Telemedien sind der dritte Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrags geworden

Interview mit Prof. Dr. Dieter Dörr, Direktor des Mainzer Medieninstituts, von Helmut Hartung / Promedia Ausgabe 08/2009

Der neue Rundfunkstaatsvertrag erlaubt nach Auffassung des Medienrechtlers Prof. Dr. Dieter Dörr nur „ausnahmsweise“ eine Verlängerung der Verweildauer für den Abruf öffentlich-rechtlicher Sendungen im Internet. Für eine Verlängerung durch den Drei-Stufen-Test, die über den Normalwer t von sieben Tagen hinausgehe, müssten die Gremien von ARD und ZDF eine „besondere Begründung“ liefern, stellt Dörr in einem Gutachten des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) fest. Der VPRT hat Dieter Dörr, Direktor des Mainzer Medieninstituts, beauftragt, die verfahrensmäßige Ausgestaltung des Drei-Stufen-Tests vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelungen ergebnisoffen zu untersuchen und darzustellen. Dabei sollte das Gutachten unter anderem die Transparenz der Verfahren, die Einbeziehung Dritter sowie die rechtlichen Anforderungen an eine Verlängerung der so genannten Verweildauer, für das zeitliche Auswertungsfenster der Online-Inhalte, untersuchen.

Prof. Dr. Dieter Dörr
Prof. Dr. Dieter Dörr

promedia: Herr Dörr, warum wird so heftig über die Formen und den Ablauf des Drei-Stufen-Tests debattiert?

Dr. Dieter Dörr: Mit dem Drei-Stufen-Test muss sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Bereich der Online-Angebote stets selbst klarmachen, ob das jeweilige Angebot zu seinem Auftrag gehört und einen publizistischen Mehrwert mit sich bringt. Man muss also wesentlich stärker als vorher über den eigenen Programmauftrag nachdenken, was ich für eine überaus vorteilhafte Wirkung dieses neuen Drei-Stufen-Tests halte. Zum anderen verändert der Test die Entscheidungsstrukturen innerhalb des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, weil die Rundfunk- und Fernsehräte wichtige eigene Kompetenzen erhalten. Sie haben im Drei-Stufen-Test darüber zu befinden, ob die Kriterien, die das Gesetz vorgibt, durch das neue Angebot eingehalten werden oder nicht. Die Kompetenzen werden damit teilweise von den Intendanten und der Leitung der Anstalt auf die Gremien verlagert.

promedia: Werden die Rundfunkräte zu strategischen Instanzen?

Dr. Dieter Dörr: Der Rundfunkrat wird zu einer Entscheidungsinstanz, denn die Planung liegt auch weiterhin beim Intendanten:  Er bestimmt mit seiner Vorlage an den Rundfunkrat, was die Anstalt im Bereich der Online-Angebote anbieten möchte. Die Rundfunkräte bzw. der Fernsehrat beim ZDF haben über dieses Vorhaben zu befinden und dürfen nicht ein anderes Vorhaben an die Stelle setzen. Aber sie müssen entscheiden, außerdem können sie Änderungen anregen.

promedia: Vor allem das Verweildauerkonzept spielt eine zentrale Rolle. Welche Angebote dürfen länger als sieben Tage ins Netz? Bei den Intendanten klingt es so, als wäre es kaum ein Problem, Angebote länger im Netz zu belassen…

Dr. Dieter Dörr: Für bestimmte Angebote sagt bereits das Gesetz, dass sie vom öffentlichrechtlichen Rundfunk ohne Drei-Stufen-Test angeboten werden dürfen, etwa sendungsbegleitende Angebote oder Abrufsendungen für die Dauer von sieben Tagen. Richtig ist, dass diese Verweildauer, die das Gesetz als Regelfall vorsieht, verlängert werden darf, wenn man einen Drei-Stufen-Test durchführt. Ich bin aber nicht der Meinung, dass eine Verlängerung ohne Weiteres in Betracht kommt, sondern das Gesetz gibt für diese Angebote sieben Tage als Regelzeitdauer vor. Davon darf man allenfalls ausnahmsweise abweichen, man muss also sehr genau belegen, warum eine längere Verweildauer aus publizistischen Gründen notwendig ist. Dies war meines Erachtens auch als ein Regel-Ausnahme-Verhältnis von den Ländern gedacht, denn es gab erbitterte Debatten über die gesetzlichen Fristen. Nun kann man kaum mit guten Gründen das Gesetz so auslegen, dass die vorgesehenen Fristen nicht nur ausnahmsweise, sondern regelmäßig verlängert werden dürfen.

promedia: Betrifft das auch Sportangebote?

