promedia-Artikel: „Wir brauchen weiterhin ein offenes, nichtregistriertes Fernsehen“, Dr. Hans Hege, Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg

Interview mit Dr. Hans Hege, Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, promedia 9/2010

Der Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, Dr. Hans Hege, sieht gegenwärtig keine Notwendigkeit Plattformen wie Apple zu regulieren: „Bei Apple sehe ich nicht, dass der Zugang zu bestimmten Inhalten einschränkt wird“, so Hege. Die Frage seit eher Datenschutzrelevant, wenn Plattformen die Daten bei Suchanfragen für lange Zeit speichern. „Wenn man das dann noch mit anderen Daten aus der Suche im Internet, sozialen Netzwerken, Einkäufen usw. verbindet, hat man letzten Endes einen gläsernen Menschen vor sich, dessen Daten eines besonderen Schutzes bedürfen. Daher müssen wir uns fragen, ob wir nicht ein Gegengewicht brauchen, wie es derzeit die Rundfunkübertragungswege über Satellit und DVB-T sind, die ein nicht registriertes Fernsehen erlauben.“

Dr. Hans Hege
Dr. Hans Hege

promedia: Herr Hege, werden Veranstalter und Inhalteanbieter immer abhängiger von Plattformbetreibern?
Hans Hege: Ich sehe es positiv: Sie haben einen neuen Weg, ihre Inhalte zu verbreiten. Sie sind auf solche neuen Möglichkeiten angewiesen, und setzen ihre Hoffnungen besonders auf die, mit denen man zusätzlich Geld verdienen kann. Das iPad hat solche neue Möglichkeiten gezeigt, und damit auch Wettbewerber herausgefordert. Man kann Inhalte zu jeder Zeit an jedem Ort konsumieren. Dennoch ist die Stellung der Inhalte zentral. Das wird sich nicht verändern. Die Übertragung wird immer billiger, wohingegen die Produktion besonders attraktiver Inhalte kaum billiger wird. Die Zahl herausragender Filme oder Serien lässt sich ebenso wenig beliebig vermehren wie professionelle nationale und lokalen Nachrichten. Weil klassische Geschäftsmodelle erodieren, brauchen die Inhalteabbieter neue Einnahmequellen, auch durch neue Nutzungsformen, die die Chancen digitaler Konvergenz nutzen, wie zum Beispiel bei den Spielen. Bei den Geschäftsmodellen gibt es die Herausforderung durch die neuen digitalen Plattformen, die ohne eigene Inhalte und ohne Kontrolle von Netzen Fernsehen, Videoinhalte und publizistische Inhalte in einem Gesamtkonzept verbinden können. Google, Apple und Facebook werden an Bedeutung für die Medien gewinnen.

promedia: Sie gehen also davon aus, dass selbst bei der technologischen Vielfalt und einer gewissen technologischen Steuerung von Inhalten über bestimmte Plattformen weiterhin der Content der „King“ bleiben wird?
Hans Hege: Die Inhalte bleiben „King“, auch bei neuen Technologien, die die Chance haben, die Fernsehwelt zu verändern. Durch hybride Fernsehgeräte – Geräte, die den Internetanschluss haben – kann man beliebige Fernsehinhalte zu jeder Zeit auch zu Hause empfangen. Für das Fernsehen wird die Nutzung zu Hause dominieren, nicht der mobile Empfang. Zu Hause kann man, wenn man den Internetanschluss am Fernseher hat, auf alle Mediatheken zugreifen und Sendungen speichern. Eine Schlüsselrolle wird die Navigation bekommen. Die Frage ist, ob Google TV es schafft, dem Nutzer ein eben so attraktives Angebot für die Nutzung auf dem Fernsehschirm zu machen wie auf dem PC. Das unübersichtliche Videoangebot auf Hunderten digitaler Kanäle und noch viel umfassender im Internet muss nach den Interessen des Nutzers so reduziert werden, dass es die Bequemlichkeit bietet, die man vom Fernsehen gewöhnt ist. Der Nutzer muss auf Grund seines Nutzungsverhaltens und eventuell mit Hilfe von Vorschlägen der Facebook-Freunde – das ist auch ein Versuch, Fernsehnutzung zu beeinflussen – Vorschläge bekommen. Vieles ist technisch machbar, wenn ein Gerät speichern kann und den Internetzugang hat. Mit dem neuen hybriden Geräten hat man das lineare Fernsehen und das Fernsehen aus dem Internet, alles auf demselben Gerät. Das wird enorme Herausforderungen für die Fernsehveranstalter mit sich bringen, die bisher mit einem Audience flow stark auf den linearen Fernsehkonsum gesetzt haben, und auf deren Finanzierung.

