopulär sein. Aber Politik hat in unserer pluralistischen, demokratischen auch nicht in erster Linie den Auftrag, Popularitätspreise zu gewinnen. Hier geht es um deutlich mehr.

promedia: Welche Bedeutung messen Sie der Netzneutralität bei und wie soll diese gewährleistet werden?
Jürgen Doetz:
Das Thema ist für unsere Unternehmen von sehr hoher Bedeutung, weil es einen Einfluss darauf hat, wie wir zum Zuschauer und Zuhörer gelangen. Aber es hat auch in der öffentlichen Debatte insgesamt unstreitig einen beachtlichen Stellenwert. Zu Recht, wie wir finden, denn man muss sich ja nur einmal vorstellen, welches Diskriminierungspotenzial gegeben ist, wenn etwa einzelne Inhalte eines Netzbetreibers bevorzugt werden. Eine Abkehr von der Netzneutralität birgt zudem die Gefahr, dass der sog. Best-Effort-Grundsatz für das offene Internet um den Preis höherer Unternehmenserlöse für TK-Anbieter ausgehebelt wird.

promedia: Welche rechtlichen Rahmenbedingungen fordern Sie für einen besseren Schutz kreativer Leistungen im Internet?
Jürgen Doetz: Einige Änderungen im Urheberrecht hatte ich schon genannt. Diese betreffen Anpassungen schon bestehender Rechte wie des Leistungsschutzrechtes der Sendeunternehmen sowie bessere Maßnahmen zur Rechtsdurchsetzung und Rechteklärung. Ein weiteres eklatantes Problem ist mit steigender Zahl der Angebote die Frage der Auffindbarkeit. Die Anforderungen an die Regulierung werden diesbezüglich deshalb weniger in der Mangelverwaltung kn apper Kapazitäten, als in der Festlegung transparenter und chancengleicher Bedingungen beim Zugang zum Nutzer liegen. Hier darf es weder ein Diktat der Konditionen noch ein gesteuertes Bottleneck geben. Insbesondere wenn der Netz- und Plattformbetrieb mit dem Angebot, der Vermarktung oder Zugänglichmachung von eigenen und fremden Inhalten aus einer Hand einhergeht, besteht potenziell die Gefahr einer Beeinträchtigung der Rundfunk- und Meinungsfreiheit. Beispiele sind Suchportale für TV- und Radioinhalte, Konditionen für Apps der Rundfunkanbieter oder neue Geschäftsmodelle bei Endgeräteherstellern. Hier gibt es für den Regulierer viel zu tun, falls Marktlösungen Inhalteanbieter diskriminieren.

promedia: Die Justizministerin hat in ihrer jüngsten Rede deutlich gemacht, dass sie bei Rechtsverletzungen im Internet auf eine Selbstregulierung an Stelle des staatlichen Eingriffs setzt. Was halten Sie davon?
Jürgen Doetz: Hier muss man sehr genau die Fallkonstellationen unterscheiden, über die wir reden. Selbstregulierung wird in vielen Bereichen, wie etwa beim Jugendschutz oder in der Werbung, seit vielen Jahren praktiziert und ist ein gutes Instrument. In anderen Bereichen, wie denen der Rechtsdurchsetzung, gelten aber nach unserem Verständnis online keine anderen Regeln als offline. Verhaltensregeln im Netz können und sollten sicherlich auch von der „Netzgemeinde“ und damit dort diskutiert werden, wo sie letztlich gelten sollen. Dies ist aber zu unterscheiden von massenhaften Urheberrechtsverletzungen, denen wirkungsvoll nicht durch Selbstregulierung zu begegnen ist.

promedia: Zudem hat die Justizministerin gesagt, sie sei “abwartend gespannt“, wie fähig sich die Netzgemeinde bei dieser Selbstregulierung zeige, es besser als die Politik zu machen. Wie lange kann Kreativwirtschaft noch warten?
Jürgen Doetz: Es bleibt uns keine Zeit mehr zu warten. Die sogenannte TERA-Studie der Internationalen Handelskammer aus dem Jahr 2010 hat gezeigt, dass der Schaden durch die illegale Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte allein in Deutschland im Jahr 2008 einen Schaden von mehr als einer Milliarde Euro verursacht hat. Die Folgen für die Wertschöpfung, die Arbeitsplätze im Kreativsektor und nicht zuletzt für die Kreativen selbst sind also bereits heute verheerend – Tendenz steigend, wenn es so weiter geht wie bisher.

promedia: Der „Wirtschaftsdialog“ zwischen Kreativwirtschaft und Providern scheint gescheitert. Was ist die Alternative?
Jürgen Doetz:
Der Dialog ist derzeit ausgesetzt, weil das Bundeswirtschaftsministerium zunächst weitere Informationen einholen will. Klar ist aber natürlich: Selbstverpflichtungen setzen voraus, dass sich beide Seiten selbstverpflichten wollen. Die Vorschläge der Rechteinhaber liegen auf dem Tisch. Die Provider tun sich jedoch sehr schwer damit, überhaupt eine Form der Unterstützung zu signalisieren. Und angesichts dieser Situation liegt die Frage auf der Hand, ob die Politik an der Linie des Koalitionsvertrages festhalten will oder jetzt nicht viel eher gehalten ist, eine politische Entscheidung zu treffen.

promedia: Was könnten die Provider heute bereits leisten – wenn sie wollen – und sollte ihr Beitrag gesetzlich festgelegt werden?
Jürgen Doetz:
Die Provider könnten beispielsweise an einem Warnsystem mitarbeiten, denn bereits solche einfachen Warnhinweise führen nachweislich zu einer deutlichen Reduktion von Rechtsverletzungen. Für die VPRT-Mitglieder besonders relevant sind aber die Streaming-Portale. Das Problem: Sie werden vielfach auch aus dem Ausland betrieben. Deshalb brauchen wir neben verstärkter internationaler Kooperation den politischen Willen, bei den Haftungsbestimmungen und Verantwortlichkeiten sehr viel strikter zu sein. Wir reden hier im Übrigen nicht vom Vorgehen gegen einzelne Nutzer, sondern über kommerzielle Piraten. Aus unserer Sicht wird an Änderungen im Datenschutz und in der Telemediengesetzgebung daher kein Weg vorbei führen.

Jürgen Doetz, Präsident des VPRT

Über Jürgen Doetz

  • Geboren: 9. Oktober 1944
  • 1966 – 1971 Studium der Politischen Wissenschaften, Geschichte und Soziologie
  • 1971 – 1976 Pressesprecher des rheinland-pfälzischen Kultusministers
  • 1976 – 1982 Stellvertretender Sprecher der Rheinland-Pfälzischen Landesregierung
  • 1982 – 1992 Geschäftsführer PKS
  • 1985 – 2004 Geschäftsführer SAT. 1
  • 2000 – 2004 Vorstand ProSiebenSat.1 Media AG
  • Seit 1996 Präsident desVPRT

Weitere Informationen: promedia

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