„Das Internet „explodiert“ aus dem Computer in die reale Welt“, Nils Müller, Geschäftsführer Trendone

Interview mit Nils Müller, Geschäftsführer von Trendone, promedia 4/2010

Nie zuvor waren die Menschen so vernetzt wie heute. Doch es bahnt sich bereits eine neue technologische Umwälzung an, die unser Verhältnis zueinander und zu den uns umgebenden Objekten tiefgreifend und nachhaltig verändern kann: das Outernet. So wie das Festnetztelefon immer mehr durch das Handy ersetzt wird, wird das Internet durch das Outernet abgelöst. Gleich einer zusätzlichen Schicht legt es sich über unsere reale Umwelt und hebt die Trennung von Off- und Online-Welt konsequent auf. Damit sind wir zeitgleich online und onlife. Schon bald könnten intelligente Alltagsgegenstände in Kombination mit einer neuen Generation mobiler Endgeräte unsere Stimmung und unseren jeweiligen Aufenthaltsort erkennen, in Sekundenschnelle maßgeschneiderte und relevante Informationen liefern und unsere Wahrnehmung erweitern. Zu den Propheten dieser neuen Zeit gehört Nils Müller, Trendforscher und Geschäftsführer von Trendone

Nils Müller
Nils Müller, Geschäftsführer von Trendone

promedia: Herr Müller, Information, Kommunikation und Entertainment werden immer mobiler. Wann werden entsprechende Geräte unser Leben dominieren?
Nils Müller: Ist es nicht schon so? Die Penetration mit Mobiltelefonen liegt in Deutschland bei 130 Prozent und wir sind gegenwärtig auf dem besten Weg, dass jeder Nutzer über eine mobile Flatrate verfügt und mobiles Internet sowie zunehmend „mobile payment“ nutzen kann. Das mobile Endgerät wird zunehmend zum Zugangs- und Steuerungsgerät für die reale Welt: Wir können mit dem mobilen Endgerät zum Beispiel unsere technischen Geräte in unserer Wohnung steuern und verschiedene Funktionen programmieren. Das Handy wird zur Fernbedienung für die Welt.

promedia: Sie sprechen von „Web 4.0“ und „Outernet“, Während viele sich noch mit dem Web 2.0 abmühen. Wo ist der Unterschied?
Nils Müller: Web 1.0 war ein Lean-back-Medium, aus dem man sich Informationen herausgezogen hat. Web 2.0 brachte die Möglichkeit sich einzubringen, zu interagieren: eigene Wikis, Podcasts, soziale Netzwerke und User-generated Content allgemein. Wir nennen das „move foreward“. Web 3.0 ist nun das „jump in“, das Eintauchen in die virtuelle Welt. Das Web 3.0 wird sehr wesentlich von Gaming beeinflusst und gefördert. Man muss sich vor Augen führen, dass die Gaming-Industrie weltweit heute bereits größer ist als die Filmindustrie. Das Web 3.0 hat den 1.0-lean-back-Modus der Filmindustrie heute schon überholt. Zu Web 3.0 gehört aber auch die intelligente Informationsverarbeitung, die immer als „Semantic Web“ bezeichnet wird: Künstliche Intelligenz, intelligente Suchmaschinen, „Smart Targeting“ in der Werbung und ähnliche Ansätze befinden sich noch in der Entwicklung. Im Web 4.0 wird durch die mobilen Endgeräte, die immer auf Empfang und auch auf Sendung sind, der Cyberspace von den Fesseln des heimischen Computerbildschirms befreit und damit kreativ und flexibel. Das Internet „explodiert“ aus dem Computer in die reale Welt und wird so zum „Outernet“.

promedia: Gaming, ist vor allem Entertainment. Wo findet die moderne, intelligente Information und Kommunikation statt?
Nils Müller: Gaming hat heute sehr viel mit Kommunikation in virtuellen Umgebungen zu tun, weil sich die Spieler in ihren Spielen verabreden und treffen. Sie sind über den „jump in“-Modus miteinander verbunden und bauen sich bereits heute parallel zur Realität eine virtuelle Welt auf. Das ist nicht nur im Consumer-Bereich so, auch im Business-Bereich gibt es etwa den „Virtual Workplace“ in dem man sich im virtuellen Raum verabredet, weil man nicht immer und überall hinreisen kann.