promedia: Das ist der Wechsel vom traditionellen Fernsehsender hin zu Suchalgorithmen und damit auch zu Plattformen, die nicht aus dem klassischen Fernsehgeschäft kommen, wie Google oder Apple…
Hans Hege: Ja, das kann das Aus vieler klassischer Spartensender bedeuten. Man braucht keinen Golfkanal, wenn man diese Inhalte über das Internet auf den Fernsehschirm bekommt. Das gilt auch für Filme. Das klassische Pay-TV wiederholt Filme zu vorgegebenen Zeiten. Aber Film ist, wie bisher Musik, eine Ressource, die man künftig zu beliebigen Zeiten aus dem Internet holen kann. Dafür benötigt man nicht x Kanäle, sondern sucht einen Film nach bestimmten Kriterien. Dann ist eher die Frage, wer die Navigation dominiert. Gerade weil es so viel gibt und man so viel sehen kann, ist eine Orientierung nötig. Doch die Online- Suchmaschinen sind nicht ohne Weiteres auf das Fernsehen übertragbar. Dennoch wird auch das „einfache“ Fernsehen weiter existieren. Wenn eine Marke eine gute Programmzusammensetzung hat, warum sollte man das dann nicht schauen? Nicht jeder will seinen Fernsehkonsum verändern und jedes Mal eine Entscheidung treffen. Insofern würde das lineare Fernsehen nicht verdrängt werden.

promedia: Google hat bei der Suchmaschinennutzung in Deutschland einen Marktanteil von über 80 Prozent. Wäre das für einen TV-Anbieter nicht problematisch?
Hans Hege: Bisher haben wir relativ vage Angaben, was Google-TV ist. Auf dem Fernsehschirm wird letzten Endes versucht, den Nutzern Orientierung zu geben und dies durch Werbung mitzufinanzieren. Watchmi des Axel-Springer-Verlages macht aus dem Nutzungsverhalten und dem Angebot Vorschläge für die Nutzer, bisher noch auf dem PC. Es besteht die Gefahr für die Fernsehveranstalter, dass sich jemand die einzelnen Sendungen zusammenstellt und die Werbung überspringt. Das ist die Existenzgefährdung für sie. Andererseits haben die Navigationsanbieter das natürliche Interesse, alles an attraktiven Inhalten zu bieten, ebenso wie klassische Programmzeitschriften. Bisher gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass Google jemanden bevorzugt oder benachteiligt. Es ist ein automatisiertes Verfahren. Die Frage ist eher datenschutzrelevant. Man gibt seine Daten her, Google speichert sie bei Suchanfragen für lange Zeit. Wenn man das dann noch mit anderen Daten aus der Suche im Internet, sozialen Netzwerken, Einkäufen usw. verbindet, hat man letzten Endes einen gläsernen Menschen vor sich, dessen Daten eines besonderen Schutzes bedürfen. Daher müssen wir uns fragen, ob wir nicht ein Gegengewicht brauchen, wie es derzeit die Rundfunkübertragungswege über Satellit und DVB-T sind, die ein nicht registriertes Fernsehen erlauben.

