Nutzung der digitalen Dividende. Das Ergebnis ist nicht vorhersehbar

Interview mit Matthias Kurth, Präsident der Bundesnetzagentur, promedia 12/2009

Die für Telekommunikation zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding hatte ihre Bedenkenhoinsichtlich der Vergaberichtlinien für die Versteigerung der Digitalen Dividende jetzt in einem Schreiben an die Bundesnetzagentur bekräftigt. In diesem Schreiben schreibt Reding, dass die Behörde die Chance nutzen möge, um den Wettbewerbsnachteil der kleineren Netzbetreiber auszugleichen. Die EU-Kommission hege erhebliche Zweifel an der Ausgewogenheit der Auktion und bereite ein Vertragsverletzungsverfahren vor, berichtet das Nachrichtenmagazin in seiner neuen Ausgabe. Ein entsprechendes Verwaltungsschreiben solle noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht werden. Dass ein entsprechendes Verfahren in Erwägung gezogen wird, war bereits vor einigen Wochen bekannt geworden.

Matthias Kurth
Matthias Kurth

In einem promedia-Gespräch verteidigte Matthias Kurt, Präsident der Bundesnetzagentur, das Vergabeverfahren als „im Einklang mit den Zielen der Europäischen Kommission, dem Konjunkturpaket II und der Breitbandstrategie der Bundesregierung.“ Bei der für Frühjahr geplanten Auktion sollen Funkfrequenzen versteigert werden, die Rundfunk- und TV-Anstalten nicht mehr benötigen. Auf ihnen soll ein schneller Internetzugang auf Funkbasis realisiert werden, der auch dem chronisch schlecht versorgten ländlichen Raum zu Gute kommt. Die entsprechenden Nutzungsrechte sollten nach dem Willen der EU wettbewerbsneutral in jedem Mitgliedsstaat an neue Anbieter und bestehende Mobilfunkfirmen vergeben werden.

promedia: Herr Kurth, verschiedene Marktteilnehmer haben gefordert, die Versteigerung der Digitalen Dividende zu verschieben, bis alle offenen Fragen geklärt sind. Nun soll die Versteigerung im Frühjahr 2010 stattfinden. Warum dieses Tempo?
Matthias Kurth: Im Rahmen des Konjunkturpakets II und in der am 18. Februar 2009 vom Bundeskabinett beschlossenen Breitbandstrategie der Bundesregierung wurde festgelegt, dass der Frequenzbereich 790 – 862 MHz schnellstmöglich genutzt werden soll, um die Versorgung dünn besiedelter Gebiete mit innovativen Mobilfunkanwendungen und die Bereitstellung von breitbandigen Internetanschlüssen voranzutreiben. Die Breitband- strategie sieht vor, dass die sog. Digitale Dividende zumindest in einzelnen Regionen bereits beginnend im Jahr 2010 für die Sicherstellung einer leistungsfähigen breitbandigen Versorgung genutzt wird. Eine Verschiebung würde daher diese Ziele gefährden.

promedia: Werden diese Bedenken bis zur Versteigerung ausgeräumt sein?
Matthias Kurth: Die im Rahmen der Anhörungen vorgetragen Fragen zur Sicherstellung einer störungsfreien Frequenznutzung haben wir bereits in der Vergabeentscheidung ausführlich beantwortet. In der Entscheidung sind die derzeit gültigen frequenztechnischen Parameter zur Sicherstellung einer störungsfreien und effizienten Frequenznutzung festgelegt.
Das bedeutet, die Bundesnetzagentur teilt die Frequenzen im Anschluss an das Vergabeverfahren denjenigen Netzbetreibern zu, die den Zuschlag erhalten haben. Hierbei muss eine Verträglichkeit mit anderen Frequenznutzungen gegeben sein und der Antragsteller hat eine störungsfreie Frequenznutzung sicherzustellen.

promedia: Sie haben jüngst die Regeln für die Versteigerung der Digitalen Dividende verabschiedet. Können Sie bitte ihre grundlegende Herangehensweise dafür erläutern?
Matthias Kurth: Die Vergabe der Frequenzen erfolgt in einem offenen, transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren. Die Entscheidungen der Präsidentenkammer über die Vergaberegeln und die Auktionsregeln ergehen unter Beteiligung der Bundesländer und nach Anhörung der betroffenen Kreise im Benehmen mit dem Beirat bei der Bundesnetzagentur.

