Das Ende der Quersubvention von Qualität?

Diskussionsbeitrag zum
Thema Qualitätsjournalismus im Printbereich

Am 7. Juni 2009 konnte man auf den Websites verschiedenster Printmedien folgende Headline eines Artikels lesen: „Frank Schirrmacher erhält Ludwig Börne-Preis.“ Die Unterzeile aber lautete: „Beyoncé hat sich im April mit ihrem neuen Film ´Obsessed´ an die Spitze der Kinocharts gespielt. Der Thriller erinnert stark an ´Eine verhängnisvolle Affäre´“ Der Fließtext stellte dann auch auf die Sängerin Beyoncé und weniger auf den Preisgewinner Schirrmacher ab.

Dr. Klaus Goldhammer
Dr. Klaus Goldhammer

Man könnte über eine solche Petitesse lächeln. Doch problematisch daran war, dass dieser Artikel samt Foto (von Frank Schirrmacher) mindestens, durch Screenshots belegt, auf den Webseiten der Augsburger Allgemeinen, der Berliner Zeitung, des Donaukuriers, der Hamburger Morgenpost, der Märkischen Allgemeinen, der Neuen Osnabrücker Zeitung, der NWZ, der Rhein-Neckar-Zeitung, dem Stern, der Süddeutschen Zeitung, den Westfälischen Nachrichten sowie der Zeit erschien. – Unkontrolliert, unredigiert, unjournalistisch.

Was war geschehen? – Offensichtlich gab es ein Problem im Content Management System der zuliefernden Nachrichtenagentur. Und offensichtlich nutzen zumindest die oben genannten Webseiten der Printmedien diesen Dienst, um die immer gleichen, in diesem Falle erkennbar falschen Nachrichten ohne jede Prüfung auf ihre Seite zu heben. Journalistisch sicher ein Trauerspiel. Der nicht gerade zimperliche Bildblogger Stephan Niggemeier betitelte seinen Beitrag zu dieser Form von Qualitätsjournalismus mit: „Geht sterben!“. Mit solch radikalen Positionen ist aber keinem gedient. Dennoch ist die Frage natürlich erlaubt, wie in Zeiten „knapper Mittel“ Qualität bzw. Qualitätsjournalismus aussehen soll und kann.

Journalismus als Textverarbeitung?

Nic Davies, altgedienter Journalist beim britischen Guardian hat die Lage des (Print-)Journalismus in seinem Buch „Flat Earth News“ 2008 heftig kritisiert. Er schildert eindrücklich, wie wenig Zeit Journalisten heute für die Überprüfung von Daten und Fakten bleibt und wie schnell PR-Berichte und Agenturmeldungen unkontrolliert übernommen werden. Waren es früher drei Artikel, die ein Journalist pro Tag für die Tageszeitung erstellen musste, sind es heute zehn. Ein Redakteur, der täglich zehn Artikel verfassen muss, wird zwangsläufig auf Agenturmeldungen zurückgreifen – von Agenturen, die selbst wieder unter höchstem Zeitdruck eine Vielzahl an Meldungen produzieren. Zeit für Rückfragen oder Recherchen bleibt da schlichtweg nicht mehr. Schirrmacher und Beyoncé kommen dann schon mal  schnell in einem Artikel zusammen. – Journalismus als fehleranfälliges Textverarbeitungssystem?

Ist also der klassische Journalist tatsächlich eine aussterbende Spezies, wie Nick Davies befürchtet? Und ist „Qualitätsjournalismus“ ein Phänomen aus vergangenen Zeiten? Die Antwort lautet: Nein. Der Untergang der abendländischen Printkultur muss trotz aller Probleme fürs Erste nicht befürchtet werden. Vielfach durch Forschung allerdings belegt ist, dass nahezu zwei Drittel aller Nachrichten-Meldungen in Deutschland wie in Großbritannien auf Presseerklärungen und damit auf mundgerechte Zubereitungen durch PR-Agenturen zurückzuführen ist. Wer keine Zeit und kein Geld für eigene Recherchen hat, muss zwangsläufig auf Vorprodukte zurückgreifen.

PR als Vorstufe oder „Teil“ des Journalismus?

In Deutschland gab es 2004 lt. der Deutschen Public Relations Gesellschaft „rund 30.000 bis 50.000“ PR-Mitarbeiter, die 48.000 hauptberufliche Journalisten mit Informationen versorgen. Während aber die Zahl hauptberuflicher Journalisten leicht rückläufig ist, hat sich die der Öffentlichkeitsarbeiter in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt. In den USA gab es bereits zu Beginn dieses Jahrzehnts rund 120.000 Journalisten und mehr als 200.000 PR-Berater.

