Man kann das Internet nicht ständig durchkontrollieren. promedia-Interview mit Prof. Dr. Cristof Weinhardt, Prodekan für Forschung der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften am KIT

Interview mit Prof. Dr. Cristof Weinhardt, Prodekan für Forschung der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), promedia 10/2010

In einem promedia-Gespräch trat Prof. Dr. Weinhardt, einer der renommiertesten deutschen Informationswirtschaftler und wissenschaftlicher Experte in der Enquete-Kommission für bindende Grundregeln im Internet ein, wie Transparenz, deren Durchsetzung punktuell geprüft werden müsse. „Meines Erachtens muss es Grundtarife geben, mit denen man auf alles, was frei erhältlich ist, zugreifen kann. Um gewisse Dienste oder Inhalte schneller zu bekommen, kann man zusätzlich zahlen. Es kann nicht sein, dass all diejenigen, die einen geringen Grundbedarf haben, diejenigen vollständig mitfinanzieren, die täglich 3D-Onlinespiele spielen oder Videos streamen. Da stellt sich die Frage, ob das fair ist“, so Weinhardt. Weinhardt äußerte seinen Zweifel, ob eine spezielle Institution zur Einhaltung der Netzneutralität notwendig sei. Es existiere eine sehr intelligente Internetcommunity, die bestimmte Dinge nie akzeptiere, sofort auf entsprechende Verstöße hinweise und so auf Provider aufmerksam mache, die die Nutzung unfair oder intransparent beschränken wollten.

Prof. Dr. Christof Weinert
Prof. Dr. Christof Weinhardt

promedia: Herr Prof. Weinhardt, was ist Netzneutralität?
Christof Weinhardt: Unter Netzneutralität versteht man zunächst die faire Behandlung aller Teilnehmer im Netz, so dass kein einzelner Beteiligter in der Netzwelt einseitig Einfluss ausübt und dabei andere von Diensten, Inhalten oder sonstigen Zugängen ausschließt oder diskriminiert. Netzneutralität ist ein sehr komplexer Begriff und auf keinen Fall nur eine binäre Angelegenheit – es handelt sich um etwas Graduelles – das ist zumindest meine Meinung. Man muss dabei drei Ebenen unterscheiden: Es gibt die rein technische Ebene (Traffic Engineering), eine weitere Ebene, die sich auf die Qualität der gelieferten Services bezieht – dahinter steckt möglicherweise eine Priorisierung und Preisdiskriminierung von Services und/oder Inhalten – und die dritte Ebene des Blockierens bzw. Ausschlusses bestimmter Services oder Inhalte

promedia: Ist diese Neutralität Ihrer Meinung nach heute im Netz noch gewährleistet?
Christof Weinhardt: Ja, im Festnetz sehe ich das schon, obwohl den Providern zum Teil heute vorgeworfen wird, den Verkehr im Netz auf unfaire Weise zu optimieren. So ist es ja zum Beispiel nicht festgelegt, welchen Weg z.B. E-Mails im Netz nehmen. Die einzelnen Datenpakete suchen sich irgendwie den Weg durch das Netz, vorbei an vielen Knotenpunkten. Und dieser Datenstrom wird heute schon an verschiedenen Knoten ggf. in unterschiedlicher Weise optimiert. Wenn es an einer Stelle zu Verstopfungen kommt, dann nehmen die Datenpakete Umwege. Manche Leute behaupten, dass bereits das nicht mehr netzneutral sei. Aber eine solche Regelung des Datenverkehrs ist einfach notwendig – analog zu Verkehrssteuerungssystemen auf den Straßen, etwa Ampel Systeme, die je nach Verkehrsaufkommen auch verschiedene Strategien fahren, um den Verkehr in Gang zu halten. Wenn diese Optimierung in der Datenwelt  nicht geschehen würde, wäre es so ähnlich, als wenn im Straßenverkehr plötzlich die Ampeln ausgeschaltet würden. Der Straßenverkehr wird höchstwahrscheinlich dadurch für alle schlechter, auch wenn Einzelne dadurch evtl. besser wegkommen.

