Trendmonitor 2019. Disruption in Vollendung. Nonlineare Nutzung strukturiert den Bewegtbildmarkt um

Disruption in Vollendung: Nonlineare Nutzung strukturiert den Bewegtbildmarkt um

Trendartikel von Klaus Goldhammer

Dezember 2018. Als Jeff Bewkes, CEO von Time Warner, im Jahre 2010 gefragt wurde, welche Gefahren er durch den Launch eines VoD-Services des früheren DVD-Versenders Netflix für die TV-Branche sehe, sagte er: „Es ist ein wenig so, als ob die albanische Armee die Welt erobern würde.“ Er sehe keine Gefahr. Als Reaktion darauf bestellte der Netflix-CEO bei seiner Marketingabteilung für das nächste Management-Treffen 150 Käppis der albanischen Armee. – Sie wurden munter getragen und zeigten offenbar Wirkung.

Prof. Dr. Klaus Goldhammer, Geschäftsführer Goldmedia © Goldmedia
Prof. Dr. Klaus Goldhammer, Geschäftsführer Goldmedia © Goldmedia

Denn inzwischen hat sich das Bild komplett gedreht: Aus den einstigen „albanischen Armeen“ wie Netflix oder auch YouTube (oft belächelt: „Wer will denn briefmarkengroße User-generated Content-Videos in ruckeliger Qualität sehen?“) sind die Disruptoren der TV-Branche entstanden: YouTube im werbefinanzierten Online-Video-Markt und Netflix sowie Amazon im Markt für Pay-VoD.

Schulbuchmäßig haben YouTube und Amazon das Bedürfnis der Kunden adressiert, zu jeder Zeit auf jedem Gerät attraktive Unterhaltung sehen zu können – mit großer technischer sowie inhaltlicher Vielfalt und im Falle von Amazon und Netflix ohne Werbeunterbrechungen. Diesen Herbst hat YouTube ohne große Ankündigung (die ersten) rund 100 Hollywood-Spielfilme, von „Rocky“ über „Terminator“ bis „Legally Blond“, in sein Angebotsportfolio aufgenommen. [1] Werbefinanziert, on-demand und so ein direkter Angriff auf klassisches Free TV. – Albanische Armeen können also doch die Welt erobern. Die etablierten Technologien und Geschäftsmodelle der großen Broadcaster stehen daher immer mehr unter Druck, sich neu zu erfinden.

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Disruption klassischer TV-Anbieter durch nonlineares Online-Video, © Goldmedia 2018

Denn die Nutzer wenden sich bereits in Scharen vom linearen TV ab

Bei den 14- bis 29-Jährigen macht laut Digitalisierungsbericht 2018 die nonlineare Nutzung mit rund 56 Prozent bereits das Gros beim Bewegtbildkonsum aus. Und auch die 30- bis 49-Jährigen folgen: 2018 wuchs deren nonlineare Bewegtbildnutzung um ein Drittel auf einen Gesamtanteil von 27 Prozent. Die alte Fernsehwelt ist komplett aus den Fugen.

Es wird zunehmend schwieriger, jüngere Zielgruppen im klassischen TV überhaupt noch zu erreichen. Nur eine Frage der Zeit, bis sich – ähnlich wie in den USA – auch die Werbekunden andere Vermarktungskanäle suchen.

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Nonlineare Nutzung strukturiert den Bewegtbildmarkt um, © Goldmedia 2018

Der Klimawandel hat schon eingesetzt. Der TV-Werbegletscher schmilzt

Es ist zu erwarten, dass der TV-Werbemarkt erstmals seit der Werbekrise 2008 im Jahr 2019 nicht weiter wachsen wird. Wenig überraschend war es deshalb auch, dass u.a. Zenith bereits seine Wachstumsprognose für TV-Werbung nach unten korrigiert hat. Und auch die privaten TV-Konzerne selbst räumen inzwischen sinkende Werbeerlöse ein und passen ihre Erlösprognosen an.

Folgerichtig, dass RTL-Chef Bert Habets die TV Now-Plattform stärker ausbauen will, um gegen Netflix und Amazon zu punkten, und auch der neue ProSieben-CEO Max Conze angekündigt hat, zusammen mit Discovery die „führende lokale Streamingplattform für Deutschland“ aufzubauen.[2] – Doch vielleicht ist es dafür schon relativ spät, angesichts der Schlagzahl und vor allem Schlagkraft der Disruptoren? Wenn die Nachfrage für lineare Inhalte offenbar schon jenseits des Tipping Points ist, wird es nicht leichter werden. Höchste Zeit also, die Streaming-Angebote nicht mehr länger als Beiwerk zum bisherigen Kerngeschäft zu betrachten, sondern zukünftig klar ins Zentrum der Unternehmensstrategie zu setzen.

Prof. Dr. Klaus Goldhammer, Geschäftsführer und Partner Goldmedia GmbH

Der Artikel ist Teil des Goldmedia Trendmonitors 2019. Goldmedia gibt im Trendmonitor alljährlich in Form von Analysten-Kommentaren einen Ausblick auf relevante Trends in den Bereichen Medien und Entertainment, Internet und Telekommunikation des kommenden Jahres in Deutschland. www.Goldmedia.com

[1] https://www.wuv.de/medien/mehr_streaming_prosiebensat_1_und_discovery_machen_gemeinsame_sache
[2] https://techcrunch.com/2018/11/16/youtube-quietly-added-free-ad-supported-movies-to-its-site/?sr_share=facebook&utm_source=tcfbpage

Mehr Infos zum Goldmedia Trendmonitor 2019

Der Artikel wurde erstveröffentlicht am 03.12.2018 auf www.infosat.de

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