promedia: Es gab Kritik an den Vergaberegeln, weil anscheinend einer von vier Telekommunikationsanbietern leer ausgehen könnte. Wie soll die Chancengleichheit gewährleistet werden?
Matthias Kurth: Um allen Interessenten, insbesondere Neueinsteigern, einen chancengleichen Zugang zu dem besonders begehrten Spektrum der Digitalen Dividende zu ermöglichen, haben wir die Bietrechte beschränkt (sog. Spektrumskappe). Ein Neueinsteiger kann 2 x 20 MHz (gepaart) des Spektrums bei 800 MHz ersteigern.
Bei Netzbetreibern, die bereits über gleich geeignetes 900 MHz-Spektrum verfügen, werden diese bereits bestehenden Frequenzausstattungen berücksichtigt. Deren Bietrechte verringern sich grundsätzlich um das jeweils bereits zugeteilte Spektrum im Bereich bei 900 MHz. Da die Frequenzausstattungen der Netzbetreiber unterschiedlich sind, ist daher auch die Spektrumskappe unterschiedlich.  Die D-Netzbetreiber können maximal auf 2 x 10 MHz (gepaart) steigern, während die E-Netzbetreiber auf 2 x 15 MHz (gepaart) bieten können.

promedia: Wenn Sie anscheinend in Kauf nehmen, dass ein Anbieter bei der Versteigerung leer ausgeht, mit allen wirtschaftlichen Konsequenzen, bedeutet dass nicht, dass Sie damit eine Marktkonsolidierung provozieren?
Matthias Kurth: Alle gegenwärtigen GSM-Netzbetreiber verfügen über Frequenznutzungsrechte im 900 MHz-Band, die zur Flächenversorgung gleichermaßen gut geeignet sind wie die Frequenzen der Digitalen Dividende. Darüber hinaus besteht die Chance, in der anstehenden Versteigerung von Frequenzen für den drahtlosen Netzzugang Flächenfrequenzen unterhalb von 1 GHz zu erwerben.  Eine mögliche wettbewerbliche Auswirkung kann also erst im Kontext mit dem Auktionsergebnis festgestellt werden. Das Ergebnis einer Versteigerung ist aber nicht vorhersehbar.
Ob und, wenn ja, wer möglicherweise leer ausgeht, lässt sich daher nicht prognostizieren. Auktionen sind immer für Überraschungen geeignet.

promedia: Warum haben Sie nicht z. B. zwei Frequenzblöcke für einen unabhängigen Betreiber reserviert, der ein offenes Netz für alle Interessente anbietet und zu einem schnellen Ausbau verpflichtet wird?

Matthias Kurth: Wir haben uns bei unserer Vergabeentscheidung auch mit der Frage der Reservierung von Frequenzen für Neueinsteiger auseinandergesetzt. Für den Bereich bei 800 MHz haben wir als geeignetes und angemessenes Mittel eine Spektrumskappe von 20 MHz festgelegt, die diskriminierungsfrei allen potenziellen Bewerbern, also etablierten Netzbetreibern und auch Neueinsteigern, einen chancengleichen Zugang zum Spektrum eröffnet.
Wir gehen zudem davon aus, dass das zu vergebende Spektrum im Umfang von ca. 360 MHz hinreichend Raum für die Möglichkeit des Spektrumserwerbs bietet. Auch kann die Bundesnetzagentur in Anbetracht der vielseitigen Möglichkeiten zur Verwendung des Spektrums und der unterschiedlichen geschäftlichen Strategien die mit einer Reservierung einhergehende Begrenzung des ersteigerbaren Spektrums nicht vorwegnehmen.
Eine zu gering bemessene Reservierung birgt das Risiko in sich, Geschäftsmodelle mit einem höheren Spektrumsbedarf auszuschließen. Mit Reservierungen hat man international nicht die besten Erfahrungen gemacht und sie könnten das Ziel der Diskriminierungsfreiheit gefährden.

