EU-Konsultation zur Filmförderung eingeleitet. Dr. Stefan Lütje, OLSWANG LLP Rechtsanwälte, in der promedia

Die Beihilferegeln stehen auf dem Prüfstand

Dr. Stefan Lütje
Dr. Stefan Lütje


Die EU-Kommission hat am 20. Juni 2011 die seit längerem erwartete, weil mehrfach verschobene Konsultation zur Überprüfung der Beihilfevorschriften für die Filmindustrie eingeleitet. Damit endet vorläufig eine zehnjährige Phase der Rechtssicherheit für nationale Subventionen der Europäischen Filmindustrie. Im Zentrum dieser Prüfung steht der Konflikt zwischen der vom Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geforderten Verwirklichung eines einheitlichen Binnenmarktes, der nicht durch nationale Subventionen verzerrt werden soll, und den zahlreichen nationalen Filmförderungsmodellen einzelner Mitgliedstaaten.

Bisher wurden diese nationalen Filmsubventionen unter den Ausnahmetatbestand der Kulturförderung eingeordnet und galten damit bei Erfüllung bestimmter Kriterien als zulässige Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot staatlicher Beihilfen. Grundlage für die filmbranchenspezifische Beurteilung von staatlichen Subventionen war die im Jahre 2001 veröffentlichte „Mitteilung zur Filmwirtschaft“ der Kommission, mit der ein Kriterienkatalog zur Freistellung von geplanten nationalen Beihilfen aufgestellt worden war.[1] Demnach müssen die geförderten Werke insbesondere einen nach nationalen Kriterien nachprüfbaren kulturellen Inhalt aufweisen. Der Geltungsbereich dieser „kulturellen Freistellungsklausel“, deren Kriterien im Rahmen der Notifizierungsverfahren jedes einzelnen nationalen Filmfördermodels von der Kommission überprüft wurden, wurde bis dato dreimal verlängert. Mit der jetzt eingeleiteten Konsultation steht der kulturellen Ausnahmeregelung, der Effizienz der danach verteilten Fördermittel und den Kriterien für deren Vergabe eine grundlegende Überprüfung bevor. Denn nicht weniger als eine komplette Überarbeitung der in der Mitteilung zur Filmwirtschaft aufgestellten Kriterien ist geplant.Subventionswettlauf und Ausgabequoten im Brennpunkt
Kritik am Status Quo und einen entsprechenden Überprüfungsbedarf scheint die Kommission, wie sich aus ihrer Mitteilung vom 20. Juni 2011 ergibt, vor allem an zwei Fronten zu sehen: zum einen ist in der Mitteilung explizit der als solcher wahrgenommene Subventionswettlauf einzelner Mitgliedstaaten um großvolumige internationale (vorwiegend US-amerikanische) Filmproduktionen angesprochen. Zum anderen werden auch die territorialen Förderauflagen einiger Länder, so genannte Regionaleffekte oder „Regional Spend“-Regelungen, thematisiert.

Letztere dürften insbesondere dort einer Überprüfung wert sein, wo nationale Förderbestimmungen faktisch dazu führen, dass die Durchführung grenzüberschreitender Koproduktionen erschwert, wenn nicht gar verhindert wird. Die Produktionsspiegel der letzten Jahre lassen hier zum Teil bestimmte Trends erkennen, die die Besorgnis der Kommission bestärken, dass der gemeinsame Markt infolge zunehmender Regionalisierung zersplittert. Nach den bisherigen Beihilfekriterien dürfen die Mitgliedstaaten als Voraussetzung für die Vergabe von Fördermitteln verlangen, dass bis zu 80 % des Produktionsbudgets im jeweiligen Land ausgegeben werden müssen. Diese territorialen Auflagen stehen jedoch im Widerspruch zu der Gewährleistung eines freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs in der Union. In Deutschland gibt es zwar auf Bundesebene keine derartigen Bestimmungen (nur der Deutsche Filmförderfonds „DFFF“ verlangt eine Mindestsumme in Deutschland auszugebender Herstellungskosten); anders sieht es jedoch bei der Filmförderung auf Landesebene aus: Nahezu jedes Bundesland hat eigene Filmförderinstitutionen, deren Richtlinien in der Regel verlangen, dass 150 % der erhaltenen Fördersumme in der Region investiert werden müssen.[2] Die u.a. mit Steuer- und Sendergeldern gespeisten Haushalte der regionalen Förderer, die über zum Teil erhebliche Fördervolumina verfügen, sind ein starker Anreiz für Filmproduzenten, wenigstens einen Teil der Produktion in die jeweilige Region zu verlegen. Die einzelnen Regionen wollen sich als Produktionsstandort profilieren, tragen aber mit den Auflagen für bestimmte Regionaleffekte ihren Teil zur Zersplitterung bei.