promedia: Welche Rolle hat der Aspekt der Netzneutralität bei der Entwicklung des Internets gespielt? Hätte es sich ohne diese Netzneutralität anders entwickelt?
Christof Weinhardt: Ich glaube schon. Wir sehen es am mobilen Netz, das von Anfang an kommerziell ausgerichtet war. Hier sind wir heute schon eher bereit, für bestimmte Dienste mehr oder weniger zu bezahlen, unterschiedliche Tarife und auch Einschränkungen zu tolerieren. Das klassische stationäre Internet war zunächst ein rein wissenschaftliches Netz, bei dem in der Entstehungsphase auf solche kommerziellen Dinge nicht geachtet wurde. Das hat letztlich zur heutigen Situation geführt. Dadurch wurde es möglich, dass so viele Menschen im Netz sind, es nutzen und sich dabei fair behandelt fühlen.

promedia: Wodurch ist Ihrer Meinung nach die Netzneutralität vor allem gefährdet?
Christof Weinhardt: Durch kommerzielle Interessen. Man muss dabei – entsprechend zu den vorher genannten Ebenen – zwischen den Internet-Service-Providern, die die Technologie zur Verfügung stellen und das Netz auf- und ausbauen und dafür hohe Investitionsausgaben tätigen, denen, die auf diesen Netzen Dienste und Inhalte  anbieten, und den Endnutzern unterscheiden. Erste könnten von Zweiten Geld dafür verlangen , dass sie deren Datenströme gegenüber anderen bevorzugen. Diese müssten dann diese Kosten unter Umständen an den Endnutzer weitergeben – und das erscheint vielen Nutzern nicht fair nach den heutigen Vorstellungen von Fairness im Netz. Aber dafür, dass wir das Bundesligaspiel in HD unmittelbar live und ruckelfrei übertragen bekommen, sind wir bereit zu zahlen.

promedia: Die Provider beklagen, dass neue Geschäftsmodelle behindert werden, weil Online-Datenströme zunehmen und die Kapazitäten nicht ausreichen und man deshalb die Regeln für die Datenströme ändern müsse…
Christof Weinhardt: Das trifft wahrscheinlich mehr für das mobile Internet zu. Für das Festnetz ist dies meines Wissens heute noch nicht der Fall und wird auch nicht so rasch eintreten. Es wird hier natürlich auch weiter investiert werden müssen. Der Datenbedarf wird weiter steigen. Aber die Technologie wird auch entsprechend günstiger. Inwieweit sich das ausgleicht, weiß man noch nicht. Wir können mit ökonomischen Modellen zeigen, dass kein direkter Zusammenhang zwischen möglichen Engpässen und einer Aufgabe der Netzneutralität besteht. Es muss investiert werden und die Internet-Service-Provider müssen auch Geld verdienen – ebenso natürlich auch die Dienste- und Inhalteanbieter. Die Frage ist nur, wie das allokiert wird. Also: Wer muss wie viel wofür bezahlen? Das ist eine ganz grundsätzliche Frage. Und dann muss man auch die Frage klären: Wer hat wie viel Recht auf welchen Grad an Informationsversorgung im Internet? Einige fordern deshalb, dass der Staat dafür sorgen müsse, dass alle Bürger in gleicher Weise an alle Informationen und Dienste kommen.

promedia: Der Staat sollte Internetverbindungen subventionieren?
Weinhardt: Nein – nicht subventionieren, sondern per Gesetz dafür sorgen, dass alle Zugang auf freie Inhalte bekommen können. Wenn alle gleiche Qualität bekommen sollen, muss derjenige, der im Netz Onlinespiele in 3D spielt, die sehr viel Datenvolumen haben und benötigen, den gleichen Zugang haben wie derjenige, der sich aus dem Bürgerbüro ein Formular herunterladen will. Das wäre die absolute Netzneutralität, die voraussetzt, dass eine Netzkapazität vorhanden ist, die ständig an solche Anforderungen angepasst wird. Dann stellt sich die Frage, ob das in Ordnung ist oder es einen anderen Grundversorgungsauftrag gibt, den wir einhalten müssen.

