„Wir brauchen eine Entwicklungsstrategie für den Glasfaserausbau“, Prof. Dr. Bernd Holznagel, Direktor des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht in Münster

Interview mit Prof. Dr. Bernd Holznagel, Direktor des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht, Münster, promedia 7/2010

Der Finanzminister hat durch die Versteigerung der neuen Mobilfunkfrequenzen 4,385 Milliarden Euro eingenommen. Die besonders begehrten Frequenzen der sogenannten Digitalen Dividende zwischen 790 und 862 Megahertz gingen an die Deutsche Telekom, Vodafone und O2, während E-Plus leer ausging.Der Milliardenpoker um die neuen Mobilfunkwellen hatte Mitte April begonnen. Im Angebot waren Frequenzen für die Mobilfunktechnik der vierten Generation (4G), die deutlich schnelleres Internet als bisherige Festnetz- und Mobilfunkanschlüsse bieten soll. Die Frequenzen der Digitalen Dividende waren bislang durch analoge Sender belegt, die aufgrund der Digitalisierung abgeschaltet wurden. Sie waren begehrt, da Mobilfunkanbieter ihre Netze für mobile Datendienste ausbauen müssen. Insgesamt wurde ein Paket von 360 Megahertz versteigert – mehr als doppelt so viel wie bei der UMTS-Auktion vor zehn Jahren. Die Bundesregierung hatte den Verkauf jedoch an die Bedingung geknüpft, zuerst die Regionen in Deutschland zu versorgen, die bislang keinen Zugang zum Internet haben.

Bernd Holznagel
Bernd Holznagel, Direktor des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht, Münster

promedia: Herr Holznagel, die Digitale Dividende ist versteigert. Sie brachte 4,4 Milliarden Euro ein. Ist dieses Ergebnis viel oder wenig?
Bernd Holznagel: Die Analysten hatten einen Betrag zwischen vier und acht Milliarden Euro erwartet. Was realistisch ist, bestimmt der Markt. Bei UMTS waren es 50 Milliarden Euro, jetzt sind es vier, obwohl das Frequenzspektrum größer ist.

promedia: Bedeutet das, dass Frequenzen nicht mehr so viel Wert sind wie vor zehn Jahren?
Bernd Holznagel: Ja, das bedeutet es. Der Markt bewertet heute Frequenzen ganz anders. Offenbar waren die Erwartungen, die damals an die UMTS-Technologie gestellt wurden, sehr viel höher als die, die an die neue Technologie gestellt werden. Die Umstände sind anders: Damals waren wir in der Mitte eines Internet- und Telekommunikationshypes. Es ist nicht nur beim Mobilfunk so, dass sich gewisse ökonomische Erwartungen nicht erfüllt haben. Andererseits existieren heute mit Google u. a. extrem erfolgreiche Internetunternehmen. Es lässt sich immer schwer sagen, wer als Erster durchkommt.

promedia: Werden mit den versteigerten Frequenzen alle weißen Flecken in den ländlichen Gebieten versorgt werden können?
Bernd Holznagel: Nein, denn der Mobilfunk ist ein Shared Medium. Je mehr Leute sich in der Funkzelle befinden, desto weniger Bandbreite kommt bei jedem Einzelnen an. Das sind maximal zwei oder drei Megabit/s und damit deutlich weniger als die LTE-Technologie in den Labors verspricht, wo es gelungen ist, über 50 Megabit/s zu übertragen. In der Praxis ist der Teil der Digitalen Dividende, der jetzt versteigert wurde, nicht ausreichend um in dünner besiedelten Räumen zu einer nachhaltigen Lösung des Breitbandproblems zu kommen. Es scheint mir die politische Erwartung höher zu sein als das, was die Industriewelt in Aussicht stellt. Wir müssten noch mehr Digitale Dividende versteigern, um in die ländlichen Regionen per Funk mehr Bandbreite zu bringen. Das hat einfach etwas mit der Physik zu tun. Die Zukunft des neuen Mobilfunks liegt mehr darin, dass die Veränderung des Lebens stark in Richtung Mobilität zeigt. Zudem sind die Verbraucher auch bereit, hier für die Diensteangebote zu zahlen. Im Internet herrscht ja die Gratismentalität vor.