Insbesondere der erstgenannte Aspekt der Mitteilung der Kommission des manchmal so bezeichneten Kannibalisierungswettlaufs um internationale Großproduktionen dürfte ebenfalls bestehende deutsche Realitäten treffen: Große, d.h. teure, internationale Filmprojekte nehmen mit ihren deutlich höheren Budgets häufig höhere Fördersummen in Anspruch als nationale oder auch europäische Koproduktionen mit vergleichsweise niedrigeren Budgets. Nach der bisherigen Regelung dürfen die staatlichen Beihilfen in der Regel maximal 50 % des Gesamtbudgets des geförderten Projektes betragen, sind aber pro gefördertem Projekt nicht der absoluten Höhe nach begrenzt. Deshalb kann ein einziger großer Film mit einem Budget von 100 Mio. EUR bis zu 50 Mio. EUR Förderung binden, die ansonsten etwa für zehn Produktionen mit jeweils 10 Mio. EUR (einem für europäische Verhältnisse weiter verbreitetem Budget) zur Verfügung stünde. Bei insgesamt begrenzten Fördermitteln könnte damit ein Verdrängungswettbewerb durch internationale Großproduktionen zulasten nationaler, kleinerer Produktionen stattfinden. Andererseits ist aber aus Sicht der jeweiligen nationalen Filmindustrie ein Interesse an eben diesen internationalen Großproduktionen gleich mehrfach begründet: Nicht nur findet durch sie ein Know-how-Transfer zu heimischen Crews statt, wenn diese häufiger in anspruchsvolle internationalen Großprojekte eingebunden werden. Auch ist inzwischen klar belegt, dass der so genannte Hebeleffekt, den Maßnahmen der Filmförderung erzeugen, wirtschaftspolitisch ein nicht zu vernachlässigender Faktor ist. Wenn für jeden Euro Subvention das Fünffache an Mehrausgaben und damit Steueraufkommen ausgelöst wird, wird schnell klar, dass es sich aus fiskalischer Sicht um eine staatliche Investition mit einer Traumrendite handelt. Das war einer der Beweggründe für die Einführung des Deutschen Filmförderfonds (DFFF), der seit 2007 mit einem jährlichen Budget von rund 60 Mio. EUR die hiesige Filmwirtschaft ausstattet. Unter den vom DFFF am höchsten geförderten Filmen findet sich eine Vielzahl von internationalen Koproduktion: Zum Beispiel wurde Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ mit einer Summe von 6,8 Mio. EUR bedacht, „Der Vorleser“ erhielt 3,7 Mio. EUR und der höchste, je vom DFFF vergebene Förderbetrag von 9 Mio. EUR ging an die internationale Koproduktion „Speed Racer“. Die Evaluierung des DFFF und seiner wirtschaftlichen Effekte hat dabei die Richtigkeit der Annahmen bei seiner Einführung hinsichtlich des genannten Hebeleffektes mehr als nachgewiesen. Doch so wünschenswert unter diesen Aspekten die Subventionierung der Ansiedelung von Großproduktionen sein mag, darf doch nicht verkannt werden, dass neben dem schon erwähnten Risiko des Verdrängungswettbewerbs noch das einer anderen Marktverzerrung besteht. Denn während es etwa in Deutschland faktisch eine betragsmäßige Obergrenze für die Förderung eines Filmprojekts bei denkbar günstiger Kombination aller zur Verfügung stehenden Fördermöglichkeiten auf Bundes- und Landesebene von ca. 15 Mio. EUR gibt, haben andere Mitgliedstaaten, in denen die Filmförderung faktisch auch über Steuererleichterungen ermöglicht wird, keine derartigen faktischen Höchstfördergrenzen. Teure Produktionen können und werden also dort mit deutlich höheren Summen angelockt.

Standortunabhängige Digitaltechnik als Wettbewerbsfaktor
Neben diesen Aspekten werden sicher auch weitere die anstehende Evaluierung bestimmen. Ein weiterer Treiber des europaweiten Standortwettbewerbs liegt etwa in der fortschreitenden Digitalisierung der Produktionstechniken, insbesondere auch im Postproduktionsbereich. Die Kommission erwägt im Rahmen der Konsultation auch Maßnahmen zur Förderung der Digitalisierungstechnik. Um die in der Regel mit der Förderung verbundene Auflage, eine bestimmte Summe im Land ausgeben zu müssen, zu erfüllen, verlegen die Produzenten oft die Postproduktion in die jeweilige Region, weil diese Standortentscheidung im Gegensatz zu Drehorten weitaus flexibler und stoffunabhängig ist. Faktisch kann die Digitalisierung von auf visuelle Effekte spezialisierten Unternehmen über das Internet an jedem Ort weltweit durchgeführt werden. Eines der führenden deutschen Unternehmen in diesem Bereich wirbt etwa auf seiner Homepage explizit damit, seinen Kunden rund um den Globus und sieben Tage die Woche seine Dienste an verschiedenen Produktionsstandorten zur Verfügung zu stellen und damit die territorialen Auflagen von Filmförderungen und Steuererleichterungen erfüllen zu können. Diese Ortsungebundenheit erzeugt damit aus Subventionsaspekten noch einmal eine völlig andere Bewertung von Fragen der Wettbewerbsverzerrung. Außerdem wird der Entwicklung der Digitalisierungsbranche auch deshalb gesteigerte Bedeutung beigemessen, weil sie häufig artverwandte Industrien wie etwa die Gamesbranche anzieht und damit eine diesbezügliche Förderung einen weiteren Multiplikatoreneffekt haben kann.

