ZDF-Intendant: Wir sind jetzt endlich da angekommen, wo ich schon lange hin will

Interview mit Markus Schächter, ZDF-Intendant, promedia 01/2010

In einem promedia –Interview betonte ZDF-Intendant Markus Schächte, dass er als Intendant wisse, dass das ZDF seine Unabhängigkeit immer wieder neu erkämpfen und dem Publikum seine Glaubwürdigkeit durch journalistische Leistung und Qualität unter Beweis stellen muss. „Die Chefredakteure des ZDF haben stets für beides gestanden. Das gilt für Reinhard Appel ebenso wie für Klaus Bresser und Nikolaus Brender. Peter Frey steht genau in dieser Tradition.“ Peter Frey erklärte nach seiner Berufung: “Es ist jetzt die Hauptaufgabe des neuen Chefredakteurs, die Glaubwürdigkeit des Senders, die in der öffentlichen Wahrnehmung gelitten hat, wiederherzustellen. Dafür arbeite ich gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen, den Redaktionen, der Geschäftsführung und auch den Gremien.”

Markus Schächter machte in dem Interview deutlich, dass trotz der Kritik des privaten Rundfunks an ZDFneo an seinem Weg der Schaffung einer Senderfamilie konsequent festhalten werde.  Mit dem neu formierten Digitalkanal, der seit 1. November 2009 auf Sendung ist, gehe das ZDF den ersten großen Schritt zur Bildung einer starken Senderfamilie, die unterschiedliche Zielgruppen unter dem Dach des ZDF vereinen will. Mit einer anspruchsvollen Kombination aus den Programmgenres Dokumentation/Reportage, Fiktion (Fernsehfilm, Spielfilm, Serie) sowie Comedy und Musik spreche ZDFneo besonders die Zielgruppe der 25- bis 50-Jährigen an. „Das ZDF entwickelt sich zu einer Programmfamilie mit unterschiedlichen Ausspielwegen und Plattformen. Das ist die Überlebensvoraussetzung in einer digitalen Welt, in der sich die Medienangebote immer weiter fragmentarisieren“, so Schächter im promedia-Gespräch.

Prof. Markus Schächter, Intendant ZDF

promedia: Herr Schächter, wie sehr gefährdet die Entscheidung des Verwaltungsrates, den Vertrag mit Herrn Brender nicht zu verlängern, die politische Unabhängigkeit des ZDF?
Markus Schächter: Als Intendant weiß ich, dass das ZDF seine Unabhängigkeit immer wieder neu erkämpfen und dem Publikum seine Glaubwürdigkeit durch journalistische Leistung und Qualität unter Beweis stellen muss. Die Chefredakteure des ZDF haben stets für beides gestanden. Das gilt für Reinhard Appel ebenso wie für Klaus Bresser und Nikolaus Brender. Peter Frey steht genau in dieser Tradition.

promedia: Sie haben in einem Statement erklärt, dass die Länder jetzt die Pflicht hätten, im Rahmen der anstehenden Novellierung des Rundfunkstaatsvertrags für belastbare Rechtsgrundlagen des ZDF Sorge zu tragen. Was für eine Regelung stellen Sie sich vor?
Markus Schächter: Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck hat dazu Vorschläge in die Diskussion eingebracht. Es ist aber nicht meine Sache, diese inhaltlich zu bewerten. Entscheidend ist, dass sich die Länder im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die Gestaltung der Rahmenbedingungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gemeinsam dafür einsetzen, dass der Schaden, der nicht zuletzt durch die öffentlich gemachte Debatte entstanden ist, schnellstmöglich behoben wird.

promedia: Angenommen, die Vertreter der Parteien würden sich aus dem Rundfunkrat und dem Verwaltungsrat zurückziehen, wäre das die Garantie, dass die Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gesichert ist?
Markus Schächter: Es ist jetzt die Aufgabe der Länder, die aufgeworfenen Fragen zu überprüfen. Möglicherweise wird sich auch das Bundesverfassungsgericht damit befassen. Es wird insgesamt darum gehen, eine bessere Balance zu finden und eine mögliche Dominanz einzelner Gruppierungen auszuschließen.

