Der kleinste gemeinsame Nenner ist ein Zugang zum Netz. Markus Beckedahl, Vorsitzender des Vereins “Digitale Gesellschaft”, im Gespräch mit promedia

Verein „Digitale Gesellschaft“ spricht sich für eine „kluge“ Internetregulierung aus

Die Gründung eines Lobby-Organisation der Internetblogger im April stieß auf ein breites Interesse der Medien und im Internet auf eine kontroverse Debatte, über den Sinn und die Struktur eines solchen Vereins. Die Proklamation des Vereins erfolgte zeitgleich mit der Gründung der „Content Allianz. “Die heutige Netzpolitik ist schlecht, sie orientiert sich nicht an den Interessen der Nutzer und schadet oft mehr als sie nützt”, so Markus Beckedahl, Gründer von netzpolitik.org und Vorsitzender des neuen Vereins “Digitale Gesellschaft” Die “Digitale Gesellschaft” will Druck auf die politischen Akteure ausüben”, erklärte Markus Beckedahl. Schwerpunkte des Vereins seien die Aufklärung über geplante politische Vorhaben und das Eintreten für digitale Bürgerrechte. “ Dabei stehe nicht nur die deutsche Politik im Visier der Internetaktivisten. Gerade die Europäische Union verabschiede immer wieder Gesetze, die alle Internetnutzer betreffen.

Markus Beckedahl
Markus Beckedahl

promedia: Herr Beckedahl, Die Gründung der „Digitalen Gesellschaft“ hat ein zwiespältiges Echo ausgelöst von „hervorragend“ bis „überflüssig“. Womit begründen Sie die Notwendigkeit?
Markus Beckedahl:
Unsere Grund- und Verbraucherrechte werden in der digitalen Welt immer weiter abgebaut. Ein Grund dafür ist, dass es viele einflußreiche Lobbys gibt, aber Internetnutzer noch keine starke Interessenvertretung aufgebaut haben. Hier will der Verein “Digitale Gesellschaft” helfen, zusammen mit vielen anderen die Interessen von Internetnutzern in die politische und gesellschaftliche Debatte zu kommunizieren und mit einer visuell und kommunikativ anderen Ansprache auch mal nicht-internetaffine Kreise für digitale Bürgerrechte interessieren und begeistern.promedia: Wozu eine „Digitale Gesellschaft“ in einer digitalen Gesellschaft?
Markus Beckedahl:
Wir haben uns bewusst für den Namen “Digitale Gesellschaft” entschieden, weil wir seit Jahren im Besitz der Domain waren, den Begriff im deutschsprachigen Raum mitgeprägt haben und ihn einprägsam fanden, um z.B. unseren Eltern schon im Namen erklären zu können, was unser Thema ist und wofür wir uns einsetzen. Wir wollen eine lebenswerte und offene digitale Gesellschaft in Zeiten mitgestalten, wo Freiheiten immer weiter abgebaut werden.

promedia: Wer ist die „Digitale Gesellschaft“?
Markus Beckedahl:
Ein Verein, dessen Mitglieder schon seit Jahren mit Netzpolitik in Berührung sind und viele Freiwillige, die mitmachen möchten. Wir sind von Mitmachwünschen nach der re:publica erst einmal überrannt worden. Geplant ist, Strukturen und Prozesse aufzubauen, um später mittels Crowdsourcing offene Partizipationsmöglichkeiten zu bieten und viel mehr  Menschen in Kampagnen für eine lebenswerte digitale Umwelt und eine  bessere Interessenvertretung für Nutzerrechte einzubinden.

promedia: Es wird heute immer von der „Netzgemeinde“ gesprochen. Wie homogen ist diese Gemeinde? Welches ist der kleinste gemeinsame  Nenner?
Markus Beckedahl:
Die Netzgemeinde ist vergleichbar homogen zur Fernsehgemeinde. Der kleinste gemeinsame Nenner ist ein Zugang zum Netz. In der politischen Debatte sind mit diesem Begriff vermutlich weitgehend Menschen gemeint, die eines eint: Das Erkennen von Chancen in den digitalen Medien, die der Gesellschaft zur Verfügung stehen, und das Einsetzen für Freiheits- und Bürgerrechte statt mehr Überwachung und Kontrolle.

promedia: In Ihrer jüngsten Rede hat die Bundesjustizministerin gesagt: „Selbstregulierung an Stelle des staatlichen Eingriffs ist potentiell der beste Weg um die bestehende Regelungslücke zu füllen.“  Bei  welchem Thema wäre eine Selbstregulierung sinnvoll und möglich?
Markus Beckedahl:
Eine alleinstehende Selbstregulierung kann immer nur “on-top” sein, also beispielsweise für deutlich über den gesetzgeberischen Stand hinausgehende Bereiche Anwendung finden. Das kann für Best-Practice und Qualitätssiegel sinnvoll sein. Selbstregulierung hat aber immer das Problem der Sanktionierung: was passiert, wenn ein Schaf plötzlich den Wolfspelz überstülpt? Eine koregulierte Selbstregulierung könnte hier weiterhelfen – nur ist das für viele in der Wirtschaft so unattraktiv, dass sie sagen, dass man dann doch gleich alles per Gesetz regeln solle.