promedia: Wie könnte ein solcher Grundversorgungsauftrag aussehen?
Christof Weinhardt: Man könnte beispielsweise festlegen, dass alle Internet-Service-Provider einen Zugang zum gesamten Internet in einem bestimmten Servicequalitätslevel zu gewissen Konditionen anbieten müssen. Es muss also immer eine Möglichkeit geben, mit der alle Zugriff auf das Internet bekommen. Ergänzend dazu könnten sich Nutzer zusätzliche Kapazitäten oder Qualitätsupgrades kaufen. Unter bestimmten Annahmen ist es meines Erachtens dann durchaus sinnvoll, neue Geschäftsmodelle zuzulassen, bei denen auch die Content-Provider für eine Priorisierung zahlen, die es beispielsweise erlaubt, dass ihre Kunden auf besondere Dienste schnelleren Zugriff haben als auf andere. Es darf aber keine Internetprovider geben, die (fast) alle ihre Kapazitäten zur Priorisierung verkaufen, die dann nicht mehr für den regulären Datenverkehr zur Verfügung stehen.

promedia: Derjenige, der mehr verbraucht, weil er Filme herunterlädt, müsste also mehr bezahlen?
Christof Weinhardt: Ja. Das ist heute im mobilen Datendienst bereits gang und gäbe, und in anderen Bereichen auch. Dass man für Mehr mehr bezahlen muss, ist nicht in Frage gestellt, ebenso wenig, dass man für einen schnelleren Datenzugriff mehr bezahlen muss. Aber ein Internetprovider wie die Telekom darf nicht alleine darüber entscheiden, ob ein Kunde schneller bedient wird, wenn er die Google-Suchmaschine nutzt im Gegensatz zur Yahoo-Suchmaschine, oder ob Facebook gegenüber alle anderen sozialen Netzwerken bevorzugt wird.

promedia: Sie deuteten an, dass im mobilen Bereich differenziertere Geschäftsmodelle existieren als im stationären Onlinebereich. Kann man davon ausgehen, dass diese Geschäftsmodelle in nächster Zeit auch im stationären Internet üblich werden?
Christof Weinhardt: Es existieren im mobilen Bereich schon solche Beschränkungen im Internet. So verbieten Vodafone oder T-mobile ihren Kunden explizit die Nutzung von Skype. Das ist natürlich eine Diskriminierung gegenüber Skype. Aus Sicht der Mobilfunkanbieter durchaus verständlich, dass sie sich nicht kannibalisieren lassen wollen. Das ist meines Erachtens nicht zu akzeptieren, denn es behindert den Wettbewerb und beschränkt die Möglichkeiten des Internets, ob im mobilen oder im stationären Bereich. Die Verhinderung solcher Einschränkungen ist einer der Kernpunkte der Netzneutralitätsdebatte. Wir müssen meines Erachtens erreichen, dass neben der zuvor genannten Grundversorgung Anbieter zumindest die Kunden über Priorisierungen und, wenn überhaupt akzeptabel, auch über Einschränkungen informieren müssen, damit diese sich unter Umständen für einen anderen Anbieter bzw. Tarif entscheiden können, bei dem es die jeweilige Diskriminierung nicht gibt.