promedia: Warum haben Sie keine geringere „Frequenzkappe“ für T-Mobile und Vodafone gewählt?
Matthias Kurth: Wir haben die Bemessung der Spektrumskappe in einem offenen, transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren ermittelt, an dem sich auch die Netzbetreiber beteiligt haben. Bei der Bemessung der Spektrumskappe waren auch die möglichen Folgen abzuschätzen. Dabei war von besonderer Bedeutung, dass insbesondere zu einer möglichst netzkosteneffizienten Versorgung der ländlichen Räume jeder Netzbetreiber die Möglichkeit haben sollte, mehr als 5 MHz im Bereich 800 MHz zu erwerben, um breitbandige Dienste anbieten zu können. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der besonderen Versorgungsverpflichtung ist es gerade für eine Versorgung des ländlichen Raumes mit Breitband jedem Netzbetreiber zu ermöglichen, mindestens 2 x 10 MHz (gepaart) im Bereich 800 MHz zu ersteigern. Die jetzige Regelung ist ein ausgewogener und ein angemessener Interessenausgleich.

promedia: Es gab auch die Forderung, dass T-Mobile und Vodafone einen Teil ihrer Frequenzausstattung im Bereich von 900 MHz verfügbar machen. Auch dieser Forderung sind Sie nicht gefolgt. Warum
nicht?
Matthias Kurth: Die Möglichkeit für jeden Netzbetreiber, mindestens 2 x 10 MHz (gepaart) bei 800 MHz ersteigern zu können, kann nicht davon abhängig gemacht werden, dass einzelne Netzbetreiber Spektrum im Bereich 900 MHz abgeben müssten. Wir gehen vielmehr vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Verlängerung der Laufzeiten der GSMFrequenznutzungsrechte für T-Mobile, Vodafone und E-Plus bis 2016 davon aus, dass weiterhin eine effiziente Nutzung der Frequenzen im Bereich bei 900 MHz für GSM-Dienstleistungen erfolgen wird. Dies wurde auch in der öffentlichen Anhörung von den D-Netzbetreibern bestätigt, die im Rahmen der Kommentierung darauf hingewiesen haben, dass die gesamten 900 MHz-Frequenzen noch mittel- bis langfristig für GSM Dienstleistungen genutzt werden und deshalb auch derzeit kein Technologiewechsel geplant sei.
Mit Blick hierauf konnten wir die von Kommentatoren geforderte Abgabe von 900 MHz-Frequenzen der D Netzbetreiber nicht in die Erwägungen bei der Ausgestaltung der Spektrumskappe einbeziehen.

promedia: Kann mit diesen Frequenzen eine deutschlandweite Bedeckung erreicht werden?
Matthias Kurth: Die hier zur Vergabe stehenden 800 MHz-Frequenzen sind aufgrund der frequenztechnischen Nutzungsbestimmungen und der besonders günstigen Ausbreitungseigenschaften für eine bundesweite Zuteilung geradezu prädestiniert.
Aufgrund der guten Ausbreitungseigenschaften der Funkwellen in diesem Frequenzbereich kann dies insbesondere der
Versorgung dünn besiedelter Gebiete mit innovativen Mobilfunkanwendungen und der Bereitstellung von breitbandigen Internetanschlüssen zugute kommen.

promedia: Die Telekommunikationsunternehmen planen über diese Frequenzen die Verbreitung von LTE. LTE ist aber anscheinend noch nicht einsatzbereit, während die Digitale Dividende vor allem schnell für die  Beseitigung weißer Flecken beim Breitbandausbau genutzt werden sollen. Ist das nicht ein Widerspruch?
Matthias Kurth: Mit der Vergabeentscheidung haben die Hersteller von Technologien für den Frequenzbereich 800 MHz hinreichende Planungs- und Investitionssicherheit. Eine Beschränkung des Einsatzes bestimmter Techniken findet nicht statt. Unter Zugrundelegung der Nutzungsbedingungen sind alle verfügbaren Techniken einsetzbar. Wir vergeben
das Spektrum aus guten Gründen technologieneutral und lassen den Unternehmen alle Optionen offen. Wir gehen deshalb davon aus, dass entsprechend dem Zeitplan der Breitbandstrategie der Bundesregierung die Digitale Dividende bereits beginnend im Jahr 2010 für die Sicherstellung einer leistungsfähigen breitbandigen Versorgung
genutzt wird.