promedia: Besteht damit nicht auch die Gefahr einer dominierenden Meinungsmacht?
Hans Hege: Diese Gefahr sehe ich gegenwärtig nicht. Bei den neuen Plattformen gibt es ganz unterschiedliche Ansätze. Die drei Großen sind Google, Apple und Facebook, von denen jeder einen anderen Ansatz verfolgt. Solange sie nicht zusammenarbeiten, ist es akzeptabel, sonst wäre es ein Problem. Insofern sind sie Konkurrenten: Apple mit einer geschlossenen Philosophie, Google ist in der Technologie offen. Apple setzt auf Bezahlung, Google eher auf Werbung; Facebook setzt auf persönliche Kontakte. Alle brauchen letztlich Inhalte. Das Problem aller ist, dass sie nicht zur Finanzierung von Inhalten beitragen. Diese Diskussion haben wir auch bei den Zeitungen. Google bezahlt nichts für Inhalte, verdient aber daran. Umgekehrt schaffen die Plattformen in der Regel zusätzliche Reichweite. Und sie schaffen, wie im Fall von Apple, zusätzliche Verdienstmöglichkeiten. Umgekehrt schöpft Apple diese zum Teil ab. Keine dieser Plattformen hat eigene Inhalte, keine ist exklusiv. Wenn eine Plattform eine dominierende Stellung hätte und sich ein großer Inhalteanbieter an ihr beteiligt, würde ich das kritisch beobachten. Dann bestünde die Gefahr, dass andere Inhalteanbieter benachteiligt werden. Apple oder Google haben von ihren Geschäftsmodellen her kein Motiv, jemanden zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Sie wollen den Leuten eine möglichst große Vielfalt und möglichst gute Orientierung bieten.

promedia: Wie wichtig ist dafür die Netzneutralität?
Hans Hege: Die Offenheit der Netze ist sehr wichtig. Sie ist die Grundlage dafür, dass neue Plattformen gegründet werden können und der Zugang für Inhalteanbieter offenbleibt. Insofern sind die Überlegungen von Google, der Netzneutralität eine geringere Bedeutung zuzumessen, ein Warnsignal. Wenn jemand eine bestimmte Macht erhält, legt er nicht mehr so viel Wert auf Netzneutralität, weil diese eigentlich eine Sicherstellung ist, dass auch andere einen Zugang haben. Das wichtigste Regulativ ist das offene Internet. Daneben kann es geschlossene Formen geben, wie das IP-TV-Angebot der Telekom. Aber wenn die Telekom dominierend wäre und das Videoangebote über das offene Internet gezielt zulasten des Fernsehens über das geschlossene System IP-TV benachteiligt würde, dann wäre das ein großes Problem. Solang die Telekom nicht der einzige Internetanbieter wird und es den Druck des offenen Internets gibt, solange kann es auch geschlossene Formen geben. Apple ist nicht offen, sondern eine proprietäre Technologie, die gut funktioniert. Das stößt auch andere an. Apple hat insoweit eine positive Funktion. Die Erfindung des iPad und iPhone hat den Markt insgesamt vorangebracht. Auch Kabelnetze sind nicht neutral, vielmehr bestimmen deren Betreiber, was an Fernsehen angeboten wird. Deshalb braucht man bei ihnen auch eine weitergehende Regulierung als bei Plattformen, die es nur im Internet gibt.