Dr. Dieter Dörr: Sportangebote auf Abruf dürfen nur 24 Stunden bereitgestellt werden, soweit es um Erste und 2. Bundesliga sowie sogenannte „Großereignisse“, die in einer separaten Liste im RStV aufgeführt sind, geht. Hierfür dürfen die Fristen überhaupt nicht verlängert werden, hier ist die 24-Stunden-Frist eine absolute Regel. Verlängerungen kommt nur für Sendungen in Frage, die diese Ausnahmen nicht umfassen.

promedia: Also die Langzeitbilanz eines regionalen Fußballvereins zum Beispiel..

Dr. Dieter Dörr: Solche Angebote könnten verlängert werden. Man fürchtete bei den von einer Verlängerung ausgenommenen Angeboten vermutlich zu hohe Kosten, denn hierbei geht es auch um den Rechteerwerb. Der öffentlichrechtliche Rundfunk, muss das, was er als Auftrag übertragen erhält, auch finanzieren können.

promedia: Muss bei Angeboten, die mit Hilfe des Drei-Stufen-Tests länger im Netz bleiben sollen, der Sendungsbezug noch vorhanden sein?

Dr. Dieter Dörr: Nein, gerade nicht. Man muss zwischen sendungsbezogenen und nichtsendungsbezogenen Angeboten unterscheiden, wobei für letztere keine im Gesetz als Regelfall vorgesehenen Fristen existieren. Hier muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk wie bei allen Angeboten ein Verweildauerkonzept aufstellen und sich überlegen, was er wie lange bereitstellen will. Es geht aber nur zeitlich befristet, wobei es wiederum nur eine Ausnahme gibt: Die  “Archive“ sind zeitlich unbefristet.

promedia: Muss es für diese Angebote auch in nicht der Vergangenheit eine TV-Sendung gegeben haben?

Dr. Dieter Dörr: Nicht-sendungsbezogene Telemedien sind prinzipiell möglich, aber immer nur in den Begrenzungen, die der RStV insgesamt vorsieht. Es muss also ein journalistisch-redaktionelles Angebot sein, es darf unter keine der Verbotstatbestände fallen, es darf kein lokal-flächendeckendes Angebot sein, es darf keine Werbung enthalten usw.
Es gibt also eine ganze Reihe von Einschränkungen, obwohl kein Sendungsbezug vorliegen muss. Insoweit ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch diese Gesetzgebung in seinem Auftrag sogar deutlich gestärkt worden, weil die Telemedien neben die Hörfunk und Fernsehsendungen gerückt und ein dritter Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrags geworden sind. Deshalb müssen sich Online-Angebote auch nicht mehr auf eine Sendung beziehen.

promedia: Besteht nicht darin die Gefahr, dass doch wieder „presseähnliche“ Angebote hervorgebracht
werden?

Dr. Dieter Dörr: Hier gibt es eine ausdrückliche Bestimmung, nach der sogenannte „presseähnliche“ Angebote verboten sind. Der RStV versucht „presseähnlich“ auch in einer eigenen Begriffsbestimmung zu definieren. Dort heißt es, dass presseähnliche Angebote nicht nur elektronische Ausgaben von Printmedien sind, sondern alle journalistisch-redaktionellen Angebote, die nach Gestaltung und Inhalt Zeitungen und Zeitschriften entsprechen. Ein wichtiges Kriterium ist dabei der Einsatz von Bewegtbild, weil man letztlich nur auf die Gestaltung abstellen kann. Bei Inhalten kann man Presse, Fernsehen und Online-Angebote überhaupt nicht unterscheiden, weil die Inhalte von Information über Sport und Unterhaltung bis zu Bildung alle Bereiche abdecken. Für die Presse ist aber typisch, dass die Gestaltung unbewegt ist, mit einer Trennung von Kommentar und Nachricht, während für Fernsehen das bewegte Bild typisch ist. Ich gebe aber zu, dass auch diese Definition nicht unbedingt weiterhilft, vor allem nicht der Presse. Wir beobachten, dass die in diesem Sinn zu erfassenden presseähnlichen Angebote im Internet immer weniger werden, weil immer mehr auf das bewegte Bild gesetzt wird. Die Verleger bewegen sich mit ihren Internet-Angeboten von den presseähnlichen Angeboten selbst weg, weil das Bewegtbild eine typischere Präsentationsform des Internets wird.

promedia: Reicht bei einer Verlängerung über die sieben Tage hinaus die Begründung des Intendanten, oder muss der Rundfunkrat seinerseits eine Begründung abgeben?

