Ich habe nicht die Sorge, dass uns die Zeit wegläuft. Dr. Jürgen Brautmeier, Direktor der LFM in NRW, im Gespräch mit promedia

Landesmedienanstalten vollziehen Wandel bei Funktion und Aufgaben

Der Direktor der NRW-Landesmedienanstalt, Dr. Jürgen Brautmeier hat sich in einem promedia-Gespräch dafür ausgesprochen sowohl beim Internet als auch bei neuen Breitbandtechnologien wie LTE Entwicklungsmöglichkeit nicht zu früh durch Regulierungen zu behindern: Vielleicht finden wir einen Weg, sich Dinge entwickeln zu lassen und wenn wir es vernünftig beurteilen können, kommen wir zu Regeln. Also, es ist eine Frage des Zeitpunktes, wann wir solche Regeln aufstellen und wie sie dann aussehen. Ich habe nicht die Sorge, dass uns die Zeit wegläuft.

Jürgen Brautmeier
Jürgen Brautmeier

promedia: Herr Brautmeier, Sie haben Ende vergangenen Jahres die Projektinitiative „NRW digital“ gestartet. Welche konkreten Projekte haben Sie im Rahmen dieser Initiative vorgesehen?
Jürgen Brautmeier: Das erste Projekt ist die Begleitung der Abschaltung  analoger Satelliten-TV-Programme im April 2012. Das begleiten wir zum Beispiel durch Workshops, Informationsmaterialien und runde Tische. Ein weiteres Projekt ist die Einführung von LTE in Nordrhein-Westfalen. Wenn LTE auf den Markt kommt, wird es viele Punkte geben, die den Verbraucher interessieren, wo wir durch Information, Broschüren, Diskussionen helfen können. Dazu gehört zum Beispiel die  Störproblematik. Zudem wollen wir ein Forschungsprojekt zur Rolle von Apple, Google, Facebook und Co. beginnen, also zu den Gatekeepern in der digitalen Welt. Hier soll es darum gehen, welche Funktionen und Rollen sie haben, welche Rechte der Nutzer hat, worauf er achten muss, und so weiter. Ein weiteres Projekt, das sowohl unsere Arbeit als auch den Verbraucher interessiert, ist Cloud Computing. Wie verlässlich ist es, wenn ich meine Daten, die ich bisher auf dem eigenen PC oder Server hatte, in die Cloud verlagere? Was muss man aus datenschutz- und persönlichkeitsrechtlichen, also Verbraucherschutzgründen, wissen? Da sehen wir eine Aufklärungs- und Beratungsfunktion. Eine große Aufgabe ist zudem die Digitalisierung des Kabels. Noch immer werden deutlich mehr als die Hälfte der Anschlüsse analog genutzt. Da kann und sollte man noch einiges tun.

promedia: Die eben genannten Themen sind überwiegend Projekte, die Beratungs- und Informationscharakter haben. Gibt es auch Projekte zu Forschung und Entwicklung?
Jürgen Brautmeier:
Wir betrachten schon seit einiger Zeit sehr intensiv das Thema hybride Endgeräte, also die Verschmelzung von Fernsehen und Internet auf dem einen Gerät im Wohnzimmer. Welche Auswirkungen das auf die TV-Programme, die Finanzierung der Programme, auf die Unterscheidbarkeit von Programm und Werbung und auf die Finanzierung des Privatfunksystems hat, ist ein großes Thema, das wir schon lange auf der Agenda haben. Die Funktionen der Medienanstalten haben sich auch gewandelt. Wir sind heute vor allem „Lotsen“ in der Medienwelt. Die Wächterfunktion ist noch vorhanden, aber sie hat sich relativiert. Die Aufklärung, die Vermittlung von Medienkompetenz ist viel bedeutsamer geworden als früher.