Product Placements und Beistellungen sind nun auch im Rundfunk legalisiert. Das Konzept aber kommt in der Pressewelt ebenfalls vor. Auch das Phänomen der „Materndienste“ hat eine lange Tradition. Dabei werden ursprünglich werbliche PR- und Pressemeldungen von spezialisierten Dienstleistern aufbereitet und einer breiten Masse von Publikumstiteln „kostenlos“ zur Verfügung gestellt – häufig bereits druckfertig, bebildert und im jeweils passenden Layout. Für die Printmedien ist die Verwendung kostenfrei, zahlen muss allein der Auftraggeber. Viele Anzeigenblätter und Zeitungen, darunter auch namhafte, nutzen solche kostenfreien und vorgefertigten Artikel.

Was darf Qualität heute kosten?

Die Frage nach der „Qualität“ ist im Journalismus also keinesfalls neu. Dass sie sich gerade aktuell so nachdrücklich stellt und von den Verlagen zugleich immer wieder selbst thematisiert wird, muss offenbar noch andere Gründe haben. Doch der Versuch der Verlage, per „Hamburger Erklärung“ an die Werbeerlöse von Google über ein neues Urheberrecht heranzukommen, erscheint einfach zu durchsichtig: „Zahlreiche Anbieter“, so meinen 160 unterzeichnende Verlage in der Erklärung, „verwenden die Arbeit von Autoren, Verlagen und Sendern ohne dafür zu bezahlen. Das bedroht auf Dauer die Erstellung von Qualitäts-Inhalten und von unabhängigen Journalismus.“ Wer genau die „zahlreichen Anbieter“ sind, bleibt leider unklar. Denn ein Raubkopiererproblem wie die Musikindustrie hat die Branche nicht. Google retourniert in einem Blogeintrag lapidar, jeder Verlag könne auf seiner Website dem Suchrobotor von Google ein „Disallow“ eintragen, schon würde die Seite nicht mehr erfasst. – Doch dieser Schritt würde die Verlagsprobleme nur verschlimmern.

Kann man sich gesundsparen?

Wo also ansetzen? Stetig sinkende Auflagen und der Rückgang im Anzeigenmarkt bedingen einander und werden immer spürbarer. Der Friedhof der eingestellten Printmedien ist lang: Von Amica bis Vanity Fair wurden eine ganze Reihe anspruchsvollerer Magazine in der letzten Zeit eingestellt. All das ist bekannt und vermutlich nicht allein der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise geschuldet. Denn schon seit rund zehn Jahren kämpfen Publikums- und Fachzeitschriften, aber auch die Tageszeitungen, darum, ihre Anteile am Werbekuchen zu halten. Die finanzielle Problemzone hat sich freilich in der letzten Zeit ausgeweitet: Selbst namhafte Verlage melden Kurzarbeit an (wie der Jahreszeiten-Verlag) oder denken darüber laut nach (wie Gruner + Jahr).

Wo also ansetzen? Einsparungen auf der redaktionellen Seite allein bringen langfristig für die Printmedien wohl keine Erholung. Das zeigt sich rasch bei der Analyse der Kostenstrukturen: Im Durchschnitt entfällt lediglich ein Viertel der Kosten auf die Redaktion. Der größte Kostenblock liegt mit über 50 Prozent im Bereich von Herstellung und Vertrieb. Allein deshalb wird das Thema Ebooks für die Verlags- und Printbranche immer attraktiver. Bevor also Sparpotenziale im redaktionellen Bereich gesucht werden und damit der inhaltliche Tiefgang absehbar weiter leidet, könnten die Verlagshäuser noch viel konsequenter als bisher die Weichen in Richtung digitale und mobile Vertriebswege stellen.

Alle digitalisierten Industrien werden kostenlos

Doch hier droht anderes Unheil: das Diktum von Chris Anderson, Wired-Chefredakteur, Erfinder des „Longtails“ und Autor eines neuen Buchs mit dem Titel „Free“ klingt nicht vielversprechend: Digitale Produkte haben Grenzkosten bei der Verbreitung von nahezu null. Auch und gerade Nachrichten lassen sich digital verbreiten. Es ist dabei einfacher, so Anderson, solche digitalen Produkte zu verschenken, will man eine Massenverbreitung erzielen.