Einfluss des Verfahrens auf den Status Quo der Deutschen Förderlandschaft?
Für die derzeitigen Regelungen auf Bundes- und Landesebene hat die Kommission bis zum 31. Dezember 2013 ihre Genehmigung erteilt, dies allerdings unter der Auflage, dass die deutschen Behörden Änderungen vornehmen, die bei Außerkrafttreten der derzeit gültigen Kinomitteilung erforderlich werden sollten. Sollte die Kommission nach Abschluss der Konsultation Ende September dieses Jahres die Zulässigkeitskriterien grundlegend ändern, droht auch Deutschland eine schärfere Überwachung der Vergabe öffentlicher Gelder. Das Filmförderungsgesetz (FFG) wird in Anlehnung an das Film- und Fernsehabkommen aus dem Jahr 1974 ohnehin in einem regelmäßigen Turnus von fünf Jahren überarbeitet. Die nächste Überarbeitung des Gesetzes steht im Jahr 2013 an. Der vom Kulturstaatsminister Bernd Neumann initiierte DFFF wurde zunächst bis Ende 2012 verlängert, seine weitere Verlängerung aber bereits mehrfach als politisch gewollt in Aussicht gestellt.

Filmförderung: Kultur- oder Wirtschaftsförderung?
Dass Filmförderung vor allem Wirtschaftsförderung bedeutet, hat zuletzt auch das Bundesverwaltungsgericht so gesehen und die Filmabgabe der Kinobetreiber im FFG für zulässig gehalten, weil hierbei ein „Recht der Wirtschaft“ im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG betroffen sei und die Abgabe damit in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes falle.[3] Im Hinblick auf eine mögliche schärfere Kontrolle der staatlichen Beihilferegeln durch die Kommission könnte jedoch gerade diese Einordnung Probleme bereiten: Schließlich ist die nationale Filmförderung bisher eine unter dem Aspekt der Kulturförderung als grundsätzlich zulässig eingeordnete Beihilfe verstanden worden. Auch der Vertrieb, der durch die Filmabgabe gefördert wird, wurde von der Kommission bisher als Kulturförderung eingestuft. Das Bundesverwaltungsgericht sah diese unterschiedliche Beurteilung der Filmförderung nicht als offensichtlichen Widerspruch an, seien doch die einzelnen Mitgliedstaaten aufgrund des in der EU geltenden Subsidiaritätsprinzips in der Auslegung ihrer Verfassungskompetenzregeln frei[4].

Eine Chance für den europäischen Film
Inwieweit die deutschen Fördergesetze auf Bundes- und Landesebene einer erneuten europarechtlichen Überprüfung nach Überarbeitung der Beihilfekriterien standhalten und wo sich gegebenenfalls Anpassungsbedarf ergeben wird, bleibt abzuwarten. Eine neue Mitteilung zur Filmwirtschaft wird erst im zweiten Halbjahr 2012 erwartet. In jedem Fall scheint es für die Branche und ihre zahlreichen Organisationen angeraten, den jetzt eröffneten Konsultationsprozess aktiv zu begleiten. Auch die Diskussion um die Förderung der Digitalisierung der deutschen Kinos und ihre beihilferechtlichen Aspekte sowie die Haltung der Kommission hierzu dürfte durch die Konsultation neue Impulse erhalten. In jedem Fall wird damit auch nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Zulässigkeit des FFG und letztlich des Schicksals der FFA auch weiterhin die Zukunft der deutschen und der europäischen Filmförderung spannend bleiben. Dabei geht es nicht nur um viel Geld und einen Wettbewerb der Standorte, sondern am Ende auch immer noch um einen noch besseren europäischen Film. Seine Erfolge waren in den letzten Jahren gut – zumindest insoweit sollte die Kommission behutsam Erreichtes bewahren und Bewährtes würdigen, wenn auch eine größere Kompatibilität nationaler Fördersysteme, die noch stärkere Förderung grenzüberschreitender europäischer Koproduktionen und die Beseitigung mancher Wettbewerbsverzerrung wünschenswert wäre.

Dr. Stefan Lütje, Rechtsanwalt und Partner, Head of MCT Germany, OLSWANG LLP

Weitere Informationen: promedia

[1]              Mitteilung der Kommission zur Filmwirtschaft vom 26.09.2001 (ABl. C 31 vom 07.02.2009, S.1 und 4).

[2]              Einige regionale Filmförderanstalten, wie beispielsweise das Medienboard Berlin-Brandenburg, setzen nur Ausgaben in Höhe der erhaltenen Fördersumme voraus.

[3]              Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. Februar 2011, Az. 6 C 22.10, Rn. 15 ff.

[4]              Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. Februar 2011, Az. 6 C 22.10, Rn. 25.

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