promedia: Als Lotse wollen Sie bestimmt auch die großen Medienschiffe noch sicherer in Richtung Nordrhein-Westfalen bugsieren. Wo liegt der Vorteil dieser Projekte für den Standort?
Jürgen Brautmeier:
Das Gebührengeld, das die LfM finanziert, kommt von den Gebührenzahlern in Nordrhein-Westfalen und dafür müssen wir in NRW etwas leisten. Wir wollen die Medienkompetenz unserer Bürger erhöhen, sie befähigen die Medien noch besser für ihre Entwicklung und ihren Beruf zu nutzen, wir wollen zu Innovationen im Bereich der Medientechnologien beitragen und so den Standort NRW fitter für die Zukunft machen. Und wir wissen auch: Initiativen des größten Bundeslandes haben auch Auswirkungen auf überregionaler Ebene.

promedia: Inwieweit entwickelt sich damit auch die Landesanstalt für Medien NRW weg vom klassischen Rundfunk und hin zu einer Anstalt für neue Medien?
Jürgen Brautmeier: Wir befinden uns auf dem Weg zu einer modernen Regulierung. Mit den starren Bestimmungen der Vergangenheit, mit denen wir eine lange Zeit gut gefahren sind, fahren wir heute nicht mehr so gut, weil diese Regelungen nicht mehr Antwort auf aktuelle Fragen geben. Gerade im Internet brauchen wir neue Formen des Dialoges, der Regulierung, manches muss man deregulieren, anderes muss man neu regulieren. Nicht alles, was wir in der alten Rundfunkwelt reguliert haben, können wir 1:1 auf die neue Medienwelt übertragen. Apple, Google und Facebook brauchen AGBs nicht nur im engen geschäftlichen Sinne, sondern sie benötigen Spielregeln und Orientierung, was geht und was nicht. Das ist ein Thema, das gegenwärtig nicht nur die Landesmedienanstalten, sondern auch viele in die Politik umtreibt. Und in diese Debatte möchten wir uns aktiv einmischen.

promedia: Ist hier aber nicht auch Ihr rechtlicher Spielraum eingeschränkt und geringer als beim klassischen Rundfunk, weil viele Aspekte, die mit den neuen Medien im Zusammenhang stehen, über bundesdeutsches Recht geregelt werden?
Jürgen Brautmeier: Das ist richtig, aber der rechtliche Rahmen läuft der technischen Entwicklung hinterher. Und da können wir uns nicht zurücklehnen und warten, bis in Europa etwas passiert, das in Deutschland umgesetzt ist und hier in Nordrhein-Westfalen greift. Sondern wir wollen bei der Diskussion dabei sein. Und wenn wir in Nordrhein-Westfalen Themen identifiziert und vorangebracht haben, möchten wir gerne auch, dass sich das, was hier erarbeitet worden ist, auf der deutschen oder europäischen Ebene wiederfindet. Im Interesse der Prosperität des Medienstandortes NRW müssen wir Einfluss auf das nehmen, was auf anderen Ebenen in dem Bereich entschieden wird.

promedia: Sie sprachen davon, dass man auch einiges deregulieren müsste. Woran denken Sie da zum Beispiel?
Jürgen Brautmeier: Zum Beispiel an die Werbebestimmungen: Bei der Debatte über die EU-Richtlinie zu audiovisuellen Medien waren wir der Meinung, dass die Vorschriften zur Menge der Werbung und zu den Werbeunterbrechungen überflüssig sind, weil das der Markt regelt, bzw. die Zuschauer durch das An- bzw. Ausschalten oder Wegzappen. Dies ist ein Beispiel dafür, dass sich allein durch die Kräfte des Systems oder des Marktes manches von selber reguliert. Viel intensiver müsste man sich mit der Vermischung von Information und Werbung beschäftigen, also wenn es um Grauzonen geht. Hierfür müsste es eindeutige Regeln geben.

