Wir werden noch stärker die Synergien zwischen Radio und Internet nutzen. Dr.Claudia Nothelle, Programmdirektorin des Rundfunk Berlin-Brandenburg, im Gespräch mit promedia

Dr. Claudia Nothelle
Dr. Claudia Nothelle

Die jungen Wellen positionieren sich sehr stark über regionale Identität.

rbb reformiert Radioprogramme und will Hörer zurückgewinnen:
„Im Radio liegt die kreative Zukunft der ARD“

Mehrere Radioprogramme des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) haben in der jüngsten Mediaanalyse (MA 2011/II) pro Durchschnittsstunde Verluste hinnehmen müssen, ihre Tagesreichweiten aber weitgehend halten können. Große Hörergewinne verzeichnet Radioeins, auch Kulturradio findet wachsenden Hörerzuspruch.
Radioeins
gewinnt nach deutlichen Verlusten bei der vorangegangenen MA 31.000 Hörerinnen und Hörer pro Durchschnittsstunde. Sowohl „Fritz“, „Antenne Brandenburg“  als auch „Inforadio“ haben Hörer verloren. „Antenne Brandenburg“ büßte sogar seine jahrelange Marktführerschaft in Berlin-Brandenburg ein.

promedia: Frau Nothelle, Sie bekommen jeden Tag Daten von der GfK über die Fernsehnutzung, aber nur zwei Mal im Jahr Daten über das Radio. Wie kann man dann das Radio vernünftig strukturell lenken, wenn man in solchen großen Zeiträumen über das Hörerverhalten informiert wird?
Dr. Claudia Nothelle:
Wir können vor allem strategisch damit arbeiten. Wenn wir zwei Mal im Jahr Zahlen bekommen,  können wir die Entwicklung nur mittel- bis langfristig betrachten und über längere Zeiträume vergleichen. Ein direkter Rückschluss auf beispielsweise konkrete Sendungen vom Vortag ist jedoch nicht möglich. Wir ergänzen diese Zahlen durch eigene vor allem qualitative Untersuchungen, um die Wirkungen einzelner Programme zu ermitteln. Beim Fernsehen erhalten wir dagegen täglich Daten bis hin zu Minutenschritten, dürfen aber nicht die Langzeitentwicklung aus dem Blick verlieren. Manchmal wünsche ich mir eine Mischung von beiden Formen.promedia: Die Methodik ist in den letzten Jahren mehrfach geändert worden, sodass die Gesamtzahl der potentiellen Radiohörer und Befragten größer geworden ist. Böse Zungen sagen, dass das Radio eigentlich keine technische Lösung wie in der Schweiz will, weil man aufgrund dieser Befragung zu großen Reichweiten kommt…
Dr. Claudia Nothelle: Die Veränderungen – zum Beispiel werden jetzt Hörerinnen und Hörer ab zehn und nicht mehr ab 14 erfasst – haben die absoluten Zahlen wachsen lassen, wir konnten deshalb auf dem Markt sagen, dass wir mehr Hörer haben. Das ist für die kommerziellen Sender noch wichtiger als für uns, weil Reichweite sich in Werbepreisen ausdrückt. Ich persönlich hätte jedoch nichts gegen genauere und bessere Zahlen, aber das wäre ein hoher Kostenfaktor. Die Schweizer „Uhr“ ist ein sehr teures Instrument, die Ergebnisse würden uns sicher überraschen.

promedia: Vor einem halben Jahr hat radioeins 30 Prozent Hörer verloren, jetzt gewinnt es 39 Prozent, obwohl es in diesem Jahr keine wesentlichen Veränderungen gab. Es muss Sie doch unruhig machen, wenn Sie innerhalb eines halben Jahres völlig gegensätzliche Zahlen erhalten…
Dr. Claudia Nothelle:
Ja, zumal wir seit dem 1. Juni mit Robert Skuppin einen neuen Chef bei radioeins haben und jetzt gemeinsam überlegen, wie wir das Programm verändern wollen. Aber man muss zwei Dinge voneinander trennen: Wir müssen zum einen am Programm (und übrigens an jedem Programm) qualitativ arbeiten, ungeachtet der Zahlen. Zum anderen müssen wir natürlich die Zahlen sehr genau analysieren. Die Verluste bei der letzten Mediaanalyse vor drei Monaten und die Gewinne jetzt sind der Beleg dafür, wie wichtig es ist, die Entwicklung auf lange Sicht zu betrachten und Reichweitenzahlen nicht isoliert zu beurteilen. Der Radiomarkt und auch die Hörgewohnheiten verändern sich. Deshalb müssen wir uns mittelfristig sehr genau anschauen, wie unsere Programme aufgestellt sind und dann – neben den MA-Zahlen – unsere eigenen Studien entsprechend einbringen.