promedia: Wie stellen Sie sicher, dass wie von der Politik gefordert, die Versorgung der weißen Flecken Priorität behält?
Matthias Kurth: Damit das Potential der Digitalen Dividende auch den bisher unversorgten ländlichen Gebieten zu Gute kommt, haben wir in enger Zusammenarbeit mit den Bundesländern eine spezielle Verpflichtung in die Vergaberegeln aufgenommen. Ein Netzbetreiber ist danach verpflichtet, in allen Bundesländern stufenweise Gebiete mit Breitbandanschlüssen zu versorgen. Vorrangig sollen Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohnern mit drahtlosen Breitbandanschlüssen versorgt werden, in den folgenden Stufen dann auch größere Städte. Die Bundesländer haben dafür eigens Listen mit zu versorgenden Gemeinden angefertigt. Hiermit leisten wir im Einklang mit der Breitbandstrategie der Bundesregierung einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Erschließung „weißer Flecken“ mit leistungsfähigen  Infrastrukturen.

promedia: Die Versteigerung der UMTSFrequenzen war für die Telekommunikationsunternehmen mit so hohen Kosten verbunden, dass ihnen für Jahre das Geld für Investitionen fehlte. Befürchten Sie jetzt nicht auch wieder eine solche negative Entwicklung?
Matthias Kurth: Die Bundesnetzagentur legt Wert darauf, dass durch das Versteigerungsverfahren einerseits die Leistungsfähigkeit der Unternehmen deutlich wird, andererseits aber auch erhalten bleibt. Bei der Versteigerung geht es darum, den Wettbewerb zu fördern. Gemäß § 61 Abs. 4 Telekommunikationsgesetz soll mit der Versteigerung festgestellt werden, welcher oder welche Antragsteller am besten geeignet sind, die zu vergebenden Frequenzen effizient zu nutzen. Wir haben entsprechend den telekommunikationsrechtlichen Vorschriften das Verfahren vorbereitet und stellen Frequenzspektren zunächst für Mindestgebote bereit, die sich am unteren Gebührenrahmen für Frequenzzuteilungen orientieren. Dabei ist ein Mindestgebot das jeweilige Einstiegsgebot im Versteigerungsverfahren. Zur Höhe der dann tatsächlich erzielbaren Einnahmen kann jedoch keine zuverlässige Prognose abgegeben werden, weil der aktuelle Marktwert erst durch das Versteigerungsergebnis festgestellt wird.

promedia: Die Europäische Union will die Umwidmung frei werdender Rundfunkfrequenzen für mobile Breitbanddienste europaweit unterstützen und vereinheitlichen. Dazu hat die EU-Kommission ihre Pläne für die koordinierte Zuweisung der Funkfrequenzen bis 2012 vorgelegt. Kollidiert Ihre frühe Vergabe nicht möglicherweise mit den Plänen der EU-Kommission?
Matthias Kurth: Die Vergabe der Frequenzen erfolgt im Einklang mit den Zielen der EuropäiEuropäischen Kommission, dem Konjunkturpaket II und der Breitbandstrategie der Bundesregierung. Sie bietet die einmalige Chance, „Breitband für alle“ europaweit Wirklichkeit werden zu lassen. Hierfür ist es auch erforderlich, das Potenzial der Digitalen Dividende schnellstmöglich in einen Nutzen für die Verbraucher umzusetzen. Die Vergabe in Deutschland kann den von der EU gewünschten Effekt daher nur positiv beschleunigen. Abwarten ist keine gute Strategie.

promedia: Halten Sie es erforderlich, weitere nicht genutzte Rundfunkfrequenzen für den Mobilfunk zur Verfügung zu stellen?
Matthias Kurth: Wir gehen davon aus, dass das zu vergebende Spektrum im Umfang von ca. 360 MHz hinreichend Raum für die Möglichkeit des Spektrumserwerbs bietet.  (LZ)

Über Matthias Kurth:

  • Geboren: 19. Februar 1952
  • 1971-1976 Studium der Rechtswissenschaften und der
    Volkswirtschaftslehre
  • 1978 Richter am Landgericht Darmstadt
  • 1980-1994 Rechtsanwalt
  • 1994-1999 Staatssekretär im Wirtschaftsministerium
  • 1999-2000 Mitglied der Geschäftsleitung COLT
    Telekom GmbH
  • 2000-2001 Vizepräsident der Regulierungsbehörde für
    Telekommunikation und Post
  • Ab 2001 Präsident der Bundesnetzagentur

Weitere Informationen: promedia

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