Berlinale wandelt sich und bleibt sich dennoch treu. Interview mit Dieter Kosslick, Direktor der Berlinale in der promedia

Seit 10 Jahren ist Dieter Kosslick Direktor der Berlinale. In diesen  zehn Jahren hat sich die Berlinale gewandelt, wurden zahlreiche Module, wie der Talent Campus oder der World Cinema Fund angedockt. „Dadurch“, so Dieter Kosslick in einem promedia-Gespräch, bauen wir eine Beziehung und eine weltweite Vernetzung auf. Darin sehe ich mehr oder minder unsere Zukunft.“ Denn nach Auffassung des Berlinale-Chefs, müssen sich die Berliner Filmfestspiele weiter verändern, um angesichts zahlreicher neuer Filmfestivals bestehen zu können.

Dieter Kosslick, Direktor Berlinale

 

promedia: Herr Kosslick, Sie feiern in diesem Jahr ein Jubiläum. Seit 10 Jahren sind Sie Berlinale-Direktor. Man hat den Eindruck, es macht Ihnen immer noch Spaß?

Dieter Kosslick: Ja, so ist es. Das 60. Jubiläum der Berlinale ist vorbei, jetzt kommt mein zehntes. Wir haben erst zum Schluss der Festivalvorbereitungen festgestellt, dass es nun doch schon 10 Jahre sind. 2001 bin ich angetreten, 2002 war meine erste Berlinale. Es macht immer noch Spaß, obwohl ich bereits ein paar Narben vom heißen Kampf um die Filme abbekommen hat. Aber es wird auch in diesem Jahr wieder eine schöne Berlinale geben. Daher bin ich guter Dinge.

promedia: Was machen Sie, um nicht betriebsblind zu werden?

Dieter Kosslick: Ich glaube, ich bin in meinem ganzen Arbeitsleben noch nie richtig betriebsblind geworden. Das hat damit zu tun, dass ich mich und meine Kollegen immer wieder zu Veränderungen antreibe. In den vergangenen 10 Jahren ist jedes Jahr etwas Größeres passiert, sei es nun der Talent Campus, der World Cinema Fund, der Koproduktionsmarkt oder die Perspektive Deutsches Kino. Mit German Cinema – LOLA@Berlinale haben wir jetzt nochmals eine Initiative für den deutschen Film gestartet. Bei der letzten Berlinale liefen 40 Filme, die im Ergebnis unserer eigenen kleinen Initiativen entstanden sind. Der Talent Campus ist mittlerweile ein Merchandising-Instrument. Es gibt inzwischen fünf Campus-Ableger auf der ganzen Welt. Wir haben mit dem World Cinema Fund Cannes-Gewinner, es gab einen „Bären“-Gewinner und in Venedig liefen WCF-Filme erfolgreich im Wettbewerb und weiteren Sektionen. Wir können auf Oscar-Nominierungen für „unsere hausgemachten Filme“ verweisen. Wenn man bedenkt, wie kompliziert es ist, selbst eine kleine Initiative in eine 60 Jahre alte, gut geschmierte Maschine wie die Berlinale zu integrieren, ist das enorm. Nach dem diesjährigen Festival werden wir die Berlinale auf den neusten technologischen Stand bringen und darüber nachdenken, was wir verändern müssen, um uns auch künftig behaupten zu können. Das betrifft vor allem den Markt. Wir haben ein Problem: Wir sind zu erfolgreich, als dass es  nötig erscheint, uns zu verändern. Aber das ist normalerweise das Ende eines jeden Unternehmens. Deshalb wird auch künftig unsere Konstante die Veränderung sein.

promedia: Worauf werden Sie verzichten, wenn Sie Neues planen?

Dieter Kosslick: Auf was sollen wir verzichten? Warum sollten wir z.B. auf den Talent Campus verzichten? Wir hatten bisher 4.000 Teilnehmer aus 135 Ländern, also 2/3 aller Länder der Welt. Daraus haben wir so viele gute Filme und Filmemacher bekommen, die auch wieder nach Berlin zurück kamen. Wir werden 2011 einen Film von Pauloa Markovitch dabei haben, die 2004 das Drehbuch zum mexikanischen Film „Lake Tahoe“ geschrieben hat, dessen Regisseur Fernando Eimbcke bei unserem ersten Talent Campus war. Jetzt haben wir das Regiedebüt dieser Frau im Wettbewerb. Warum sollte man mit dem Koproduktionsmarkt aufhören? Das allerwichtigste ist, dass wir neue Filme bekommen, denn das klassische Festival-Geschäft verstreut einige Filme auf die 1000den von Filmfestivals, die täglich aus dem Boden sprießen. Der Koproduktionsmarkt umfasst derzeit 500 Produzenten. Im Wettbewerb wird ein Film laufen, der seine Partner durch den Koproduktionsmarkt im Jahr zuvor gefunden hat. Mit keinem unserer Projekte könnte man aufhören, weil wir uns selbst damit schaden würden.

promedia: Müssen Sie aber weiterhin so viele Filme öffentlich zeigen?