promedia: Das Inforadio hat 10 Prozent Verlust, das Deutschlandradio gewinnt dagegen in Berlin. Werden Sie die Reform auch bei Ihrem Inforadio beginnen?
Dr. Claudia Nothelle:
Das eine hat mit dem anderen nicht unbedingt etwas zu tun. Deutschlandradio und Inforadio lassen sich nur mittelbar vergleichen. Die beiden Programme bieten zwei unterschiedliche Informationsangebote. Im inforadio bekommen die Hörerinnen und Hörer in 20 Minuten „alles was Sie wissen müssen“. Deutschlandradio setzt auf längere Formate. Damit hat das Programm 70.000 Hörer in unserer Region,  unser Inforadio 260.000. So gesehen sind wir relativ gelassen – aber wir möchten natürlich mehr Hörer beim Inforadio haben.

Deshalb arbeiten wir an dem Programm – ganz unabhängig von der MA. Wichtig ist es uns, den Mehrwert klar zu machen: Der Hörer bekommt leichter, schneller und kompetenter die Information, die er sich sonst im Netz zusammensuchen würde. Denn der Hauptkonkurrent eines Inforadios ist das Internet.

promedia: Sie positionieren das Inforadio bewusst gegen das Internet…
Dr. Claudia Nothelle: Ja, wir müssen doch sehen, woher ein politisch, aktuell und wirtschaftlich interessierter Mensch seine Informationen bezieht – da ist das Netz zunehmend eine wichtige Quelle. Deshalb werden wir noch stärker als bisher die Synergien zwischen Radio und Internet nutzen und Portale bieten, die Informationen sortieren und gewichten, also die klassischen journalistischen Aufgaben übernehmen. Aber das Radio bleibt als eigenes Medium erhalten – und bringt unschlagbare Vorteile. Ich kann nicht im Internet surfen, während ich unter der Dusche stehe, Inforadio hören kann ich schon.

promedia: Wie sehen Sie die Kompatibilität des Inforadio-Onlineangebotes und dem neuen Profil im Hörfunk?
Dr. Claudia Nothelle: Unser Inforadio-Onlineangebot ist noch nicht so ausgebaut, wie wir es uns wünschen. Wir arbeiten daran und versuchen, ein rbb-Informationsportal zu entwickeln, in dem wir alle wertvollen und wichtigen Informationen aus Radio und Fernsehen bündeln und so unser gutes Informationsangebot für Berlin und Brandenburg auch entsprechend präsentieren. Da könnte dann auch der Inforadio-Hörer landen, der weitergehende Informationen sucht. Aber schon jetzt bietet ihm die Inforadio-Seite das Wichtigste zum Nachhören und weitergehende Informationen

promedia: Die jungen Radiowellen erreichen mehr Jugendliche als die TV-Angebote. Woran liegt das?
Dr. Claudia Nothelle: Wir können im Radio unsere Programme sehr viel passgenauer zuschneiden und sagen: Das ist die Zielgruppe von Welle A und das die von Welle B. Wir müssen nicht – wie beim Fernsehen – mit einer Welle alle erreichen. Zum zweiten ist Musik für die junge Zielgruppe extrem wichtig. Das ist im Fernsehen nur ein Randthema, also für das Radio in der Hinsicht einen klarer Vorteil. Und wir verfügen über viele gute, kreative Macher in den jungen Radiowellen. Deshalb überlegen wir, wie wir für diese Ideen und diese Kreativität einen besseren Transfer erreichen, ohne aus dem Fernsehen eine junge Radiowelle zu machen.