promedia: Besteht die Gefahr eines Zwei-Klassen-Internets, wenn die Provider ihre Geschäftsmodelle durchsetzen?
Christof Weinhardt: Ja, die Gefahr sehe ich, wahrscheinlich sogar viel mehr Klassen. Deshalb ist die Garantie einer Grundversorgung so wichtig. Ich glaube aber nicht, dass wir in Zukunft alle Arten der Internetnutzung gleich behandeln sollten. Wir müssen sicherstellen, dass weiter ins Netz investiert wird du dass die Kapazitäten möglichst effizient genutzt werden – das ist eine urökonomische Forderung. Dazu sind neue Geschäftsmodelle wichtig

promedia: Ist das aus Ihrer Sicht problematisch oder sollte man dem stattgeben?
Christof Weinhardt: Das darf in meinen Augen nur stattfinden, wenn absolute Transparenz diesbezüglich herrscht. Ich kann mir vorstellen, dass sich zum Beispiel Spieleanbieter, bei Internet-Service-Providern einkaufen und damit für spezielle Tarife geringere Latenzen und schnellere Downloadraten garantieren. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass andere Inhalte im Internet nicht mehr erreichbar sind oder so verlangsamt werden, dass man sie nicht mehr vernünftig erreichen kann.

promedia: Benötigen wir eine Institution, die über die Netzneutralität wacht?
Christof Weinhardt: Über diese Fragen beraten wir gegenwärtig auch in der Enquetekommission und ich bin mir noch nicht sicher, ob eine solche Institution notwendig ist, oder ob es der Markt allein regelt. Es existiert schließlich eine sehr intelligente Internetcommunity, die bestimmte Dinge nie akzeptiert, sofort auf entsprechende Verstöße hinweist und so auf Provider aufmerksam macht, die die Nutzung unfair oder intransparent beschränken wollen – (dafür gibt es schon einige Beispiele). Viele sehen die Gefahr, dass sich einige Dienste- und Inhalteanbieter bei den Internet Service Providern so hohe Service Qualität  sichern, sprich kaufen, dass für die Anderen nicht mehr genügend Kapazität übrig bleibt. Das ist jedoch aus meiner aktuellen Sicht eher eine hypothetische Frage. So weit sind wir noch nicht, so eng sind die Kapazitäten derzeit nicht. Außerdem sollte das Geschäftsmodell so ausgerichtet sein, dass der Internet Service Provider mit den erzielten Einnahmen in den weiteren Ausbau der Kapazitäten investieren kann.

promedia: Aber hat es sich nicht auch beim Rundfunk oder den Kabelnetzen gezeigt, dass man dem Markt allein nicht trauen kann?
Christof Weinhardt: Das Internet ist ein viel komplexeres Gebilde, das mit dem Kabelnetz überhaupt nicht vergleichbar ist. Man kann das komplett dezentral organisierte Internet nicht ständig “durchkontrollieren“. Das ist alleine technisch schon nicht möglich. Der richtigere Weg ist deshalb, auf gewisse Grundregeln zu setzen, beispielsweise auf Transparenz, und ihre Durchsetzung punktuell zu prüfen. Es muss bindende Regeln geben, die zum Beispiel die Bundesnetzagentur mitgestalten sollte. Und darüber hinaus wird vor allem die Internetcommunity über die Einhaltung wachen. Was die Tarife angeht, glaube ich schon, dass der Markt viel richten wird – wie gesagt, meines Erachtens muss es Grundtarife geben, mit denen man auf alles, was frei erhältlich ist, zugreifen kann. Um gewisse Dienste oder Inhalte schneller zu bekommen, kann man zusätzlich zahlen. Es kann nicht sein, dass all diejenigen, die einen geringen Grundbedarf haben, diejenigen vollständig mitfinanzieren, die täglich 3D-Onlinespiele spielen oder Videos streamen. Da stellt sich die Frage, ob das fair ist.

Über Prof. Dr. Christof Weinhardt

  • 1981 – 1986 Wirtschaftsingenieurstudium, Informatik
  • 1986 – 1994 Promotion, Habilitation in BWL und VWL am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik
  • 1994 – 1995 Universität Bielefeld – Professur für Quantitative BWL
  • 1995 – 2000 Universität Gießen – Professur für BWLWirtschaftsinformatik
  • Seit 2000 Universität Karlsruhe – Professur für Informationsbetriebswirtschaftslehre
  • Seit 2005 Direktor am FZI, Karlsruhe
  • Seit 2008 Direktor am Karlsruhe Service Research Institute

Weitere Informationen: promedia

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