promedia: Viele möchten bei den neuen Medien auf Selbstregulierung setzen. Ist das Ihrer Meinung nach möglich?
Jürgen Brautmeier: Das ist kein Entweder-Oder, denn sicher ist vieles durch Selbstregulierung möglich. Ich habe in letzter Zeit Gespräche mit dem Presse- und Werberat geführt: Die Selbstregulierung funktioniert hier aus meiner Sicht sehr gut. Trotzdem muss es einen Rahmen geben, innerhalb dessen diese Selbstregulierung funktioniert. Im Kern heißt das: So viel Selbstregulierung wie möglich, aber so viel Regulierung wie nötig.

promedia: Wie muss der Gesetzgeber beim Medienkonzentrationsrecht aktiv werden?
Jürgen Brautmeier: Die jetzigen Bestimmungen haben auf die Fernsehwelt abgehoben, auf verwandte vergleichbare Märkte, wie es die KEK ja auch im Springer-ProSieben-Fall getan hat. Doch die Medienmärkte haben sich grundsätzlich verändert und deshalb geht es nicht mehr nur um verwandte Märkte wie Zeitungen und Ähnliches. Das Internet hat einen zunehmend größeren Einfluss auf die Meinungsbildung, mit den Blogs, Foren, Facebook, Twitter. Das heißt, allein aufgrund der technischen Entwicklung muss das Medienkonzentrationsrecht nachjustiert werden, weil die Gefahr einer vorherrschenden Meinungsmacht nicht mehr nur aufgrund einer starken Stellung von Unternehmen im Presse- und im Rundfunkbereich bewertet werden kann.

promedia: Wie groß sehen Sie den Regulierungsbedarf  bei dem Thema Netzneutralität?
Jürgen Brautmeier: Das ist ein langer Weg, bevor wir hier zu Regeln kommen werden. Das Thema wird zwar seit einiger Zeit stark diskutiert, aber die Vorstellungen sind noch weit voneinander entfernt. Die Frage ist, inwieweit man das dem Markt überlässt. Die apodiktische Behauptung, Netzneutralität habe immer und überall zu gelten, hat in der Diskussion an Stärke und Unterstützung verloren. Viele sind inzwischen der Auffassung, dass für manche Inhalte im Netz, wenn sie privilegiert sind, auch gewisse Entgelte und Regeln akzeptiert werden müssten. Also, wer Premiumdienste wie Filme und Ähnliches bevorzugt und in höchster Geschwindigkeit durch die Netze empfangen will, muss damit rechnen, dass er mehr dafür bezahlen muss. Es muss weiterhin einen Grundbestand an Möglichkeiten wie Zugangsoffenheit, Geschwindigkeit und Service-Qualität geben, aber in manchen Bereichen kann man durchaus differenzieren.

promedia: Mit LTE drängen auch breitbandige Angebote auf den Markt. Damit nimmt auch der Bedarf an solchen Angeboten zu und es werden neue Geschäftsmodelle zur Refinanzierung kommen. Also, viel Zeit haben wir nicht mehr…
Jürgen Brautmeier: Unsere deutsche Haltung „Bevor etwas richtig losgeht, stelle ich schon mal eine Regel auf“, kann eine Innovation auch behindern. Vielleicht finden wir einen Weg, sich Dinge entwickeln zu lassen und wenn wir es vernünftig beurteilen können, kommen wir zu Regeln. Also, es ist eine Frage des Zeitpunktes, wann wir solche Regeln aufstellen und wie sie dann aussehen. Ich habe nicht die Sorge, dass uns die Zeit wegläuft. Immer wieder wird behauptet, wir müssen es regeln, weil es eng wird im Netz. Aber wir wissen alle, dass sich die technischen Möglichkeiten verändern und dass es bisher im Netz noch nicht „eng“ geworden ist. Der eigentliche Engpass besteht darin, dass wir noch nicht alle Bürger mit einer heute als Mindestmaß angesehenen Breitbandkapazität von ein bis zwei MBit versorgen können, geschweige denn darüber hinaus. Bis wir das erreicht haben, haben wir auch Zeit, uns um Regeln zu kümmern, die für den Fall, dass es zu Engpässen oder Konflikten kommt, Lösungen bieten.