promedia: Kommen Sie mit der Gründung der Gesellschaft nicht automatisch in die Rolle eines Internetverstehers und Interneterklärers? Ist das Ihr Ziel?
Markus Beckedahl:
In dieser Rolle sind viele von uns – ob sie es wollen, oder nicht – schon seit vielen Jahren. Wenn wir etwas erklären müssen, werden wir das tun. Uns kommt es darauf an, dass unsere Argumente klar und verständlich sind.

promedia: Wie will sich die „Digitale Gesellschaft“ in den Diskurs über das Internet einmischen?
Markus Beckedahl:
Wir wollen den bestehenden netzpolitischen Initiativen eine Kampagnenplattform bieten. Damit wollen wir auch Kampagnen durchführen, die auch Menschen erreichen, die noch nicht ständig online sind. Dazu braucht es eine andere visuelle und kommunikative Ansprache, als es in der Vergangenheit versucht wurde. Und wir wollen eine Interessenvertretung aufbauen und uns mit Stellungnahmen und Pressearbeit in die Debatten einmischen und dort Nutzerinteressen vertreten.

promedia: Gegenwärtig umfasst die Debatte über das Internet eine sehr große Bandbreite. Über welche Themen müsste gegenwärtig vor allem diskutiert werden?
Markus Beckedahl:
Die wichtigsten aktuellen Themen sind sicherlich der Erhalt der Netzneutralität und damit der Erhalt eines offenen und innovationsfreundlichen Netzes; ein anderes Urheberrecht, das an die gesellschaftliche Realitäten angepasst wird und u.a. ein Recht auf Remix analog zu den Fair-Use-Regeln im anglo-amerikanischen Copyright als Weiterentwicklung der digitalen Privatkopier geschaffen wird; ein Abbau von Überwachungsmaßnahmen und die Rückgewinnung von Grundrechten im digitalen Raum, sowie mehr Transparenz und Partizipationsmöglichkeiten durch Opendata und die maschinenlesbare Regierung.

promedia: Wie ist Ihre Meinung zu:Netzneutralität?
Markus Beckedahl:
Netzneutralität ist die unverhandelbare Grundlage für ein funktionierendes Netz im Sinne aller. Für den Rest haben wir schon Fernsehen.

  • Internetpiraterie?
    Ein Phänomen der Transition in ein neues Zeitalter, in dem “geistiges Eigentum” anders verstanden werden wird und in dem Firmen ihre Kunden nicht als Feinde betrachten.
  • Faire Vergütung kreativer Leistungen im Netz?
    Wer kreativ ist, soll für seine Werke auch entlohnt werden. Hier gibt es interessante Ansätze, über die sich mehr nachzudenken lohnt als über die immer gleichen Forderungen nach Nutzerverfolgung, Schutzfristenverlängerungen und Enteignung der Nutzer.
  • Internetregulierung
    Wir sprechen uns nicht explizit gegen eine Regulierung des Internets aus, wenn sie klug und weitsichtig ist. Der Erhalt von Netzneutralität ist beispielsweise eine notwendige Regulierung, die Schaffung von Netzzensurinfrastrukturen lehnen wir wiederum ab.
  • Datenspeicherung
    Eine Vorratsdatenspeicherung stellt die gesamte Bevölkerung unter Verdacht. Es ist auch zu bezweifeln, dass sie tatsächlich einen Nutzen erbringt, die bisherigen Evaluierungen sprechen nicht gerade für einen Erfolg, der diesen Grundrechtseingriff legitimiert. Der Staat will ja auch nicht in der analogen Welt speichern, wer gerade mit wem und wo beim Kaffeekränzchen sitzt.

promedia: In der Erklärung der Content Allianz heißt es, dass die herausragende Bedeutung medialer Inhalte in der Politik und Gesetzgebung wieder einen stärkeren Niederschlag finden müsse und sich der Wert medialer Inhalte auch in der Netzpolitik wiederfinden müsse. Unterstützen Sie diese Position?
Markus Beckedahl:
Ja, aber nicht die Ergebnisse, die die Content Allianz in dieser Debatte anstreben würde. Ich denke, dass die Debatte mit einem Ergebnis geführt werden wird, das die Content Allianz früher oder später als historisches Phänomen erscheinen lassen wird.

promedia: Zwischen der Gründung der „Digitalen Gesellschaft“ und der Content Allianz wurde bisher vor allem ein Gegensatz und ein Kampf gesehen. Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten und wo das Trennende?
Markus Beckedahl:
Es sind die gleichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die die Wörter “Chancen” und “Risiken” verbinden und trennen. Vielleicht gibt es noch Überschneidungen bei dem Erhalt der Netzneutralität, der blumig im Papier der Content Allianz beschrieben ist. aber hier steckt der Teufel wahrscheinlich im Detail.

Markus Beckedahl, Gründer von netzpolitik.org und Vorsitzender des Vereins “Digitale Gesellschaft”

Weitere Informationen: promedia

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