Dr. Dieter Dörr: Der Rundfunkrat muss immer die Entscheidung im Drei-Stufen-Test selbst begründen. Er kann sich dabei aber durchaus Vorträge von verschiedenen Seiten zueigen machen, da er für bestimmte Fragen sogar Gutachten einzuholen hat – für marktliche Auswirkungen – bzw. einholen darf, so etwa für publizistische Auswirkungen. Er muss sich aber mit allen zu berücksichtigenden Aspekten auseinandersetzen und eine eigene begründete Entscheidung fällen. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil die Entscheidung nicht nur der Prüfung der Rechtsaufsicht unterliegt, sondern auch einer gerichtlichen Kontrolle, wenn ein Konkurrent Rechtschutz in Anspruch nimmt.

promedia: Unter welchen Umständen dürfen Beiträge in Archive eingestellt werden?

Dr. Dieter Dörr: Es kommt immer darauf an, dass ein Archiv im Sinn des §11d (2) 4 vorliegt. Dabei geht es um zeit- und kulturgeschichtliche Inhalte, dann ist eine dauerhafte Einstellung erlaubt. Es muss aber in einem Telemedienkonzept beschrieben sein und muss ebenfalls den Drei-Stufen-Test durchlaufen. Der Rundfunk- bzw. Fernsehrat muss prüfen, ob ein Archiv im Sinn der Bestimmung vorliegt.

promedia: Worunter fallen z.B.Wissenschaftsbeiträge?

Dr. Dieter Dörr: Die können durchaus ein Beitrag im Sinn der Zeitgeschichte darstellen. Wie bei anderen Begriffen, liegt hier auch ein auslegungsfähiger Begriff vor, so dass die Rundfunkräte sich sehr intensiv damit auseinandersetzen müssen. Auf der anderen Seite muss man den Rundfunkräten einen Beurteilungsspielraum beimessen, solang diese Begriffe auslegungsfähig sind, weil diese Gremien pluralistisch zusammengesetzt sind und sich aus dieser Vielfalt ein eigenes Urteil bilden können. Gerade der Begriff der kulturgeschichtlichen Inhalte lässt einiges zu.

promedia: Wie verhält sich die Möglichkeit dieser Archivierung zur Ausnahmestellung der Verlängerungen?

Dr. Dieter Dörr: Die Einstellung in Archive ist gegenüber der Sieben-Tage-Regelung eine klare Ausnahme, nur ist sie im Gesetz bereits angelegt. Der Gesetzgeber sagt, dass bei Archiven die unbefristete Aufbewahrung zulässig ist. Insoweit muss der Rundfunkrat dann nicht besonders begründen, warum das Archiv unbefristet aufbewahrt wird. Hinter dem Willen des Gesetzgebers steht der Gedanke, der auch sonst sehr stark bei der Bewahrung der Kultur gilt, etwa bei den Pflichtexemplaren aller gedruckten Werke: Man will die Produkte des geistigen Schaffens für die Nachwelt erhalten und gleiches gilt auch für die Zeitgeschichte. Deshalb lässt man die unbefristete Aufbewahrung nicht nur zu, sondern man befürwortet sie ausdrücklich.

promedia: Sie haben in Ihrem Gutachten die 2. Stufe des Tests als „Herzstück“ bezeichnet. Warum?

Dr. Dieter Dörr: Weil auf der 2. Stufe die eigentliche Abwägung stattfindet. Zuerst ist zu prüfen, ob das Angebot überhaupt in den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fällt. Das ist eine Prüfung in Hinblick auf Negativtatbestände, auf journalistisch-redaktionelle Verantwortung und ob es den „demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht“, wie der RStV formuliert. Zentral ist jedoch die 2. Stufe, in der der publizistische Mehrwert zu bewerten ist. So darf das Angebot insgesamt nur stattfinden, wenn es einen Mehrwert mit sich bringt und hierfür sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen: Der Bestand der vorhandenen Angebote, die publizistischen Auswirklungen und die marktlichen Auswirkungen. Gerade um letztere, um den Schutz anderer Marktteilnehmer ging es der Europäischen Kommission, die diesen Drei-Stufen-Test gefordert hat. Letztlich sind also marktliche Auswirkungen gegen den publizistischen Mehrwert abzuwägen und hierin liegt die eigentliche Aufgabe des Rundfunkrates. Alle diese Aspekte müssen ermittelt und in die Entscheidung eingebracht werden, um eine umfassende Abwägung treffen zu können. Abwägungen sind dabei immer Entscheidungen, die man nicht ohne weiteres als richtig oder falsch qualifizieren kann, weshalb der Rundfunk-bzw. Fernsehrat einen gewissen Spielraum hat. Für pluralistisch zusammengesetzte Gremien erkennt die Rechtsprechung einen solchen Beurteilungs- bzw. Prognosespielraum an.

promedia: Wozu dürfen sich Dritte bei der Stellungnahme zu einem Angebot äußern?