promedia: Die Frage der Anreize für den privaten Rundfunk, um die Sender zu stimulieren, Public Value bereit zu stellen, wird seit ca. zwei Jahren diskutiert. Halten Sie das für notwendig und sinnvoll?
Jürgen Brautmeier:
Anreize sind gut, wenn sie etwas befördern, was als freiwillige Leistung nicht erwartet werden kann. Rundfunk ist eine öffentliche Aufgabe und deswegen müssen wir auch gewisse Anforderungen stellen. Dieser Grundbestand an Anforderungen muss nicht auf die Anreizebene verlagert werden. Alles, was darüber hinausgeht, was durch die Grundregeln nicht automatisch angeboten wird, sollte mit Anreizen gefördert werden. Die Frage ist aber, ob uns das, was gegenwärtig diskutiert wird, wie Erleichterung bei der Werbung oder Auffindbarkeit auf Plattformen und Programmführern, weiterhilft. Da habe ich meine Bedenken, weil die, um die es geht, die großen Sender, auf Plattformen per se gut auffindbar sind. Bei den Werbebestimmungen kann ich mir das auch nicht vorstellen, weil die von mir kritisierten europäischen Grenzen bestehen. Deshalb müssen die Programmveranstalter uns erklären, was sie sich erhoffen – da laufen die Gespräche ja auch weiter.

promedia: Die Landesmedienanstalten haben sich ein neues Logo und einen neuen Namen gegeben: „Die Medienanstalten“. Ist das Streichen von „Landes“ schon die Vorbereitung auf eine Medienanstalt der Länder?
Jürgen Brautmeier: Nein, auf keinen Fall. Die Medienanstalten bleiben die Medienanstalten – es wird nicht die Medienanstalt geben, außer im jeweiligen Bundesland. Die Medienanstalten werden im Plural bleiben. Und so wie wir das organisiert haben und auch weiter umsetzen bis 2013, sind wir auf einem sehr guten Weg, dass die Servicezentrale Berlin die Koordinierung, das Organisieren unserer Zusammenarbeit übernimmt, aber für die Gemeinschaft der Medienanstalten. Das Streichen des „Landes“ hat für mich auch einen ganz profanen Grund: Unser deutsches Wort „Landesmedienanstalten“ wurde in „State Media-“ oder „State Regulartory Authorities“ übersetzt. Im Englischen hat „State“ auch die Doppelbedeutung, dass es staatlich ist, und wir legen großen Wert darauf, dass wir nicht staatlich, sondern staatsfern sind.

promedia: Sehen Sie inzwischen in der „Servicezentrale Berlin“ einen Vorteil oder sagen Sie sich, dass Sie es nicht mehr ändern können und damit leben müssen?
Jürgen Brautmeier: Weder noch. Ich habe immer gesagt, dass das, was zu vergemeinschaften ist, vergemeinschaftet werden muss. Wenn wir bundes- oder europaweite Veranstalter haben – sei es im Rundfunkbereich oder seien es weltweit operierende Anbieter im Netz – kann man das nicht für ein einzelnes Bundesland regulieren. Aber die Einrichtung in Berlin ist keine Einrichtung, die die Arbeit der Medienanstalten in ihren Ländern überflüssig macht, sondern sie arbeitet für die Medienanstalten der Länder, sie organisiert deren Arbeit und vergemeinschaftet sie. Sie bietet eine Anlaufstelle, aber sie ist kein Ersatz für die Arbeit, die wir bisher in den Ländern gemacht haben. Alle Medienanstalten legen Wert darauf, dass die inhaltliche Arbeit grundsätzlich weiter in den Landesmedienanstalten geleistet wird. Aber die Organisation, das Zusammenfügen – dazu haben wir uns verpflichtet – soll in der Zentrale passieren. Dass diese jetzt in Berlin ihren Sitz hat, war ein Abstimmungsprozess. Ich hätte mir auch einen anderen Ort vorstellen können.

Dr. Jürgen Brautmeier, Direktor der LFM in NRW

Weitere Informationen: promedia

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