Dieter Kosslick: Dieses Jahr haben wir, aufgrund der Schließung des Zoopalastes, das Programm sehr gestrafft. Wenn man in den spezialisierten Schokoladenladen geht, gibt es dort alle Schokoladen der Welt. Das ist ein ziemlich umfangreiches Sortiment, aber es ist nur Schokolade. Wir sind eher die Ess-Etage des KaDeWe. Man hat dort alles, was es gibt. Das erwarten auch die Berliner. Daran kann man nichts ändern. Die Berlinale war schon immer groß. Wir haben eine neue Art der Programmierung versucht, indem wir einige Filme in andere Reihen programmiert haben und mehr vom Kino ausgegangen sind. Wir haben ein kompakteres Programm, aber auch das ist ein zweischneidiges Schwert. Zum einen stehen noch 50.000 Menschen vor den Kassen und wollen eine Karte haben. Und ich bin der Letzte, der die Menschen vom Kinobesuch abhält. Wenn die Leute ins Kino wollen, dann zeigen wir ihnen die Filme. Jeder, der zur Berlinale gehen will, soll sich das heraussuchen, was er möchte.

promedia: Das heißt, Sie werden noch mehr Aufführungsmöglichkeiten schaffen, um die 50.000 Menschen, die keine Karte bekommen, zu versorgen?

Dieter Kosslick: Es gibt eine Endlichkeit unserer Möglichkeiten, denn wir dürfen die Filme nur zweimal als Pressevorführung und nur zweimal für das Publikum spielen. Wir können nicht alle Kinos der Stadt bespielen. Das würde ich gern machen, aber es geht nicht. Aber es ist wichtig, dass wir Alternativen suchen wie das Kiezkino. Das war eigentlich nur eine Geburtstagsidee, hat aber den Nerv der Leute getroffen, genauso wie damals der Friedrichstadtpalast. 2012 werden wir ein neues Kino dazubekommen, das 900-Platz-Theater in der Schaperstraße. Das Theater wurde als Kino umgebaut. 2013 haben wir wieder den Zoopalast.

Wir müssen uns auch finanzieren. Wenn wir 10.000 Besucher weniger hätten, wären es auch weniger Einnahmen. Wenn wir 100.000 Besucher weniger hätten, entsprechend noch weniger.

promedia: Um Ihren Vorgänger einzuholen, müssen Sie noch ein paar Jahre arbeiten…

Dieter Kosslick: Dann müsste ich noch genau 13 Jahre arbeiten. Dann bin ich 78 Jahre alt.

promedia: Das ist doch ein gutes Alter.

Dieter Kosslick: Mit 80 höre ich dann aber auf.

promedia: Sie sprachen die vielen Festivals an, die neu entstanden sind. Wird es damit schwerer für Sie, die Filme zu finden, die zur Berlinale passen?

Dieter Kosslick: Ja, es wird immer schwieriger, aus einer Vielzahl von Gründen. Dazu gehört unter anderem die Oscar-Vorverlegung. Dennoch haben wir auch in diesem Jahr wieder zwei Weltpremieren. Warum soll ich also klagen? Klagen und trotzdem „True Grit“ haben, einen der besten Filme, die gerade im Kino laufen? Und das obwohl in den letzten Jahren fünf bis zehn neue Festivals mit einer ordentlichen Power entstanden sind. Mit hohen Preisgeldern. Zum anderen hat sich die Strategie der Filmverleiher verändert. Es muss schneller gehen, die Piraterie ist ein Thema, die Art der Filme, Stichwort „Avatar“, verändert sich. Die mittelgroßen Filme sind seltener geworden. „The Kids Are All Right“ wurde gerade beim Golden Globe zum besten Film ausgezeichnet und zum Oscar nominiert. Wir liegen mit unserer Programmierung meistens richtig, aber viele solcher Filme gibt es nicht. Es ist wichtig, neue Wege zu gehen. Das Forum Expanded expandiert weiter. Wir arbeiten in diesem Jahr mit 50 Galerien zusammen. Das hat eine Reflektion in unserem Programm. Bei einem Film wie „Miranda July“ wäre es vor 10 Jahren nicht so klar gewesen, dass dieser in den Wettbewerb kommt. Wir haben inzwischen viele innovative Filme im Programm, die neue Wege gehen. Um uns gegen die anderen Festivals zu positionieren, müssen wir auch etwas anderes bieten. Die Filmindustrie ist aus vielen Gründen im Umbruch. Das hat etwas mit Technologie, Auswertungsfenstern und vielen anderen Dingen zu tun. Das geht auch an uns nicht spurlos vorüber.

promedia: Aber die Berlinale steht 2011 wieder strahlend da…

Dieter Kosslick: Das größte Problem ist, dass man, solange alles in Ordnung ist, schlecht klagen kann. Ein Beispiel: Der Eröffnungsfilm der diesjährigen Berlinale war ursprünglich nicht „True Grit“. Ich habe auf diesen Film nicht gesetzt, weil ich dachte, „True Grit“ endet in Cannes. Wir haben immer noch die Möglichkeit, diese großen Filme zu bekommen, weil die Filmemacher und auch die großen Studios der Berlinale und ihrer nahezu perfekten Maschinerie vertrauen.

promedia: Inklusive der Marketingkraft, sicherlich…

Dieter Kosslick: Genau. Die Entscheidung „True Grit“ in Berlin zuzeigen hat letztendlich etwas damit zu tun, dass Paramount, das sich als Studio international neu positioniert, mit „Shutter Island“ hier eine super Erfahrung gemacht hat. Es gab keine Klagen, keine Pannen, nichts. Es war einfach perfekt.

promedia: Nahezu die Hälfte der Wettbewerbsfilme in diesem Jahr kommt aus Deutschland oder ist mit deutscher Beteiligung entstanden. Andererseits ist die Bilanz des deutschen Films 2010 so schlecht wie lange nicht mehr gewesen. Ist das ein Widerspruch?