promedia: Von diesen Entwicklungen profitieren anscheinend die Telekommunikationsunternehmen viel weniger als Plattformbetreiber.wie Google oder Apple …
Bernd Holznagel: Die Telekommunikationsunternehmen stehen vor dem Problem, dass sie in Hochleistungsnetze, Glasfaser-, aber auch LTE-fähige Funknetze, investieren müssen. Aus dem Netzbetrieb allein, kann man heute aber keine hohen Renditen mehr erzielen. Der Konsument hat sich nämlich durch die Flatrates an den Preisverfall bei Telekommunikationsleistungen gewöhnt. Die Gefahr für sie ist, dass die Diensteanbieter, allen voran Google, das Geschäft machen. Die Telekommunikationsanbieter haben deshalb wenig Neigung, Netze auszubauen, ohne die Aussicht zu haben, hieran hinreichend zu verdienen. Dies ist der Grund, warum der Breitbandausbau in Deutschland in vielen Regionen so schleppend erfolgt.

promedia: Aber es war das Ziel der Bundesregierung, mittels Digitaler Dividende die ländlichen Gebiete mit Breitband zu versorgen.
Bernd Holznagel: Die Breitbandstrategie des Bundes hat unterschiedliche Standbeine. Die Versteigerung der Digitalen Dividende ist sicherlich ein Aspekt. Die Versteigerung wird auch dazu führen, dass sich die Breitbandsituation in den ländlichen Räumen verbessert. Es wird dort nicht möglich sein, von heute auf morgen Glasfasernetze zu bauen. Langfristig müssen die Kupfernetze durch Glasfasernetze ausgetauscht werden. Dieses Ziel wird in der „Digitalen Agenda“, die die europäische Kommission im letzten Monat publiziert hat, deutlich. Danach sollen 1/3 der Haushalte in der EU bis 2020 mit 100 Megabit/s versorgt werden. Das lässt sich nur noch über Glasfaser bewerkstelligen.

promedia: Lohnt sich dann der Aufbau eines mobilen Breitbandnetzes noch?
Bernd Holznagel: Natürlich. Man kann mit dem Mobilfunk sicherstellen, dass die Menschen mobil z.B. im Internet surfen können. Auch wird das Mobiltelefon seine Funktionen erweitern, z.B. kann man damit bezahlen. Mittelfristig wird aber der Breitbandbedarf stark anwachsen. Gerade wenn es darum geht, Videos über die Netze zu verbreiten, steigt die benötigte Bandbreite stark an. Dies kann mit der mobilen Versorgung allein schwerlich bewältigt werden.

promedia: Die Mobilfunker setzten auf LTE als die Wundertechnologie, mit der riesige Bandbreiten möglich sind und mobiles Internet, auch Bilder, Videos o. ä. übertragen werden können. Ich höre bei Ihnen Skepsis. Woher kommt diese?
Bernd Holznagel: Die bisher verteilte Digitale Dividende ist vergleichsweise schmal. Die Blöcke, die versteigert wurden, erlauben den Unternehmen sehr viel weniger als die Technologie hergibt. Wenn man den gesamten Rundfunk abschalten und die Frequenzen dem Mobilfunk geben würde, könnte man sicher die Bandbreiten maßgeblich erhöhen und sich dem Laborziel deutlich nähern. Deshalb gibt es viele Stimmen, die sagen, dass ein weiteres Rundfunkspektrum versteigert werden soll.

promedia: Sehen Sie die Notwendigkeit, dass der Rundfunk das, was an Frequenzen für ihn gesichert ist, auch benötigt oder kann man noch etwas davon für die Datenwege nutzen?
Bernd Holznagel: Damit stellt sich die Frage: Wie viel Rundfunk braucht der Mensch? Nach unserer Verfassungsordnung ist es Aufgabe der Länder, das zu definieren – es ist maßgeblich eine politische Frage. Man wird abwarten müssen, inwiefern das Rundfunkspektrum im Zeichen der Digitalisierung noch von den Rundfunkveranstaltern sinnvoll genutzt wird. Wenn wir zu höheren Standards wie MPEG4 kommen, kann man die Hälfte des Spektrums einsparen und mit der verbleibenden Hälfte genau die Programme ausstrahlen, die man jetzt mit dem doppelten Spektrum ausstrahlt.