Die Refinanzierung erfolgt dann über Umwege, beispielsweise Werbung oder sog. „Freemium“-Modelle, also kostenlose Nutzung des Grundangebotes.  Spezielle Dienste oder Services kosten dann aber zusätzliches Geld. – Hier, so räumt auch Anderson ein, gebe es noch die größten Unklarheiten beim anbrechenden Kostenloszeitalter. Denn Werbeumsätze wie Nutzungszahlen im Internet sind nicht mit den Monopol- bzw. Oligopolzeiten des analogen Zeitalters vergleichbar.

Weil der Wettbewerb im Internet nahezu unbegrenzt ist, wird es aber immer mindestens einen Anbieter geben, der auf maximale Reichweite und damit auf Free setzen wird. Das  führt dazu, dass alle Industrien, die digitalisierbar sind, früher oder später in der Tendenz frei nutzbar sein werden. – Wenn Anderson recht hat, dürfte es also langfristig schwer werden bzw. bleiben. Nicht nur für die Verlagsbranche. Weiter also bleibt die Frage nach der Quersubventionierung von Qualität.

Ein Herz nicht nur für Blogger

Fasst man die Probleme zusammen, gibt es vielleicht eine neue Bastion für „anspruchsvollen“ Journalismus. Lange Zeit unter dem Radar der deutschen Öffentlichkeit haben sich inzwischen einige Blogger etabliert, die auch ohne echtes kommerzielles Kalkül und daher auch ohne finanziellen Druck Themen recherchieren. – Sind es nicht vielleicht mittlerweile die Blogger, die oftmals Themen setzen? Im besten Falle kennen sich die Blogger mit ihren Themen gut aus. Und: sie können darüber berichten, aber sie müssen es nicht. Zeigt nicht ein bildblog.de, der sich sogar mittlerweile durch Werbung refinanziert, dass sich neue publizistische Qualität mit funktionierenden (alten) Geschäftsmodellen vereinen lässt?

Und es geht noch weiter: Jenseits der engagierten Bloggern gibt es eine weitere mediale Realität:  Ein nicht unerheblicher Teil der „News“, die wir heute täglich lesen, wird weder von Journalisten noch von Bloggern generiert, sondern durch die breite Masse der anderen Nutzer, sprich: reine Amateure. Jeder kennt das: Für die Kaufentscheidung bei der Digitalkamera oder für die Hotelbuchung vertrauen wir heute nicht mehr nur den Testmagazinen sondern anderen Käufern mit (hoffentlich) echten Erfahrungen. Leser schreiben heute nicht mehr nur Briefe an Redaktionen, sondern tauschen sich vor allem in Communities und Foren auf Facebook oder Twitter aus. Sie diskutieren nicht mehr nur mit Redakteuren, sondern und vor allem miteinander. Das ist die neue Qualität.

Ob Berichte und Meldungen in Blogs oder Communities nun die in der Medienforschung definierten Attribute des Qualitätsjournalismus wie Aktualität, Neutralität, Glaubwürdigkeit, Relevanz und Unabhängigkeit verdienen, ist von Fall zu Fall sicher sehr verschieden. Dennoch kann man solche Foren nicht ignorieren.

Natürlich wird es dadurch zunehmend schwerer, wahre und falsche News auseinander zu halten. Niemand, so scheint es, wird sicher sein können, ob das letzte Posting im Forum von einem neutralen Experten stammt oder doch von einer professionellen Social-Media-Marketing-Agentur, also einer PR-Quelle. Nicht nur die Deutsche Bahn wird solche Dienstleister bereits genutzt haben. Aber das ist beim klassischen Qualitätsjournalismus oftmals auch nicht anders.

Autor:
Dr. Klaus Goldhammer, Geschäftsführer Goldmedia GmbH

Weitere Informationen zu Goldmedia: http://www.goldmedia.com/aktuelles.html

2 thoughts on “Das Ende der Quersubvention von Qualität?

  1. Ich glaube sogar, dass nicht nur die digitale Industrien kostenlos werden. Tendenziell werden wir alle Stück für Stück Angebote kostenlos erhalten, um Kunden zu gewinnen und von den großen Playern wegzunehmen. Auch wir geben Marketingleistungen komplett kostenlos heraus, um von unserer Qualität zu überzeugen. Wir gehen ins Risiko für unseren Kunden. Können Sie sich das nicht auch in jeder anderen Industrie vorstellen? Der “kleine Mann” einer Branche versteht nicht viel davon sich selbst zu vermarkten und bekommt keine Aufträge. Lieber bietet er Services kostenlos an und bekommt dafür Reputation. Das hilft Kunden zu gewinnen.
    Studenten stehen auf kostenlos. Sie KOPIEREN KOSTENLOS, indem Werbung auf der Rückseite zu finden ist. Diese Gruppe von morgen wird alles kostenlos wollen.

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