promedia: Die Zeitungsverleger haben angesichts der Diskussion um die Apple-Apps ihre Sorge geäußert, dass diese Plattformen inhaltlich eingreifen können. Sollten nicht Regeln für Plattformen aufgestellt werden, so wie man sie beim Kabel ebenfalls hat?
Hans Hege: Zentral ist, dass der Verbraucher die Auswahl hat. Erst einmal muss man den Zugang sichern. Auch bei Apple sehe ich nicht, dass der Zugang zu bestimmten Inhalten einschränkt wird. Es gibt bestimmte technische Maßnahmen, damit das funktioniert. Ich halte die Debatte über die App der „Bild“ für übertrieben. Niemand würde es kritisieren, wenn einer nur jugendschutzfreundliche Inhalte, besonders kindergeeignete Inhalte bietet. Ein Problem wäre es dagegen, wenn beispielsweise Springer ganz vorn wäre und andauernd beworben werden würde, und ein kleinerer Verlag untergehen würde. Außerdem bin ich gelassen, weil Apples Reichweite nicht annähernd mit der des Kabels vergleichbar ist und Apple nicht der einzige Anbieter sein wird. Ich finde es umgekehrt richtig,  zum Beispiel Verlegerplattformen zuzulassen oder auch eine Videoplattform von RTL und ProSieben. Die Frage ist, ob die Zeitungsverleger es schaffen, eine eigene Vertriebsplattform zu etablieren. Man sollte ihnen jedenfalls nicht kartellrechtliche Hürden in den Weg legen. Sie haben natürlich ein Grundproblem, dass sich die Apples, Googles und Facebooks dieser Welt global engagieren und damit die Größenvorteile haben. Kann man mit nationalen Ansätzen gegenüber den Giganten mithalten? Was kann Google investieren, um neue Nutzungen möglich zu machen und was unsere Verleger in ihrer Plattform? Wir brauchen aber den Wettbewerb. Deswegen ist die Netzneutralität, die viele Facetten hat, sicher ein zentraler Punkt der künftigen medienpolitischen Diskussionen.

promedia: Muss die Netzneutralität für stationäre wie für mobile Netze gelten?
Hans Hege: Im Grundsatz ja, denn diese scharfe Abgrenzung gibt es nicht mehr. Das lässt sich beim Thema WLAN erkennen. WLAN ist teilweise mobil. Die stationären Netze entlasten mit der Erweiterung durch WLANs auch den mobilen Netzausbau. Umgekehrt sind WLANs ein Maßstab für den Mobilfunk. Jeder, der ins Ausland fährt, erfährt schmerzlich, wie teuer es werden kann, wenn er sein Smartphone für den Internetzugang über ein Mobilfunknetz nutzt. Dagegen ist WLAN ein viel kostengünstigerer Einstieg, man kann darüber auch telefonieren. Es ist eine große Herausforderung für die Mobilfunkunternehmen, wenn die bisherigen Geschäftsmodelle wegbrechen, weil Telefon eine Untermenge des Internet wird, wie im Festnetz, und die große Cashcow SMS auch endlich ist. Dass man für so wenig Datenmenge so viel bezahlen muss, ist nicht selbstverständlich, wenn man alles über IP macht. Auf der anderen Seite dürfte die Bereitschaft, für die prognostizierte Videonutzung über Mobilfunknetze zu bezahlen, begrenzt sein, man braucht das unterwegs auch nicht so dringend wie die Möglichkeit des Notrufes. Das Netzmanagement muss transparent sein und es dürfen nicht bestimmte Kategorien ohne sachlichen Grund benachteiligt werden oder bestimmte Inhalte schneller durchgelassen werden als andere. In einem Bereich allerdings halte ich eine strikte Netzneutralität für erforderlich: Wenn Rundfunkfrequenzen als Basisversorgung für ländliche Räume eingesetzt werden, wie es nach der Versteigerung vorgegeben ist, müssen diese Haushalte alles nutzen können, was auch in den städtischen Regionen möglich ist.

Über Dr. Hans Hege

  • Geboren: 1946
  • 1967-1972 Jurastudium
  • 1976-1977 Assistent im Abgeordnetenhaus Berlin
  • 1978-1983 Referent in der Senats-Justizverwaltung
  • 1993-1985 Leiter des Medienreferats, Kultursenat
  • 1985-1992 Direktor der Anstalt für Kabelkommunikation Berlin
  • Seit 1992 Direktor der MABB
  • Seit 1. September 2008 Beauftragte der ZAK für Plattformregulierung und Digitalen Zugang und Mitglied der KEK

Weitere Informationen: promedia

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