promedia: Wo liegt die Schnittstelle zwischen realer und virtueller Welt?
Nils Müller: In der „Augmented Reality“, die eine Komponente des Outernets ist. Man schaltet eine virtuelle Schicht über die reale Welt. Eine erste Stufe sind bestimmte Applikationen auf dem Mobiltelefon. Ganz konkret gibt es etwa eine Applikation, die Wikipedia aus dem Internet auf das Mobiltelefon holt: „Wikitude“ nutzt die Fähigkeit Mobiltelefons die Position und Richtung des Nutzers zu bestimmen. Wenn er die Kamera seines Smartphones etwa auf das Brandenburger Tor hält, blendet es den passenden Wikipedia-Artikel dazu über das Kamerabild auf dem Telefon. Hier sieht man ganz bildlich, wie eine Schicht der virtuellen Welt über die reale gelegt wird. Ähnliches haben wir in Hamburg mit Immobilien erprobt, wobei Miet- und Kaufinformationen eingeblendet werden. Ähnliches ist auch mit Restaurants, Geschäften oder Hotels denkbar. Brillen mit Projektionen und halbtransparenten Displays bieten einen anderen Zugang zur „Augmented Reality“. So können Techniker in Autowerkstätten in den Motorraum schauen und sehen wichtige Informationen eingeblendet. Real und Virtuell werden in Zukunft in einer solchen „Mixed Reality“ zu einer hybriden Abbildung verschmelzen.

promedia: Führt uns das Outernet nicht zum total gläsernen Menschen?
Nils Müller: Das Outernet bringt zunächst das Prinzip der Hyperlinks in die reale Welt, indem es Objekte wie das Brandenburger Tor etwa per Foto über Google Goggles mit dem Netz verbindet. Das ist sicherlich weniger erschreckend. Auf gleiche Weise kann allerdings auch jedes Gesicht über Gesichtserkennung zum Hyperlink werden. „TAT“ aus Schweden bietet eine Echtzeit-Gesichtserkennung, die einen Abgleich mit allen sozialen Netzwerken vornimmt und etwaige Ergebnisse sofort einblendet. Da verstehe ich schon, dass das einige beunruhigt. Doch letztendlich entscheidet jeder selbst, welche privaten Informationen und Fotos sich im Netz befinden. Ich glaube aber auch, dass diese Entwicklung junge Leute eher fasziniert, deren leben viel öffentlicher abläuft als das der älteren Generation.

promedia: Und wenn aber viele Menschen sich nicht ständig gescant und erkannt werden möchten?
Nils Müller: Das wird schwierig. Medienpolitiker und andere werden sicherlich gegen solche Software Sturm laufen. Letztendlich ist aber die Gesichtserkennungssoftware frei zugänglich, so dass es jeder in seine Programme einbauen kann. Wenn die Hersteller von Mobiltelefonen es nicht selbst einbauen, wird es auf jeden Fall eine Applikation geben, die es leistet. Keiner kann kontrollieren, wer dann über diese Funktion verfügt. Der „App-Store“ von Apple ist relativ restriktiv, aber bei „Google Android“ ist man schon komplett frei, welche Applikationen man installiert. Im Übrigen gibt es Gesichtserkennungstools bereits im Internet, etwa auf Partnerbörsen, wo man sich ähnliche Gesichter zu einem Gesicht anzeigen lassen kann, oder dieselbe Person in anderen sozialen Netzwerken oder auf Youtube gezeigt wird.

promedia: Die Vertriebsplattformen nehmen bereits heute immer mehr eine Schlüsselstellung für neue Geschäftsmodelle ein. Welche Rolle werden sie in Zukunft spielen?
Nils Müller: Es geht immer darum, wer den Zugang zum Kunden kontrolliert. Apple hat mit dem „App-Store“ ein Modell geliefert, dass gegenwärtig alle großen Mobilfunkanbieter zu kopieren suchen. Die Inhalteerzeuger wie etwa die Verleger verfügen in der digitalen Welt gerade nicht mehr über den Zugang zum Kunden, weshalb sie Probleme haben: Sie sind abhängig davon, was ihnen die Gatekeeper zum Kunden diktieren.

promedia: Wird das den Abstieg der klassischen Medien beschleunigen?
Nils Müller: Früher bestand die Aufgabe eines Buchverlages darin eine gute Produktion mit einem guten Autoren herzustellen und dann eine hervorragende Distribution umzusetzen, damit die Produkte in die richtigen Bücherregale kamen. Die Distributionskomponente fällt heute mehr und mehr weg und wird zu einer Moderationskomponente. Deshalb dürfen die Verleger auch nicht glauben, dass sie jetzt bei der Distribution sparen können, sondern müssen diese Mittel in Richtung Moderation umwidmen. Das bedeutet, dass man etwa Teile eines neuen Buches im Web 2.0 zugänglich macht und diskutieren lässt, oder dass sie sich über digitale Vertriebsplattformen Gedanken machen.

promedia: Müssen sie sich auch eigene digitale Distributionswege schaffen, so wie Verlage früher eigene Druckereien und Vertriebe aufgebaut haben?
Nils Müller: Bestimmt. Sie müssen über eigene digitale Vertriebskanäle verfügen, aber auch über strategisch intelligente Partnerschaften. Es wird vor allem darum gehen, den Kunden auf allen Kanälen und über verschiedene Partner erreichen zu können.