promedia: Wie sehr hat diese Debatte, die seit Frühjahr öffentlich ausgetragen wird, dem öffentlich–rechtlichen Rundfunk geschadet?
Markus Schächter: Die Debatte hinterlässt Spuren und wird nachwirken. Vielfach wurde in öffentlichen Bekundungen der Eindruck erweckt, Parteien oder Staat würden weit über den konkreten Fall hinaus Einfluss auf Personalbesetzungen oder Programmgestaltung nehmen. Das entspricht nicht der Realität. Wir haben eine grundgesetzlich garantierte Programmautonomie, und ich trage als Intendant dafür Sorge, dass meine Kolleginnen und Kollegen unabhängig von äußeren Einflüssen – seien es politische oder ökonomische – arbeiten können.

promedia: Kurt Beck hat kürzlich konstatiert, dass die Akzeptanz der Gebühren schwindet. Welche Faktoren sind dafür Ihrer Meinung nach verantwortlich?
Markus Schächter: Es ist ein allgemeines Phänomen, dass Steuern, Gebühren oder andere Abgaben auf der Beliebtheitsskala nicht die obersten Ränge einnehmen. Schwerwiegender ist der Befund, dass vor allem jüngere Menschen den Wert eines öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Medienangebots geringer schätzen. Darin liegt eine große Herausforderung für uns. Denn wir müssen im Fernsehen, in den digitalen Programmangeboten und im Internet auch für diese jüngeren Menschen attraktive Angebote bereitstellen. Viele Medienangebote werden heute als selbstverständlich wahrgenommen. Die Bereitschaft, dafür zu zahlen, sinkt – das hat auch etwas mit der Internetwelt zu tun. Wir wollen deshalb gemeinsam mit unseren Kollegen der ARD stärker betonen, worin die besonderen Vorteile eines öffentlich-rechtlichen Angebots bestehen.

promedia: Wie kann die Politik gegensteuern?
Markus Schächter: Indem sie die Rahmenbedingungen schafft und aufrecht erhält, die es dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk ermöglichen, die neuen medialen Formen der digitalen Welt im Sinne des Programmauftrags einzusetzen und damit angemessen auf die Veränderungen gerade auch im Medienkonsum jüngerer Menschen zu reagieren.

promedia: Wie kann das ZDF gegensteuern?
Markus Schächter: Das ZDF muss die Chancen der digitalen Welt nutzen. Wir müssen auf die Veränderungen im Nutzerverhalten reagieren und unseren Weg in Richtung einer Programmfamilie konsequent fortsetzen. Ich bin mir sicher, dass wir durch die vielfältigen Möglichkeiten der digitalen Welt, wie z. B. Abruffernsehen, zukünftig in der Summe größere Reichweiten erzielen können als in der Vergangenheit mit einem einzigen, linear ausgestrahlten Programm. Das ist aber natürlich nicht nur eine Frage der Technik. Wir müssen auch unsere Modernisierungsaktivitäten fortsetzen. Hierbei sehe ich uns mit ZDFneo und neuen Programmformaten und -vorhaben im Hauptprogramm auf einem guten Weg.

promedia: Glauben Sie, dass durch eine Haushaltsabgabe, die im Gespräch ist, die Akzeptanz steigt?
Markus Schächter: Noch ist unklar, auf welches Gebührenmodell sich die Länder einigen werden. Neben der Vorstellung von einer Haushaltsabgabe existiert weiterhin die Überlegung, die bestehende geräteabhängige Gebühr zu modifizieren. Grundsätzlich sollte das Ziel lauten: Die Gebühr so einfach, verständlich und nachvollziehbar zu gestalten wie irgend möglich. Je einfacher das Modell, desto höher die Akzeptanz.  Darüber hinaus gilt es sicherzustellen, dass das neue Modell einer eventuellen Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhält.

promedia: Welche Anforderungen stellen Sie an die künftige Gebührenordnung?
Markus Schächter: Sie sollte so einfach wie möglich sowie verfassungskonform sein. Und sie muss sicherstellen, dass der von der unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) ermittelte Bedarf erbracht werden kann.

promedia: Es ist auch wieder das Indexmodell ins Spiel gebracht worden. Wäre das eine Lösung, um die Gebühren langfristig zu sichern?
Markus Schächter: Ein  reines Index-Modell ist mit den Vorgaben aus Brüssel nicht vereinbar. Durch einen quasi automatischen Steigerungsmodus bestünde die Gefahr einer Überkompensation. Genau dagegen wirkt das Modell der KEF,  die zwar – soweit sinnvoll – in Teilbereichen selbst mit Indizes arbeitet, aufgrund ihrer streng bedarfsorientierten Kontrolle aber sicherstellt, dass nur der konkrete, wirklich benötigte Bedarf finanziert wird.