promedia: Die Kreativität ist beim Radio höher als beim Fernsehen?
Dr. Claudia Nothelle: Es liegt daran, dass das Fernsehen in vielen Bereichen ein vergleichsweise geschlossenes System ist, mit hoher Hemmschwelle für Quereinsteiger, und sich nicht so schnell verändert wie Radio. Radio ist flexibler und kann sich anpassen. Beim Eurovision Song Contest im letzten Jahr gab es eine sehr gute Zusammenarbeit beispielsweise zwischen den jungen Wellen und dem Fernsehen, als Lena den deutschen Vorausscheid gewonnen hatte. Oder auch beim Echo arbeiten Fernsehen und junge Wellen eng zusammen. Nun arbeiten wir an weiteren Projekten, bei denen die Zusammenarbeit passt. Davon müsste es sehr viel mehr geben. Wir probieren das auch bei uns im rbb an der einen oder anderen Stelle aus, oft mit großem, manchmal aber auch mit weniger Erfolg.

promedia: Das heißt, im Radiobereich liegt das kreative Zukunftspotential der ARD?
Dr. Claudia Nothelle: In einer jungen Radiowelle kann man schneller etwas ausprobieren, dort sind die Bedingungen flexibler. Außerdem: die Konsequenzen sind nicht gleich so weitreichend wie ein misslungener Test im Fernsehen um 20.15 Uhr. Aber auch der Erfolgsfall wird nicht so wahrgenommen …In weiten Teilen liegt im Radiobereich das kreative Zukunftspotenzial, ja. Wobei nicht jeder Radiomacher Fernsehen und nicht jeder Fernsehmacher Radio produzieren kann.

promedia: „Fritz“ gibt es seit 20 Jahren. Warum dauert es so lange, bis man merkt, was sich in den jungen Radiowellen an Potential auch fürs Fernsehprogramm der ARD gesammelt hat?
Dr. Claudia Nothelle: Weil das lange Jahre getrennte Welten waren und der Transfer nicht allzu groß war. In den vergangenen zwei bis drei Jahren hat man ARD-weit – auch durch die Entwicklung des Internets – die Vorzüge eines solchen Transfers entdeckt. Es geht vor allem darum, wie wir das Zusammenspiel der Medien langfristig und Programm-übergreifend  nutzen, das Potential sehen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk fit für die Zukunft zu machen. Die vormals getrennten Welten wachsen auch deshalb jetzt zusammen, weil die Radiowelt das bewegte Bild für ihre Onlineangebote entdeckt hat. Das braucht dann oftmals eine andere Ästhetik und Handschrift, als sie im klassischen Fernsehen üblich ist.

promedia: Was kann das Fernsehen vom Radio lernen?
Dr. Claudia Nothelle: Die Beweglichkeit, schneller zu reagieren. Fernsehen kann lernen, sich mehr als ein gesamtes Programm zu verstehen und nicht nur als Summe von Einzelteilen. Auch im Bereich Kreativität kann Fernsehen einiges lernen, auch wenn sie nicht alles 1:1 übernehmen müssen. Allerdings: Radio kann auch vom Fernsehen lernen …

promedia: Sie praktizieren das Wechselspiel zwischen Radio und Fernsehen als eine der wenigen ARD-Anstalten im eigenen Haus. Wie sind bisher Ihre Erfahrungen?
Dr. Claudia Nothelle: Es hat sich bereits einiges weit über den Informationsbereich hinaus entwickelt. Radio und Fernsehen erarbeiten an vielen Stellen gemeinsam Ideen, die medienübergreifend funktionieren. Wir produzieren in diesem Sommer für das rbb-Fernsehen das „Berlin-Brandenburg-Duell“, dafür sucht radioBERLIN 88,8 eine Mannschaft mit Berlinern zusammen und Antenne Brandenburg die besten Brandenburger. Hier nutzt jedes Medium seine spezifischen Mittel. Eine andere Variante ist die Berichterstattung zum 13. August, dem 50. Jahrestag des Mauerbaus. Hier wurde vieles langfristig geplant, etwa Interviews mit Zeitzeugen, gemeinsame Themensetzung und Schwerpunkte. Dabei wird auch die Frage beantwortet, was Radio vom Fernsehen lernen kann: Publizistisch ein längerfristigeres Denken und Planen. Im Radio sind die Vorläufe kürzer, was oft hilfreich ist, aber es ist auch gut, sich schon im Frühjahr damit zu beschäftigen, was zum 13. August läuft.