Dr. Dieter Dörr: Da ist die gesetzliche Lage in Deutschland klar: Es darf sich jeder Dritte äußern, also nicht nur Betroffene, sondern etwa auch interessierte Bürger. Sie dürfen sich auch zu allen Aspekten äußern, die in dem Verfahren eine Rolle spielen. Also sowohl der Frage, ob das Angebot innerhalb des Auftrags des öffentlichrechtlichen Rundfunks liegt,  welche Kosten es verursacht, zum Mehrwert oder den marktlichen Auswirkungen. Es ist also nicht so, wie es am Anfang manchmal klang, dass sich Dritte nur zu marktlichen Auswirkungen äußern dürften.

promedia: Bei der Stellungnahme ist das Gutachten noch nicht bekannt. Ist eine sachgerechte Auseinandersetzung dennoch möglich?

Dr. Dieter Dörr: Es ist wichtig, dass die Stellungnahmen Dritter nicht nur abgegeben werden, sie müssen auch in die Entscheidung einbezogen werden. Man muss sich also mit ihnen auseinandersetzen. Natürlich können Stellungnahmen auch verfehlt sein oder neben der Sache liegen, dann kann man sich über sie hinwegsetzen. Es bedarf aber einer Auseinandersetzung mit den Argumenten, die Dritte für oder gegen das Vorhaben vortragen. Auch der Gutachter muss die Stellungnahmen erhalten und sie einbeziehen, soweit sie relevant sind. Wenn die Stellungnahmen nun von Dritten kommen, die durch das Angebot berührt sind, betreffen sie oft die marktlichen Auswirkungen, also genau das, womit sich der Gutachter auseinandersetzt. Da halte ich es für sachgerecht, wenn der Rundfunk- und der Fernsehrat Dritten die Möglichkeit gibt, sich zum Gutachten zu äußern. Der Intendant hat diese Möglichkeit durch die Verfahrensregelung automatisch. Da das Verfahren vom Grundsatz der Transparenz bestimmt sein und eine sachgerechte Entscheidung ermöglichen soll, sind Stellungnahmen Dritter als Teil des WDR begreifen, sondern als Kontrollinstanz für die Durchführung des Verfahrens.

promedia: Bisher wurden solche Anhörungen zu Gutachten aber nicht durchgeführt.

Dr. Dieter Dörr: Das muss sich ändern und es gibt auch deutliche Zeichen, dass es sich ändern kann. Das ZDF hatte bereits darauf hingewiesen, dass es sich solche Anhörungen vorstellen kann. Es gab ja bisher nur ganz wenige Verfahren, die durchgeführt wurden, die Verfahren bei NDR und SWR lagen zudem vor dem neuen RStV. Das erste Verfahren, das zwar auch vor dem neuen RStV begann, aber nun in die neuen Regelungen hineinragt, ist das beim MDR über KiKa und KiKaninchen. Man kann sehen, dass sich der MDR-Rundfunkrat mit dem Verfahren sehr viel Mühe macht und es sehr gewissenhaft betreibt. Das Gutachten wurde eingeholt, liegt vor, ist aber nicht veröffentlicht und wurde sicher auch nicht Dritten zur Stellungnahme übersandt. Aber der MDR ist noch in der weiteren Prüfung des Verfahrens und man wird sehen, ob er da nicht Dritte zu einer Anhörung hinzuzieht. So etwas würde auf jeden Fall sinnvoll sein, wenn etwa die Angaben über marktliche Auswirkungen debattiert werden.

promedia: Auch bei Nachbesserungen durch den Intendanten sehen Sie das Recht Dritter sich zu äußern. Worauf stützen Sie Ihre Position?