promedia: Das ZDF wird bis 2012 105 Mio. Euro weniger an Gebühren einnehmen als ursprünglich geplant. Die ARD will ihre Gebührenausfälle durch Kooperation und Spezialisierung kompensieren. Was können Sie angesichts dieser Ausfälle tun?
Markus Schächter: Die Zahl stammt aus einer Prognose der KEF. Wir berücksichtigen diese Erwartung in der Finanzplanung für die kommenden Jahre. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als durch Einsparungen in der Organisation, aber auch im Programm auf diese Ausfälle, so sie denn in diesem Umfang kommen, zu reagieren. Ich habe gerade erst bei der Verabschiedung des Haushalts 2010 klar gesagt, dass das Ziel, die laufende Gebührenperiode wie auch bereits die vergangene mit einer schwarzen Null abzuschließen, oberste Priorität hat.

promedia: Inwieweit ist das Programm davon tangiert?
Markus Schächter: Da wir in der Organisation und Struktur unseres Unternehmens schon in den vergangenen Jahren erhebliche Einsparleistungen umgesetzt haben, kann das Programm nicht außen vor bleiben. Wir verfolgen aber auch hier eine konstruktive Sparpolitik. Das heißt, wir nehmen nicht ganze Programme vom Sender, sondern suchen nach günstigeren Produktionsformen, intelligenten Wiederholungsstrategien und anderen Maßnahmen, die das Programm nicht nachhaltig beschädigen.

promedia: Die Produzenten wollen preiswertere Programme produzieren, die ähnlich den Daily Soaps und Telenovelas „industriemäßig“ produziert werden. Wird auch das ZDF stärker auf solche Formate zurückgreifen müssen?
Markus Schächter: Das tun wir bereits an vielen Stellen im Programm. Wir experimentieren auch in ZDFneo mit neuen und günstigeren Formaten. Wie ich bereits sagte: Es führt kein Weg daran vorbei, Synergien zu heben und günstiger zu produzieren.

promedia: Die ARD hat sich jetzt mit den  Produzenten über eine Regelung bei der digitalen Verwertung geeinigt. Sie verhandeln noch. Wo liegen für Sie die Schwierigkeiten, einer ähnlichen Regelung wie sie die ARD getroffen hat, zuzustimmen?
Markus Schächter: Ich begrüße es sehr, dass die ARD nun Beteiligungsformen einführt, wie wir das schon seit Jahrzehnten praktizieren. Wir beteiligen die Produzenten längst an den Erlösen aus der Verwertung von Auftragsproduktionen, selbst dann, wenn wir die entsprechenden Programme zu 100 Prozent finanziert haben und die Produzenten zusätzlich garantierte Handlungskosten und Gewinnaufschläge dafür erhalten. Wir stehen zu angemessenen und fairen Rechteaufteilungen.

promedia: ZDFneo hat viel Lob von den Medien erhalten und wird 2010 ausgebaut.  Die Privaten fordern von der Politik ein Eingreifen, weil das Angebot angeblich nicht der Beauftragung entspricht. Werden sie ZDFneo inhaltlich verändern?
Markus Schächter: Die Kritik des VPRT läuft ins Leere. Das Programm von ZDFneo entspricht den staatsvertraglichen Rahmenvorgaben und ist in enger Abstimmung mit dem ZDF-Fernsehrat entwickelt und im November auf den Sender gebracht worden. Wir haben den Auftrag und die Pflicht, Inhalte auch für jüngere Menschen anzubieten. Wir zielen hier im Kern auf die 25- bis 50jährigen, die ein Recht darauf haben, ein wertiges öffentlich-rechtliches Programmangebot zu bekommen. Genau das leistet ZDFneo. Der langsame, aber stetige Zuspruch beim Publikum zeigt, dass der Sender ein Angebot präsentiert, das andere offenbar nicht bereitstellen.  Die Angriffe hinsichtlich fehlender Nachrichten sind im übrigen bemerkenswert, da uns gerade diese auf Betreiben des VPRT von der Politik verboten wurden.