promedia: Davon reden die klassischen Medien seit Jahren. Plattformen kaufen heute aber eigene Inhalte oder diktieren, wie Apple, die Preise. Haben die klassischen Medien da eine Chance?
Nils Müller: Ja, wenn sie ganz stark auf Qualität setzen. „Die Zeit“ etwa wächst im Printbereich und hatte 2009 ihr erfolgreichstes Jahr. Zudem haben sie gerade den Copy-Preis um 20 Cent erhöht. Sie wachsen, weil Qualität, je mehr Trash- und User-generated Content es im Web 2.0 gibt, desto wichtiger wird. Ein Printmedium ist ein Ankerpunkt für verlässliche, wichtige Information, der dem Menschen Sicherheit gibt. In einer Informationswelt des Überflusses ist Orientierung zentral und Printmedien haben den Vorteil eines „Findemediums“ gegenüber dem „Suchmedium“ Internet. Das ist die eine Rettung für den Journalismus. Stark mit Qualität einher geht das Thema „Premium“, was freilich einen erheblichen Druck darstellt mit hochwertigen Bildern, Formaten usw. zu arbeiten. Wenn etwa im Wirtschaftsteil der „Zeit“ komplexe Verhältnisse mit großen Schaubildern und guten Texten beleuchtet werden, kann das so auf keinem Bildschirm eines Mobiltelefons dargestellt werden. Intelligente Formate und Veredelungstechnologie sind hier ein Schlüssel, der wiederum zum Schlüsseltrend „Print Plus“ führt. Diese Perspektive aus der Print-Industrie heraus versucht die Punkte zu erfassen, die die Print-Industrie in Zukunft ausspielen kann. Eines davon ist der große Bereich der „Printed Electronics“, etwa die Einbindung von Video-Displays in Printobjekte. Heute kann man Bildschirme, Batterien, Lautsprecher und WLAN-Empfänger in Hefte „drucken“ und damit zum Beispiel eine Zeitung schaffen, die nicht mehr die Börsennachrichten von gestern enthält sondern aus dem Netz Updates der Nachrichten zieht, oder einen „Playboy“ mit Bewegtbild. Damit könnte es gelingen Print zu Premium zu machen.

promedia: Wie werden sich soziale Netzwerke, die für die Werbewirtschaft von zunehmender Bedeutung sind, unter dem Aspekt von Web 4.0 und Outernet entwickeln?
Nils Müller: Wir sehen heute, dass sich die Kids viel vor dem Computer in virtuellen Welten und in Chatrooms treffen. Mit dem Outernet und dem Übergang vom Heimcomputer zum mobilen Endgerät, kehren die sozialen Netzwerke in die reale Welt zurück. Wenn man sich dann zum Beispiel auf Kongressen befindet, kann man sehen, welche Business-Kontakte sich auch dort befinden. Außerdem weiß man, welche Menschen mit gleichen Interessen gerade in meiner Nähe sind. Damit verändern sich auch Business-Kontakte grundlegend und beim Networking wird wieder die reale mit der virtuellen Welt verknüpft.

promedia: Von welchen Zeitdimensionen müssen wir bei diesem Prozess ausgehen?
Nils Müller: Man muss hier unterscheiden, wann diese Dinge in der Gesellschaft sichtbar werden und wann sie zum Massenmarkt werden, also mehr als 40 Prozent der Gesellschaft erfassen. Heute existieren in Deutschland etwa 6 Millionen Smartphones. Die aktuellen Schätzungen sind, dass jedes dritte neue Mobiltelefon in diesem Jahr ein Smartphone sein wird. Zudem wächst der Umsatz mit mobilen Datendiensten in Deutschland im Jahr 2010 – nach einer BITKOM-Prognose – auf 5,7 Milliarden Euro. Weil genau diese Leute zudem noch sehr experimentierfreudig sind und ständig neue Apps ausprobieren, sind wir hier schon sehr nah am Outernet. Ich rechne deshalb damit, dass wir in den nächsten zwei Jahren das Thema „Web 4.0 / Outernet“ sehr stark spüren werden. Danach wird über „Web 5.0“ zu reden sein, wenn die digitale Welt nicht nur in die reale Welt zurückkehrt, sondern auch in den Menschen. Hier sind wir bei „Life Science“ und beispielsweise implantierten Hör- oder Sehhilfen.

Über Nils Müller

  • Studium der Wirtschafts- und Medienwissenschaften
  • Strategische Marktbeobachtung und Entwicklung technologiebasierter Analysetools für Informationsportale beim IBM Innovation Center in Hamburg
  • 2002 Gründung der Prodiction Company, die sich auf die Trendforschungsmarke TrendONE für Micro-Trends spezialisierte, während seines Postgraduierten-MBA-Programms in Berlin, New York und Mailand

Weitere Informationen: promedia

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