Dieter Kosslick: Nein, es sind so extrem unterschiedliche deutsche Filme, die wir zeigen. Das ist nach wie vor der Beweis, dass in Deutschland sehr gute Filme entstehen.

promedia: Also keine Krise des deutschen Films, weil sich der Marktanteil halbiert hat und die Besucherzahlen zurückgegangen sind?

Dieter Kosslick: In der Zeit, in der ich beim Film bin, war der Marktanteil mal bei 12 Prozent, dann bei 34 Prozent. Ich sehe strukturell keine Probleme. In spätestens drei bis vier Monaten wird der Marktanteil wieder hoch sein. Es reicht, wenn ein Til Schweiger-Film ordentlich Besucher anzieht und es gibt aktuell drei, die ins Kino kommen.

promedia: Sie haben eine Kooperation mit dem amerikanischen Sundance Filmfestival. Was haben Sie davon?

Dieter Kosslick: Diese Kooperation besteht schon sehr lange. Es hat etwas mit mir persönlich zu tun, weil ich als erster Deutscher am Robert Redford Sundance Institut 1989 einen Vortrag gehalten habe. Der Assistent, der mir damals das Zimmer gezeigt hat, ist heute der Festivaldirektor. Dann gab es bei der Berlinale die Tradition des IFP, des Independent Feature Projects. Wir haben mit dieser Szene, die sich gerade bei Sundance präseniert, viel zu tun. Es gab bereits vor einiger Zeit eine offizielle Kooperation, aber nur mit dem Markt. Wir präsentierten dort unter dem Label „Straight from Sundance“ 20 Filme, die gerade bei Sundance gezeigt wurden. Wir haben, auch im Wettbewerb, immer Sundance-Filme gezeigt. Da Sundance kein A-Film Festival ist, so können wir problemlos einen Film zeigen, der dort gelaufen ist. Für den Markt, für die Auswertung und die Filmindustrie ist das hervorragend. Da wir in Berlin mehr Independent American Films zeigen wollen, haben wir uns geeinigt, Filme, die nicht dort im Wettbewerb laufen, in Berlin im Wettbewerb zu zeigen. Dieses Jahr hatten wir einen speziellen Fall: Eine Regisseurin, die vor fünf Jahren in Sundance entdeckt worden ist, hat einen Film mit deutschem Geld koproduziert. Damit war nach den klassischen Regeln alles durcheinander. Es ist ein deutscher Film. Der darf eigentlich nicht hierher, aber es ist zugleich ein klassischer American Indie. Damit darf er wieder gezeigt werden. Also zeigen wir ihn als Teil einer Kooperation mit Sundance. Das Sundance-Festival hat etwas davon. Wir haben etwas davon. Unserem Festivalprofil entsprechen viele Filme, die auch in Sundance laufen. Wir haben zwar dieses Jahr viel weniger Sundance-Filme Jahr, aber wir haben diese Kooperation und werden sie ausweiten.

promedia: Liegt in der Kooperation mit solchen Festivals eine Chance, an Filme zu kommen, die kein anderes A-Festival erhält?

Dieter Kosslick: Es ist kein regionales Filmfestival, es ist das größte Independent Filmfestival im Nordamerikanischen Bereich. Mit Rotterdam sind wir vor acht Jahren auch eine Kooperation eingegangen, den Rotterdam-Berlinale Express. Es gibt jährlich zwischen 3-5 Projekte, die vom Markt in Rotterdam kommen. Aber mit anderen Festivals ist es schwierig. Dafür sind Zeitpunkt oder Profil ungünstig. Natürlich müssen wir auch über den Koproduktionsmarkt neu nachdenken. Wir müssen insgesamt neu denken. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die beste Festivalpolitik darin besteht, Filmemacher und Kreative an uns zu binden. Das machen wir am allerbesten mit unseren Initiativen. Die vorhandene Berliner Altruistik, dass wir nach wie vor die Leute beim Talent Campus nach ihrer Begabung aussuchen und nichts von ihnen verlangen und auch beim World Cinema das Fund-Regularium nicht drin steht, dass sie ihre Filme in Berlin zeigen müssen, zahlt sich aus. Wir üben keinen Zwang aus. Dadurch bauen wir eine Beziehung und eine weltweite Vernetzung auf. Darin sehe ich mehr oder minder unsere Zukunft.

Artikel in der promedia 2/2011
Weitere Informationen: promedia

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