Dr. Dieter Dörr: Ich stütze mich darauf, dass mit einer Nachbesserung ein neuer Antrag vorliegt und damit auch das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt werden muss. Der Fall liegt anders, wenn die Durchführung der Änderung lediglich zu einem Minus gegenüber dem ursprünglichen Antrag führt, etwa einer Reduktion der Verweildauer von beantragten sechs Wochen auf drei Wochen, die der Rundfunkrat fordert. Wenn sich jedoch das Angebot inhaltlich verändert, sind damit Aspekte verbunden, zu denen Dritte noch gar nicht Stellung nehmen konnten. Dann gilt der Grundsatz, dass Dritten die Möglichkeit eingeräumt werden muss, Stellung zu dem Vorhaben zu beziehen. Im Fall eines Minus besteht im Übrigen auch die Möglichkeit, dass der Rundfunkrat das Minus genehmigen kann.
Dabei muss man natürlich aufpassen, dass der Antragsteller immer der Intendant ist, d. h. man darf nicht etwas genehmigen, das der Intendant programmlich gar nicht will. Aber bei einem reinen Minus, das vom ursprünglichen Antrag erkennbar mit abgedeckt ist, kann der Rundfunkrat mit dieser Einschränkung genehmigen. Es muss also klar sein, dass der Intendant dieses Minus auch beantragt hätte, denn es können durchaus strategische Erwägungen dahinterstehen entweder das Vorhaben so durchzuführen, wie es beantragt wird, oder davon abzusehen. So kann man eine zwölfwöchige Verweildauer ganz bewusst anstreben und, wenn die nicht genehmigt werden, das Angebot ganz streichen. Diese Entscheidungskompetenz liegt beim Intendanten.

promedia: Sie stellen ganz klar fest: Es besteht die Möglichkeit zur Klage. Das ist von den Staatskanzleien immer verneint worden. Wie kommen Sie zu Ihrer Ansicht?

Dr. Dieter Dörr: Man muss zwei Fragen auseinanderhalten: Innerhalb des Verfahrens beim Rundfunkrat kann man nicht klagen. Die Anhörungsrechte geben den Dritten keine Klagerechte, sie sind keine drittschützenden Rechte. Es ist nämlich kein Anhörungsrecht zu Gunsten ganz bestimmter Beteiligter eingeführt worden. Aber mit der Prüfung beim Rundfunkrat ist das Verfahren nicht zu Ende. Nach der Entscheidung des Rundfunkrats muss diese der Rechtsaufsicht zur rechtlichen Prüfung vorgelegt werden: Sind die Bestimmungen eingehalten worden, ist das Verfahren in Ordnung, ist die Abwägungsentscheidung vertretbar oder enthält sie gar einen Abwägungsfehler, wenn z. B. der  Abwägungsspielraum überschritten wurde? Kommt die Rechtsaufsicht zu einer positiven Bewertung, wird das Vorhaben im amtlichen Verkündungsblatt veröffentlicht, womit ein Betrauungsakt vorliegt. Erst damit wird zum Beispiel im Fall KiKaninchen der MDR mit dieser neuen Aufgabe betraut und darf das Onlineangebot verbreiten.
Dieser Betrauungsakt ist aus meiner Sicht ohne jeden Zweifel ein Verwaltungsakt, also eine Entscheidung einer Behörde, nämlich der Rechtsaufsicht, die nach außen, durch die Verkündung, kundgetan wird und den MDR berechtigt, Kikaninchen anzubieten. Wenn dann Dritte davon betroffen sind, können sie dagegen klagen, freilich nur soweit sie sich auf subjektive Rechte berufen können, z. B. die Wettbewerbsfreiheit. Man muss in einem ganz konkreten Recht beeinträchtigt sein, aber so etwas kann durchaus der Fall sein, wenn etwa RTLPlus durch KiKaninchen erhebliche Einschränkungen – d. h. Umsatzrückgänge in einem spürbaren Ausmaß – erleiden würde. Dann kann man gegen die Betrauung der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz vorgehen und das Gericht wird, unter Beachtung der Beurteilungsspielräume des Rundfunkrats, kontrollieren.

Über Prof. Dr. Dieter Dörr

  • Geboren: 1952
  • Bis 1980 Studium Rechtswissenschaften
  • 1982 – 1988 Dozent an den Verwaltungs- und
  • Wirtschaftsakademien in Saarbrücken und Köln
  • 1988 -1990 Professor Universität Hamburg
  • 1990 -1995 Justiziar des Saarländischen Rundfunks
  • 1994 – 1999 Direktor des EMR
  • Seit 1995 Professor an der Universität Mainz
  • Seit 2000 Direktor des Mainzer Medieninstituts
  • Seit 2000 Mitglied der KEK
  • 2005 – 2007 Vorsitzender der KEK

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