promedia: Nun will die ARD die Zusammenarbeit der jungen Wellen intensivieren. Wie könnte eine engere Zusammenarbeit aussehen?
Dr. Claudia Nothelle:
Das Beispiel des Eurovision Song Contests zeigt, wie engere Zusammenarbeit aussehen kann. Auch im Bereich der Comedy gibt es einen Austausch, wenn es in die Farbe des jeweiligen Senders passt. Wir könnten noch  stärker gemeinsame Akzente setzen, aber grundsätzlich gilt: die jungen Programme brauchen auch weiterhin ihre regionale Anbindung. Die jungen Wellen positionieren sich sehr stark über regionale Identität,  die ist in Berlin-Brandenburg nun einmal anders als in Schwerin, Hamburg oder Frankfurt.

promedia: Die Diskussion um einen Jugendfernsehkanal ist aufgrund der Kosten vorerst ausgesetzt, trotz eines sehr positiven Echos aus der Politik. Nun ist eine Online-Seite im Gespräch. Können Sie sich eine Art „Online Fritz“ der ARD mit Bewegtbild vorstellen?
Dr. Claudia Nothelle: Das positive Echo aus der Politik war zwar ermutigend, andererseits wissen wir aus Befragungen Jugendlicher, dass sie in der Mehrheit keinen Jugendfernsehkanal wollen, sondern interessante Angebote online. Die Generation der Studierenden, Berufseinsteiger oder Auszubildenden führt ein mobiles Leben. Brauchen die einen eigenen Fernsehkanal? Wir müssen in unseren Fernsehangeboten sicher mehr für Zuschauer um die 50 Jahre tun, aber wie definiere ich Angebote für die unter 30-Jährigen? Ich halte sehr viel von einem ARD-Onlineangebot, bei dem im Hintergrund auf einer gemeinsamen Plattform Inhalte hinterlegt sind und das Design für die jeweilige ARD-Anstalt angepasst ist. Man kann sich das Ganze auch personalisiert vorstellen: So hat der Nutzer einen individuellen Zugang, hinterlässt Informationen über seinen Lieblingsmusiker und erhält entsprechende Informationen, unabhängig von dem Programm, in dem der Künstler auftritt. Es könnte ein Angebot geben, in dem all das, was die ARD an Inhalten liefert, so präsentiert wird, dass die junge Zielgruppe es auch entdeckt.

promedia: Welchen Beitrag könnte der rbb dazu leisten?
Dr. Claudia Nothelle:
Wir werden mit dieser Vorstellung einer personalisierten Mediathek in die Diskussion hineingehen und schauen, was wir vor allem an Ideen und Budget einbringen können. Die Plattform muss sicher von allen Anstalten zusammen finanziert werden. Wir können Inhalte anbieten, nicht nur von Fritz, sondern auch einiges von dem, was sich auf der radioeins-Seite befindet und manches aus unserem Fernsehangebot. Themen von Krömer bis zu Kessler passen auf eine junge Seite und finden dort ein Publikum.

promedia: Reicht es aus, für so ein ambitioniertes Projekt nur Vorhandenes zusammen zu bringen?
Dr. Claudia Nothelle:
Auch darüber muss man nachdenken. Es gibt immer wieder Ansätze, speziell für ein junges Publikum, auch Neues zu produzieren. So wollen wir vom New Music Award, der dieses Jahr am 6. September in Berlin verliehen wird, auch für das Fernsehen (EinsFestival) produzieren: Das ist vom Bild her ergiebig, nicht nur ein Radioereignis und könnte auch auf einer jungen Onlineseite Platz finden. Es ist aber trotzdem ein Unterschied, ob man einige neue Angebote für ein Onlineportal entwickelt und produziert oder ob man einen komplett neuen Fernsehkanal aufbauen will, der dann in der digitalen Welt ein junges Publikum zu finden versucht.

Claudia Nothelle, Programmdirektorin des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)

Weitere Informationen: promedia

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