promedia: Wie schnell müssten sich die Länder für die Versteigerung weiterer Frequenzen entscheiden?
Bernd Holznagel: Man sollte erst einmal die Netze aufbauen und insbesondere darauf achten, dass die Verpflichtung zur Versorgung der ländlichen Räume erfüllt wird. Die Mobilfunker dürfen nämlich nach den Vorgaben der Bundesnetzagentur, ihre Dienste erst dann in den Städten anbieten, wenn ihre Versorgungsauflagen für die ländlichen Räume erfüllt sind. Erst einmal gilt es die Netze für die jetzt versteigerten Frequenzen aufzubauen. Danach sehen wir weiter. Was wir aber jetzt schon tun müssen, ist eine Anpassung der Breitbandstrategie an die neuen Herausforderungen. Wir brauchen eine Entwicklungsstrategie für den Glasfaserausbau. Das ist keine Strategie für die nächsten zwei bis drei Jahre, sondern für die nächsten 20 Jahre, denn solange dauert es die Netze auszutauschen. Das wäre zugleich ein Investitionsprogramm. Wir müssen nicht nur sparen, sondern auch investieren. Warum dann nicht Ausbau sinnvoller Infrastruktur? Die Zukunft liegt in den Glasfasernetzen.

promedia: Wie neutral müssen diese neuen Netze dann angeboten oder genutzt werden können?
Bernd Holznagel: Die Frage nach der Netzneutralität steht im Mittelpunkt der Diskussion um das neue TKG. Die Telekommunikationsanbieter möchten von Dienstanbietern wie Google zusätzlich zu den Entgelten, die sie für den Transport bekommen, ein weiteres Entgelt erhalten, damit sich der Ausbau und die Investition in neue Netze für sie lohnt. Auf der anderen Seite verweist die Internet-Community darauf, dass das Innovationspotential des Internets leidet, wenn man Wegezölle für besonders schnelles Internetangebot verlangt. Das Internet, wie wir es heute kennen, gehöre dann der Vergangenheit an. Wie man damit regulatorisch umgehen kann, ist derzeit heiß umstritten. Ich plädiere dafür, dass man eine Autobahn auf dem Datenstrom für ein „Internetangebot für alle“ reserviert.

promedia: Wodurch ist die Netzneutralität vor allem gefährdet?
Bernd Holznagel: Das Festnetz ändert sich dadurch, dass alle Netze zu „Next Generation Networks“mutieren. Das sind vor allem Glasfasernetze, die mit veränderten Protokollen arbeiten. Mit diesen neuen Protokollen kann man zukünftig die Datenpakete beschleunigen, aber auch entschleunigen oder gar nicht durch das Netz lassen. Das ging bisher nicht. In der alten Welt herrschte das „Best Effort-Prinzip“. Jedes Datenpaket ist dorthin transportiert worden, wo es in den Leitungen Platz dafür gab. Wenn man innerhalb Münsters eine E-Mail verschickte, konnte sie um den ganzen Erdball gehen, weil eben zufällig Kapazitäten frei waren. Diese Spielregeln ändern sich. Das Netzmanagement ist heute viel difiziler. Deshalb müsste man in der neuen Netzprotokollwelt regulatorisch die Unternehmen verpflichten, eine Spur der Datenautobahn für das Internet wie wir es heute kennen. Auf den anderen Autobahnspuren können die Telekommunikationsunternehmen dann zulassen, dass die Datenpakete nicht mit 130 km/h, sondern mit 200 km/h oder mehr transportiert werden.

promedia: Ist tendenziell nicht das gleiche Problem beim mobilen Internet zu befürchten?
Bernd Holznagel: Das Problem der Netzneutralität gibt es auch im Mobilfunk. Die Software „Skype“ kann nicht auf bestimmte Mobilfunkendgeräte gespielt werden, weil man verhindern will, dass hierdurch günstiger telefoniert wird. Dort werden also bestimmte Dienste gesperrt. Hiergegen sollte der Gesetzgeber im Interesse der Verbraucher vorgehen. So könnte in das neue TKG eine Regelung zur Sicherung der Netzneutralität aufgenommen werden. Auch im Koalitionsvertrag wird eine Prüfung der Netzneutralität in Aussicht gestellt. Mal sehen, was die aktuelle Politik hieraus macht.

Über Prof. Dr. Bernd Holznagel

  • Geboren: 19. September 1957
  • 1976 – 1984 Studium Jura und Soziologie
  • 1984 – 1985 Master of Laws Program an der McGill University
  • 1985 – 1991 Promotion, Referendariat
  • 1991 – 1995 Hochschulassistent am Fachbereich Rechtswissenschaft II der Universität Hamburg
  • 1996 Habilitation
  • 1997 Ernennung zum Professor, Direktor des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und
    Medienrecht, Münster

Weitere Informationen: promedia

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