promedia: Die Finanzierung von ZDFneo soll auf Kosten Ihres 3sat-Engagements aufgestockt werden. Gleichzeitig haben Sie sich in der Berliner Erklärung für einen Fortbestand  von 3sat ausgesprochen. Ist das nicht inkonsequent? Benötigen wir 3sat angesichts des Internets noch?
Markus Schächter: Da werfen Sie einiges gehörig durcheinander. In der Tat aber ist es so, dass wir den Ausbau der digitalen Zusatzkanäle, also ZDFneo, den ZDFinfokanal und ZDFkultur nur durch Einsparungen und das Heben von Synergiepotentialen an anderer Stelle realisieren können. Zusätzliche Gebührengelder beanspruchen wir dafür nicht. Nach dem Start von ZDFneo planen im kommenden Jahr eine Weiterentwicklung des ZDFtheaterkanals zu einem Kulturkanal, der ein breiteres thematisches Spektrum abdecken wird. Wenn wir einen Teil unseres direkten Budgets von 3sat auf den Kulturkanal übertragen, heißt das nicht, dass das 3sat-Programm dadurch geschwächt wird. Wir legen Redaktionen zusammen und arbeiten von einer redaktionellen Plattform aus für mehr als nur einen Kanal. Das findet bei uns im Rahmen eines digitalen Transformationsprozesses statt. Es macht heute keinen Sinn mehr, einzelne Kanäle abgegrenzt voneinander zu betrachten. Das Programmunternehmen ZDF erstellt vielmehr Inhalte, etwa in den Bereichen Kultur, Information und Unterhaltung, die dann auf unterschiedlichen Verbreitungswegen zum Publikum transportiert werden. Schon jetzt leben die Partnerprogramme wie 3sat oder Phoenix überwiegend von Zweit- und Drittverwertungen aus den Hauptprogrammen von ARD und ZDF. Zu Ihrer Anschlussfrage: Selbstverständlich benötigen wir 3sat weiter. Es gibt kein vergleichbares Angebot, das den deutschsprachigen Raum mit besonderen Programmangeboten aus Österreich, Schweiz und Deutschland versorgt. Auf dieses besondere Profil sind wir stolz, und wir werden diese Fahne weiter hoch halten.

promedia: Das ZDF ist auf vielen Feldern aktiv: Im klassischen ZDF-Angebot, Online, Mobile, mit drei Spartenkanälen, beim Ki.Ka, 3sat, Arte und Phoenix. Jetzt startet HDTV. Die Gebühren werden insgesamt nicht weiter wachsen, online ist keine Werbung möglich. Auf welche Angebote wird sich das ZDF in den nächsten Jahren konzentrieren, worauf wird es verzichten müssen?
Markus Schächter: Wir sind jetzt endlich da angekommen, wo ich schon lange hin will. Das ZDF entwickelt sich zu einer Programmfamilie mit unterschiedlichen Ausspielwegen und Plattformen. Das ist die Überlebensvoraussetzung in einer digitalen Welt, in der sich die Medienangebote immer weiter fragmentarisieren. Wir sind nicht mehr der alte Ein-Kanal-Sender der analogen Zeit, sondern ein öffentlich-rechtlicher Inhalte -Anbieter, der auf unterschiedlichen Wegen die Menschen in diesem Land erreicht. Im Zentrum wird auf lange Sicht das Hauptprogramm stehen. Mit ihm erreichen wir den größten Teil unseres Publikums. Aber, ich sage auch: Diese Relation wird sich in den kommenden Jahren verändern. Alle großen Sender verlieren an Marktanteilen. Als gebührenfinanzierter Sender haben wir die Verantwortung, diese Entwicklung zu berücksichtigen und Strategien dafür zu entwickeln, wie wir öffentlich-rechtliche Programmangebote zum Publikum transportieren. Wir sind da auf einem sehr guten Weg.

Über Prof. Markus Schächter

  • Geboren: 31. Oktober 1949
  • 1969 – 1974 Studium u.a. Geschichte, Politikwissenschaften und Publizistik
  • 1973– 1977 Journalist beim SWR und ZDF
  • 1977-1981 Kultusministerium Rheinland- Pfalz
  • Seit 1981 beim ZDF, u.a. Referent des Programmdirektors, Leiter der ZDF-Kulturredaktion, der Kinder- und Jugendredaktion und Programmplanung
  • 1998-2002 Programmdirektor des ZDF
  • Seit März 2002 Intendant des ZDF

Weitere Informationen: promedia

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